: Hier geht die Sonne
Bei den Beatles stand George Harrison im Hintergrund. Das Leben in der zweiten Reihe nahm er mit Humor – und arbeitete allein an seiner Idee des Pop
von HARALD FRICKE
Der Junge ist dreizehn. Jungs in diesem Alter wollen Rock-’n’-Roller sein, das gehört zum Teenagerwerden Mitte der Fünfzigerjahre. Also bekommt der Junge eine Gitarre geschenkt von seiner Mutter, er hat ja Geburtstag am 24. Februar 1956. Aber eigentlich ist der Junge noch ein Kind, seine Finger sind zu kurz für das Instrument, er kann die Akkorde nur ganz oben am Steg greifen, weil sich die kleine Hand dort leichter schließt: ein hoher, schnarrender E-Dur-Akkord. Das klingt nicht nach Carl Perkins, Chet Adkins oder Bill Haley, sondern bloß wie Geschrammel. Der Junge ist unglücklich, schmeißt das Instrument in den Schrank und lernt erst mal Trompete. Aber das klingt noch schlimmer.
Der Junge wird trotzdem Musiker. Er quält sich durch Gitarrenlehrbücher, hört gebannt zu, wie Duane Eddy seine Schlenker auf Platte hinbekommt. Dann lernt er im Schulbus einen anderen Gitarristen kennen, der nach denselben Platten übt. George und Paul werden Freunde, Paul hat 1958 schon eine Band namens The Quarrymen, bei der John mitspielt. Natürlich gibt es Probleme, drei Gitarristen sind einer zu viel, aber Paul entscheidet sich für den Bass, und alles wird Beatles (vier Jahre später).
Der Junge ist fünfzehn und schreibt Songs. Zusammen mit Paul. „In Spite of all danger“ ist ein stampfender Blues, mit einem Gitarrensolo, das fiept, so gut George es kann. Rührender Jungs-Rock-’n’-Roll aus dem Kellerraum, nicht der große Popentwurf. Da funktionieren die Songs von Lennon/McCartney viel besser, das macht sie ab 1963 zum bekanntesten Songwriter-Gespann des 20. Jahrhunderts.
Dieses Image ist geblieben. Man muss nur die Augen schließen und sich andere Paarungen vorstellen: McCartney und Harrison sehen zu pomadig nebeneinander aus, zu sehr nach Provinz. Und Lennon mit Harrison, als die zwei Revolutionsvollbärte der Sixties, das ist später Russenzauber ohne Sex-Appeal. Nein, für George war kein Platz ganz vorne vorgesehen.
Als mit „Old Brown Shoe“ im Mai 1969 zum ersten Mal eine Harrison-Komposition als B-Seite von „The Ballad of John and Yoko“ aufgenommen wird, hat Lennon sich mit seinem Song für die A-Seite schon fast von den Beatles verabschiedet, wegen der Wege, die das ganze Startum geht, und dass sie ihn kreuzigen werden irgendwann. Beim nächsten Mal klappt’s dann doch: „Something“ wird im Herbst 1969 die Nummer eins der britischen Charts. Das ist ein später Trost für George, den man den stillen Beatle nannte – fünf Monate später löst sich die Band auf.
Natürlich hat Harrison Pech gehabt mit den Beatles. Man sagt, die Frauen mochten ihn lieber, weil er schüchtern war; aber daran können sich die Mütter heute gar nicht mehr so genau erinnern. Eher war er doch der unscheinbare Nette mit den großen Ohren; ein Beatle zwar, aber deshalb gleich Sänger von „You like me too much“? Oder – 1968 als erster der Fab Four im Alleingang – Komponist für psychedelische Liebesfilme wie „Wonderwall“?
Nicht von ungefähr hat sich Harrison schon 1965 für „Norwegian Wood“ am Sitar geübt und bald danach an allen möglichen exotischen Instrumenten bis hin zum frühen Moog-Synthesizer: So war er Durchschnitt und Einzigartigkeit in einem. Als Gitarrist ließ man ihn derweil oft nur ein bisschen solo drüberzwitschern und twängeln, wenn es musste, wie bei „Ticket to Ride“ oder „A Hard Day’s Night“. Und im Chor klingt seine Stimme immer ein wenig käsig durch, selbst wenn alle zusammen „Please Please Me“ singen. Für „Taxman“ mussten Lennon & McCartney seinen Text zuspitzen, weil „Mr. Wilson/Mr. Heath“ im Refrain politischer klang als das von Harrison geforderte „Schaut mal in euren Taschen nach, ob noch alle Münzen da sind“. Die Gitarre, die so sanft weinte auf dem Weißen Album – ach, Eric Clapton hat sie gespielt.
Und ihm die große Liebe genommen, aber das kam später. Zunächst lief alles gut mit Pattie Boyd, die 1966 Frau Harrison wurde. Doch als die Beatles auseinandergingen, lief privat nichts mehr bei George. Da halfen auch die Besuche beim Guru nichts, kein „My Sweet Lord“ und kein „Concert for Bangladesh“, mit dem Harrison die Band-Aids und Weltmusikmeetings unserer Tage vorwegnahm. Während er als guter Mensch des Pop durch die Lande tourte, machten es sich Eric und Pattie zu Hause gemütlich. Das hat Harrison ihnen auf seine sehr eigenwillige Art übelgenommen – wie immer leicht bitter, aber kaum dramatisch. Dezenz als Konzept, auf der Höhe des Songwritings. Deshalb gibt es auf „Dark Horse“ von 1974 das Lied „Bye Bye, Love“. Eine Midtempo-Ballade, einfache Akkordfolgen, quäkender Harrison-Gesang, doch auf die Lyrics kommt es an: „There goes our lady / With a ‚you know who‘ / I hope she’s happy / And ‚old Clapper‘ too“, heißt es da, während Clapton tatsächlich die Gitarre bei dieser Aufnahme spielte.
Vielleicht sieht so die Rache des ungeliebten Beatle aus, vielleicht spiegelt sich darin der distanzierte Sarkasmus, mit dem George Harrison in seinem Leben als Popstar in der zweiten Reihe klarkommen musste. Vielleicht ist es auch bloß britisch, wie der Humor von Monty Python, mit denen Harrison sich so sehr identifizierte, dass er in „Das Leben des Brian“ eine kleine Rolle spielte und danach für „Time Bandits“ die Filmmusik schrieb. Immerhin hatte er damit auch in den Achtzigerjahren noch etwas zur Popkultur beizutragen, während Paul McCartney mit Prinz Charles ausreiten durfte oder auf Vegetariertreffen Möhren kaute.
Andererseits hat sich Harrison wohl am meisten für das „Anthology“-Projekt Mitte der Neunzigerjahre engagiert. Damals musste unter der Regie von Jeff „Electric Light Orchestra“ Lynne für „Free as a Bird“ und „Real Love“ die Stimme des toten Lennon in den Tonstudios reanimiert werden. Nachdem Harrison nun an einem Krebsleiden gestorben ist, wird man immer an zwei Beatles denken, die fehlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen