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Jeder Tag ein 11. September

Täglich sterben weltweit 6.000 Menschen an den Folgen des HI-Virus. Zum Welt-Aids-Tag widmen Arte und 3sat ihr Programm der Bekämpfung der Krankheit. Schwerpunkt der Dokumentationen ist Afrika, der Kontinent mit der höchsten Infiziertenrate

von MICHAEL KRONE

Das Ganze erinnert fast an eine Szene aus einer Sitcom: Die Mutter ist vorlaut, wild entschlossen und aufbegehrend, die Tochter dagegen zurückhaltend, religiös und konservativ. Der Schauplatz ist Soweto in Südafrika. Die mit dem HI-Virus infizierte Mutter hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Bevölkerung über Aids aufzuklären. Lauthals informiert sie jeden über ihren HIV-Status, egal ob er es hören will oder nicht, spricht vor Minenarbeitern und in Gefängnissen.

Als die Mutter von der religiösen Gemeinde der Tochter eingeladen wird, fleht diese sie an, doch bitte nicht über den Gebrauch von Kondomen zu sprechen und auch nicht sofort auf ihre Aidsinfizierung hinzuweisen. Schließlich werde sowieso schon jeden Sonntag für sie gebetet. Die Mutter stimmt leise lächelnd, aber ein wenig unbeteiligt zu. Natürlich hält sie sich kein bisschen an die Verabredung. Die Tochter legt die Hand schräg vors Gesicht und versinkt vor Scham auf ihrem Stuhl. Und auch der zuständige Pfarrer sieht nicht so richtig glücklich aus.

Zu sehen ist diese amüsante Szene in der Dokumentation „Pinkis Kampf“ von Portia Rankoane am Samtag auf Arte im Rahmen der Kurzfilmreihe „Aids teilt die Welt“ – leider bereits ab 15 Uhr und damit nur für Menschen, die das ARD-Digitalbouquet empfangen können.

Trotz der Komik verharmlost der Film keineswegs die Aidstragödie, die sich im Süden Afrikas und in anderen Ländern dieser Welt abspielt. Aber im Unterschied zu anderen Filmen zeichnet er ein klares Bild über den Umgang mit der Krankheit aus Sicht der Menschen, die dort leben. Denn die Problematik wird – wie in den anderen Beiträge, die Arte heute Nachmittag ausstrahlt – zum ersten Mal ausschließlich von Regisseuren aus dem südlichen Afrika behandelt. Ein überfälliges Unternehmen, das einen authentischen Blick auf die Realität vermittelt.

Wer die eher traditionelle Sichtweise des Nordens auf den Süden bevorzugt, der kann auf 3sat in dem Film „Lesotho brennt“ von Uta Lenzinger um 18 Uhr die Mühen eines Schweizer Arztes in seinem Kampf gegen Aids verfolgen. Sehenswert ist auch dieser Beitrag, vermittelt er doch einen Eindruck über die Schwierigkeiten, mit denen Präventionsarbeit und Krankenversorgung in dem afrikanischen Königreich verbunden sind. Schließlich stößt hier wie dort Aidsaufklärung immer dann an ihre Grenzen, wenn es um Tradition und Moral geht.

Auch am Abend beschäftigt sich 3sat weiter mit dem Thema, wenn auch in Form von Unterhaltung: Um 20.15 Uhr wird die Aidsgala aus der Deutschen Oper in Berlin live übertragen. Weitere Themenschwerpunkte gibt es zum Beispiel beim NDR-Fernsehen, das ab 1.15 Uhr eine „Aids-Nacht“ sendet.

Die Dokumentation „Die Aidsspirale“ von Philip Brooks leitet den allgemein zu empfangenden Themenabend bei Arte ein (ab 20.45 Uhr). Sie liefert einen politischen und damit höchst interessanten historischen Abriss über die vergangenen 20 Jahre, der die Widersprüche dieser Welt am Beispiel Aids verdeutlicht. Im Zentrum steht die unterschiedliche Entwicklung der tödlichen Immunschwächekrankheit in den Ländern des Nordens und des Südens seit Anwendung der lebensverlängernden Kombinationstherapien. Während die Menschen mit HIV und Aids hier unter hohem Kostenaufwand behandelt werden, nimmt das Sterben dort ein Ausmaß an, das selbst pessimistische Prognosen noch übersteigt.

Thematisiert wird das heutige Schweigen der Aidsaktivisten in den westlichen Ländern, die, als es noch um ihre eigenen Belange ging, eine erfolgreiche und wichtige Lobbyarbeit machten. Gezeigt wird auch die Rolle der Pharmaindustrie, die unter Berufung auf Patentgesetze die Herstellung sogenannter Generika und damit bezahlbarer Medikamente verhindert. Vor dem Hintergrund, dass Menschen in armen Ländern ausschließlich aus ökonomischen und strukturellen Gründen keinen Zugang zu Medikamenten erhalten und deshalb sterben, handelt es sich dabei um einen Vorgang, den man in anderen Zusammenhängen schlichtweg als organisiertes Verbrechen bezeichnet.

Im Jahr 2000 hatte der Weltsicherheitsrat mit der Aidsproblematik zum ersten Mal ein gesundheitspolitisches Thema auf die Tagesordnung gesetzt und damit zu einer Angelegenheit auch der reichen Länder gemacht. Angesichts der Anschläge auf das World Trade Center steht nun zu befürchten, dass Aids wieder in Vergessenheit gerät und als Problem der armen Länder abgetan wird. Deshalb wäre zu wünschen, dass die Medien sich nicht nur am Welt-Aids-Tag des Themas annehmen.

Denn in Bezug auf Aids erlebt die Welt jeden Tag ihren 11. September. Täglich sterben 6.000 Menschen an den Folgen der Immunschwächekrankheit.

Der Autor ist Mitarbeiter des Berliner Aidsprojekts „zukunft positiv“

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