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Globaler Noise im Dorfzentrum

Jonglieren mit Tönen und Frequenzen: Berlin ist zum Treffpunkt für Audiokünstler geworden. Hier hat das „Staalplaat“-Label seine Homebase, hier experimentieren Musiker in der „singuhr“-Galerie mit Elektronik unter der Kuppel der Parochialkirche

von HENNING KRAUDZUHN

Für jeden Raum ein anderes Orchester zu erfinden, diesen Anspruch erfüllt Geert-Jan Hobijn fast schon wie eine Selbstverständlichkeit. Er erreicht ihn mit allen instrumentalen Mitteln, die aus Haushaltsgeräten herauszuholen sind. Dann knistern, surren und knarren alte präparierte Kühlschränke oder Rasierapparate, gurgeln Kaffeemaschinen mit dem letzten Rest Wasser, heulen nacheinander Staubsauger auf – es entsteht eine Art Klangtheater, deren Bestandteile Hobijn je nach Raumsituation verändert. Für manchen mag es wie eine Kakophonie aus banaler Alltagsakustik klingen. Dennoch strömen Anhänger von Hobijn, Erik Benndorf und Carlo Crovato, die unter dem Namen „Staalplaat-Soundsystem“ auftreten, in ganz Europa zu den performativen Konzerten und feiern jede elektronische Nuance im Alltag oft lästiger Geräusche.

„Staalplaat“, das vor knapp zwanzig Jahren in Amsterdam gegründete Projekt Hobijns, ist ein gewachsenes Forum für Soundkünstler, ein Netzwerk für den interkulturellen Ideenaustausch und vor allem eine Plattform für ungewöhnliche Musik. Mittlerweile ist „Staalplaat“ auch eine wichtige Schaltzentrale für die Berliner Audioszene geworden, mit räumlichem Ausgangspunkt in der Oderberger Straße. Vor fünf Jahren kam Hobijn aus Amsterdam nach Berlin und wohnt seitdem in beiden Städten. Und er versucht, obwohl die räumliche Trennung vorhanden ist, alle strukturellen Verzweigungen von musikalischen Grenzbereichen in einer Person zu vereinigen: mit einem Label, Rundfunkprogramm, Verlag, Musikladen und der Galerie. Vor allem aber steht Hobijn für die Idee, neue Formen der Musik zu entdecken und diese fernab von Schubladen und Marketingstrategien weiterzuentwickeln. „Wir komponieren und programmieren Dinge, die vielleicht nur für uns Musik sind“, betont er.

Kommunikativerals Amsterdam

Geert-Jan Hobijn hat in Berlin eine zweite Heimat gefunden, die ihm einen viel größeren Bewegungsradius bietet. „Als ich hier ankam, war alles sehr offen und kommunikativ. In Amsterdam hingegen wollte keiner seine Nische verlassen“, erzählt er. Während ihn dort die Galerien immer skeptisch anschauten, wenn er mit seinen Konzepten ankam, sei er in Berlin mit offenen Armen empfangen worden. „Hier ergaben sich schnell Workshops oder Konzerte an guten Veranstaltungsorten“, so Hobijn. Und diese seien auch finanziell gefördert worden. „Man war bereits bekannt und konnte vor ein interessiertes Publikum treten.“ Seine schwer verdaulichen Konzerte mit allem, was an elektronischen Geräten auf dem Markt ist, wurden vor allem durch ihre ausgereifte Konzeption als neue Formen der Musik anerkannt.

In den vergangenen vier Jahren hat sich Berlin durch Festivals wie das „Sonambiente“ oder das „Format5“, aber auch durch Projekte während des „ICMC“ seinen Status als einer der Mittelpunkte der europäischen Noise- und Klangkunstszene erarbeitet. „Die Audioszene ist ja wie ein schreckliches Dorf mit allen möglichen Figuren, Gewinner wie Verlierer“, sagt Hobijn. Und Berlin sei inzwischen so etwas wie das Dorfzentrum. „Von unserer Musik kann zwar nur ein Bruchteil der Beteiligten leben, aber alle bleiben mit Enthusiasmus dabei.“ Dennoch bestehe die Chance, durch die feinmaschige Vernetzung und einen treuen Sammlerkreis für die oft aufwändig gestalteten CD-Hüllen von den eigenen Produktionen zu existieren. Jedes Cover der „Mulimlim“-Serie etwa ist ein Kunstobjekt für sich, besteht aus Materialien wie Leder, Holz, Metall und Textilien. „So hat ,Staalplaat‘ in Japan großen Kultstatus, unsere Ästhetik kommt sehr gut an“, sagt Hoijbin. Und dort wie auch anderswo sei man häufig bereit, für die ungewöhnlichen Tonträger Hunderte Mark zu bezahlen, bei einer Auflage von nicht mehr als 2.000 Stück.

