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Die Marke mit dem Darm

Der Pächter der Weddinger Rathauskantine ist Künstler. Bei der Wahl seines Nachfolgers gibt sich auch das Bezirksamt kreativ. Nur eine Ausschreibung fehlt

Im Weddinger Rathaus gibt es eine Kantine. Der dortige Pächter ist nebenberuflich Mail-Art-Künstler. Aus diesem Grund und um den Kunden eine Freude zu machen, kriegt, wer hier isst, seit Monaten selbst gemalte „RabArtmarken“ dazu. Fingernagelgroße Bildchen mit Fischen, Schildkröten, Libellen, Affen und anderem haben die international vernetzten Mail-Art-Künstler dafür gemalt. Sie werden in das „RabArtmarkenheft“ geklebt. Ist es voll, ist das nächste Essen in der Kantine 1,60 Mark billiger. Für die einen bedeutet das Bares, für die anderen Kunst.

An guten Ideen und an großen Leidenschaften mangelt es dem Pächter, der früher in den Küchen von Fünf-Sterne-Hotels heimisch war, nicht. Purer Idealismus und die Sehnsucht nach Kontakt mit den Gästen habe ihn so auch ins Katinenwesen getrieben. Nach zehn Jahren „Gesindestatus“ in einer öffentlichen Berliner Behörde allerdings wirft er das Handtuch. Seine halbjährige Kündigungsfrist zum Jahresende hat er per Einschreiben mehr als eingehalten. Monatelang ohne Reaktion.

Der Wirtschaftsstadtrat von Mitte, zu dem der Wedding neuerdings zählt und der für den Vorgang zuständig ist, war zu diesem Zeitpunkt gerade damit beschäftigt, sich in einem neuen Gebäude am Karlsbad einzurichten. Kaum war er mit seinem Amt umgezogen, stellte sich heraus, dass das Gebäude mittlerweile veräußert worden war. So musste der Wirtschaftsstadtrat mit seinem Tross wieder zurück umziehen, während der Pächter der Kantine auf eine öffentliche Ausschreibung wartete, die nicht kam.

„Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, Aufträge grundsätzlich im Wege der öffentlichen Ausschreibung zu vergeben“, heißt es in den Vergabevorschriften. „Die Kantine ist für Jungunternehmer eine Möglichkeit, sich eine Existenz aufzubauen“, sagt der Pächter. Es gab interessierte Gruppen, die, sobald die Ausschreibung im Amtsblatt veröffentlicht worden wäre, ihre Angebote hätten einreichen können.

Unter der Regie des derzeitigen Pächters ist die Kantine ein Ausbildungsbetrieb mit Mitropa-Flair. Ein Unternehmen mit vier Angestellten, die eigentlich übernommen werden müssten. Denn das schreibt das Bürgerliche Gesetzbuch bei einer Betriebsübernahme vor.

Leider stellte sich der ordentliche Gang der Dinge nicht ein. Im Oktober rief ein Angestellter des mit dem Rückumzug beschäftigten Wirtschaftsamtes beim Pächter an und sagte: „Wir haben gehört, Sie haben gekündigt. Könnten Sie uns bitte eine Kopie der Kündigung schicken.“ Der Pächter erledigte dies umgehend, aber irritiert.

Dann begann hektisches Treiben. Zwei Männer tauchten in der Kantine auf: Ein Vertreter des Wirtschaftsamtes und der Vertreter einer Firma, die „gastronomische Versorgungsleistungen“ anbietet. Letzterer wurde als „Nachpächter“ präsentiert und rühmte sich, etliche Bundeseinrichtungen kantinenmäßig zu betreuen. Ein Wunder? Eine Erscheinung? Die Zeit sei zu knapp für eine ordentliche Ausschreibung gewesen, diente dem Wirtschaftsamt als Erklärung. Der Herr der Catering-Firma inspizierte die Kantine, ordnete an, dass sich die Angestellten neu bewerben sollen, bemängelte dies und jenes und weigerte sich, die Katze aus dem Sack zu lassen.

Wenn ein Angebot von einer Firma vorliege, die bereits ein bestehendes Vertragsverhältnis mit dem Bezirksamt habe, dann erübrige sich eine Ausschreibung, meint der zuständige Stadtrat Lamprecht. Ist das das Berliner Dukatengeheimnis, hinter das bisher keiner kam? Vetterleswirtschaft? Begünstigung? Persönliche Verflechtungen zwischen dem neuen Pächter und dem Bezirksamt? Von offizieller Seite kein Kommentar!

Bleibt der Noch-Pächter mit seinem Idealismus. In den letzten Wochen bis zum Abschied wird er nur noch RabArtmarken des Engländers Allan Brignull verteilen. Dieser hat einen „GUTschein“ gemalt. Das englische Wort „gut“ heißt auf deutsch „Darm“. Entsprechend zieren Gedärme das Bildchen.

WALTRAUD SCHWAB

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