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„Man kann nicht einen Salonaufstand propagieren“

Anetta Kahane hält Innensenator Körtings Polizeistrategie bei der NPD-Demonstration für „fatal“ und „diffamierend“ gegenüber Nazigegnern

taz: Frau Kahane, wie bewerten Sie die Ereignisse rings um den NPD-Aufmarsch?

Anetta Kahane: Man kann nie verhindern, dass in einer friedlichen Demonstration auch einige anfangen, Steine zu werfen. Aber fatal wird es, wenn die Polizei darauf ausgerichtet ist, genau dieses Bild herzustellen. Die Polizei ist hochmartialisch und aggressiv gegen Protestierende vorgegangen. Man hatte den Eindruck, die Strategie war, die NPD in Ruhe marschieren zu lassen.

Gab es eine Sensibilität für den Raum vor der Synagoge?

Überhaupt nicht. Die Einsatzleitung der Polizei hat zwar beschwichtigend mit dem Vorstand der Gemeinde geredet. Aber das Ergebnis war ganz anders. Zum Schluss, als die Beamten die Gegendemonstranten von der NPD-Route wegdrängen wollten, haben sie den Einsatz direkt vor der Synagoge durchgeführt. Ursprünglich wollten sich Beter und Mitglieder des Vorstands der Jüdischen Gemeinde den Neonazis entgegenstellen. Viele waren dann aber empört, als der bunte Zug unterschiedlichster Gegendemonstranten von der Polizei provoziert und verprügelt wurde und haben sich aus Solidarität auf die Straße gesetzt. Allerdings drängte sich eben auch der Eindruck auf, dass es den Demonstranten, die durch die Polizeisperren durchbrechen wollten, egal war, was an der Synagoge geschah.

Innensenator Körting (SPD) hatte die Route der NPD quasi als Staatsgeheimnis gehandelt. Nun fordert Bürgermeister Wowereit (SPD) erneut einen „Aufstand der Anständigen“.

Wowereit hätte sich vor die Synagoge stellen sollen. Zum Aufstand der Anständigen gehört auch ein Recht auf Protest. Stattdessen wurde vermittelt, dass genau dieser Protest gegen rechts das eigentliche Problem ist. Man kann nicht einen Salonaufstand propagieren und diejenigen, die andere Protestformen wählen, diffamieren.

Welche Konsequenzen wird das haben?

Von Seiten der jüdischen Gemeinde wird es mit Sicherheit Proteste geben. Mit der Entscheidung, die Neonazis nicht direkt durch das Viertel laufen zu lassen, sollte eigentlich die Ruhe der Synagoge bewahrt und den Betenden Respekt gezeigt werden. Stattdessen wurden die Scharmützel ausgerechnet vor der Synagoge inszeniert.

Die NPD hat weitere Aktionen gegen die Wehrmachtsausstellung angekündigt.

Es gibt in diesem Land Demonstrationsfreiheit. Aber das eine oder andere Verbot sollte man aussprechen. Ich glaube manchmal, dass sich die Behörden nicht genügend Mühe geben bei der Begründung von Verboten.

Die erste Wehrmachtsausstellung wurde nicht nur von der extremen Rechten, sondern auch von CDU und CSU-Vertretern scharf angegriffen.

Es ist für mich immer wieder ein Schock, dass die Identifizierung mit dem Dritten Reich und seinen verbrecherischen Institutionen noch so stark ist. Und es starke Kräfte im Mainstream der deutschen Gesellschaft gibt, die noch immer so tun, als gäbe es etwas Gutes im Bösen. Das ist ein Prozess, mit dem wir noch einige Jahrzehnte zu tun haben werden.

HEIKE KLEFFNER

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