Doch Einzelerfolge will kaum jemand feiern, auch nicht in Berlin. Als solidarische Szene geben die Künstler untereinander Hilfestellungen, organisieren zusammen Ausstellungen, kommunizieren auf ihrer eigenen Ebene – Konkurrenzstreben hat kaum eine Chance. Obwohl es mittlerweile Stars in der Szene gibt, die über das Label „Staalplaat“ ihren Weg fanden. Gruppen wie The Hafler Trio, Zoviet France, Kapotte Muziek und Muslimgauze, die ein unglaublich variables Spektrum von Noisemusik bis zu schweren Gitarrenklängen abdecken, wurden zuerst durch die Musikenthusiasten um Hobijn vorgestellt. Es sind zählbare Erfolge bei allen Experimenten von „Staalplaat“. Wenn auch die gegenwärtige wirtschaftliche Flaute in der Multimediabranche auf seine Musik zurückstrahle, gehe es erst einmal mit vollem Programm weiter, so Hojbin. „Nichts ist komplizierter als unsere Musik, und wir machen das schon zwanzig Jahre“, betont er. Ein Lebensgefühl schweiße die Szene zusammen. Und dieses Gefühl für musikalische Formen zwischen Performance, Improvisation, Klangforschung und Konzeptkunst pendelt zwischen klassischen und neuen Medien unruhig hin und her.

Diese große Bandbreite von Klangkunst versuchen auch die drei Betreiber der „Singuhr – Hörgalerie in der Parochialkirche“ einem stetig wachsenden Publikum zu vermitteln, im Kontakt zu „Staalplaat“ und anderen Projekten. Mit Beharrlichkeit sind sie mit ihren Ausstellungen zu der europaweit besten Adresse für auditive Kunstformen gereift. In einer Saison, die von Mai bis Oktober geht, bespielen sie das barocke Schiff und den ehemaligen Glockenturm der in Mitte gelegenen Kirche mit Klanginstallationen und vermieten im Auftrag der Gemeinde den Kirchenraum für andere Veranstaltungen. Jedes Jahr reichen sie bis zu zwanzig Projektanträge für Audiokunst in den Behörden ein, genehmigt wird immerhin die Hälfte. „Wir haben einen ganz guten Stand in der Kulturverwaltung“, sagt Carsten Seiffarth, der alle Ausstellungen kuratorisch betreut.

Klangraum zwischen Kunst und Straße

Seit nunmehr fünf Jahren nutzen sie so die im Krieg stark beschädigte Kirche für ihre Zwecke. Mit einem Jahresetat von 90.000 Mark, der aus Sponsorengeldern, Fördermitteln und Eigeneinnahmen zusammenkommt, können sie bei jährlich fünf Ausstellungen jenen Künstlern wenigstens Honorarkosten zahlen, die ihre kostenintensiven Arbeiten alleine gar nicht finanzieren könnten. „Ohne das Wohlwollen der öffentlichen Hand würde die Galerie gar nicht funktionieren“, erklärt Seiffarth. Denn mittlerweile gebe es auch Stipendien für Klangkünstler. Bekannte Institutionen wie die Akademie der Künste ermöglichen zudem groß angelegte Audiofestivals in Berlin. Ein Highlight in dieser Beziehung sei das „Format5“ in diesem Sommer gewesen, so Seiffarth. In eigens dafür eingerichteten Klangräumen stellten die beteiligten Künstler elektronisch umgeformte Geräusche und Klänge der Straße aus. Und offenbarten ein anderes Gefühl für Musik, für das Bildnerische des Klangs, für einzigartige Resonanzen.

„Dort wie auch bei allen unseren Projekten ist die Interaktion mit dem Besucher wichtig, die Wahrnehmung entsteht letztlich im eigenen Kopf“, doziert Seiffarth. Dabei drängt diese Kunst auch immer mehr in den Außenraum, in die Städte. So bringen die „singuhr“-Leute zur diesjährigen Adventszeit den Glockenturm der Kirche wieder zum Klingen – auf ihre Weise. Minimalistische Lautsprechersignale, die ein deutsches Künstlerduo arrangierte, sollen in die Umgebung ausstrahlen. Der Glöckner, das ist ein Computer.

Weitere Infos im Internet unter www.staalplaat.com und www.singuhr.de

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