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Herrenlose Visitenkarte

Am Sonntag eröffnet die Alte Nationalgalerie. Es ist der Auftakt für den Ausbau der gesamten Museumsinsel. Über zwei Milliarden Mark sind dafür veranschlagt: zu viel für Berlin, das sich vom Bund die Übernahme des Weltkulturerbes erhofft

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Über das Kunstverständnis von Gerhard Schröder ist nur so viel bekannt, dass er ein so genanntes gebrochenes Verhältnis zu den schönen Künsten entwickelt haben soll. Mit Absicht überlässt das Bundeskanzleramt darum Reden und Auftritte auf dem kulturellen Terrain einem Profi in Feinsinnigkeit, dem Staatsminister für Kultur, Julian Nida-Rümelin. Wenn Schröder dennoch zur Einweihung der Alten Nationalgalerie die Festansprache hält, muss das noch keinen Wandel der Verhältnisse bedeuten. Was man vom Kanzler in dem klassizistischen Ausstellungsbau, der nach vierjähriger Schließung auf der Museumsinsel wieder eröffnet, erwarten kann, wünscht sich Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), geradezu: neben etwas Pathos und vielleicht einigen Bemerkungen zu der weltberühmten Sammlung des 19. Jahrhunderts klare Worte über das fehlende Geld für die Sanierung der gesamten Museumsinsel.

„Den einen oder auch anderen Satz“, den Lehmann von Schröder über die notwendigen Investitionen erhofft, hat die Stiftung in den vergangenen Tagen selbst fallen lassen. Demonstrativ wirbt Lehmann mit der renovierten Alten Nationalgalerie aus dem Jahre 1876 für die Museumsinsel. Der Kunsttempel bilde die „Visitenkarte“ für die Instandsetzung der anderen Bauten, betont er. Mit der Sanierung des Museums für 133,5 Millionen Mark seien wieder die bedeutenden Epochen der Goethe-Zeit, des Realismus und der französischen Impressionisten wie Manet und Renoir zu bewundern.

Hinzu gekommen ist die wunderbare „Galerie der Romantik“ mit Werken von Caspar David Friedrich, der früher in Charlottenburg zu sehen war. Man soll sehen, dass es sich lohnt, den „einzigartigen Rang der Museumsinsel“ als deutscher Louvre, wie Generaldirektor Peter-Klaus Schuster schwülstig formuliert, wieder in Schuss zu bringen.

In der Tat sehen noch vier der fünf Museen auf der seit 1830 von Schinkel und Friedrich August Stüler bebauten Museumsinsel aus wie die romantischen Ruinenlandschaften von Caspar David Friedrich. Das Neue Museum ist seit dem Zweiten Weltkrieg noch zum größten Teil zerstört. Das Bodemuseum und das Pergamonmuseum bröckeln. Nur Schinkels Altes Museum, schon zu DDR-Zeiten renoviert, ist voll bespielbar. Insgesamt fehlt es an einem zentralen Eingangsbereich, Magazinen, neuen Ausstellungsflächen sowie einer für zeitgemäße Museen üblichen Verbindung der Häuser.

In einem „Masterplan“ haben die Preußen-Stiftung und das Land Berlin im vergangenen Jahr ein 10-jähriges Sanierungsprogramm vorgestellt, das Kritiker als Rückfall in die Kaiserzeit und den bildungsbürgerlichen Konservatismus im Geiste des 19. Jahrhunderts bezeichnen. Für Schuster ist das kein Problem, geht es ihm doch um die Rekonstruktution kultureller Institutionen, die durch Krieg und Teilung zerrissen wurden. Zugleich müsse die „Tempelstadt“, so Schuster, wieder als museales Schaustück und „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ im Sinne ihres Schöpfers, Friedrich Wilhelms IV., „vollendet“ werden.

Über das retrospektive Konzept streitet sich in Berlin niemand mehr. Wer es bezahlen soll, ist jedoch offen. Zwar haben sich der Bund, das Land Berlin und die Stiftung darauf verständigt, die „nötigen Mittel von über 2 Milliarden Mark für die nächsten zehn Jahre zuzusichern“, sagt Schuster. Doch die anteiligen Zahlungen zwischen dem Bund und dem Land Berlin, die bisher jeweils die Hälfte der Investitionskosten für die Museumsinsel getragen haben, stehen seit den Haushaltskrisen in Berlin auf dem Index.

Bisher steuert der Bund 68 Millionen Mark jährlich zu den Investitionsmitteln zum Aufbau der Museumsinsel bei. Hinzu kommen Fördermittel der Europäischen Union in Millionenhöhe, Sonderzahlungen und Mittel der Bundesländer. Das Land hat sich nach dem „Hauptstadtkulturvertrag“ seinerseits verpflichtet, von den 110 bis 140 Millionen Mark jährlicher Förderung durch den Bund rund 55 bis 60 Millionen Mark bereitzustellen.

Angesichts steigender Investitionskosten und der Haltung der Stadt, die Museumsinsel stelle eine „Kultureinrichtung von gesamtstaatlicher Bedeutung“ dar, fordert Berlins Kultursenatorin Adrienne Goehler nun aber, dass der Bund auch den Anteil des Landes und damit die Museumsinsel in Gänze übernehmen soll. Es müsse mit dem Bund ein neues so genanntes Berlin-Paket ausgehandelt werden, in dem die Zuständigkeiten neu geregelt würden, sagt Goehler. Berlin wäre damit die Kosten los, aber auch seine Mitbestimmung. Auf der Museumsinsel führten dann der Bund und die Stiftung die Zepter über Planungen, den Denkmalschutz, die Mittelvergabe und die Konzeption.

Handlungsbedarf angesichts der drückenden Schuldenlast im Berliner Haushalt und der unsicheren Garantie des Landes gegenüber dem Bund, bis 2005 gemeinsam 250 Millionen Mark aufbringen zu können, sieht auch Kulturstaatsminister Nida-Rümelin. Der Ausbau der Museumsinsel als „zentraler Ort der Kunst in Europa“, erklärte der Staatsminister, müsse Planungssicherheit haben. Der Bund nehme seine Verpflichtung für die anstehenden Arbeiten bis 2010 darum „sehr ernst“. Nida-Rümelin will Berlin jedoch „nicht ohne Kompensation“, wie Goehlers Sprecherin Kerstin Schneider glaubt, von den Museums-Millionen freistellen. Bis zu den Gesprächen über den Berlin-Pakt nach der Senatsbildung rätselt man deshalb, wie der Ausgleich aussehen könnte: etwa die Übergabe von Grundstücken in der Berliner Mitte an den Bund?

Das Ansinnen Nida-Rümelins, die Museumsinsel überwiegend in Bundesbesitz zu überführen, hat noch einen zweiten Grund. 2005 läuft die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern über die Finanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus. Dann wird es nicht nur eine „heiße Debatte“ über den finanziellen Anteil der Bundesländer zur Stiftung geben, wie Schneider fürchtet. Die Arbeit und Zukunft der Stiftung insgesamt steht möglicherweise auf dem Spiel.

Nichts brauchen die Direktoren der Stiftung für ihre Visionen also mehr als eine „ruhige Hand“ aus dem Hause Schröder. Denn nach der Museumsinsel sind noch zwei riesige Neubauten für die Gemäldegalerie in Nachbarschaft des Pergamonmuseums vorgesehen. Und außerdem soll der Schlossplatz zum Standort für die außereuropäischen Sammlungen entwickelt werden – eine erneute Milliardeninvestition, die auf Schröders Kunstverständnis hofft.

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