: Und ewig lockt die Kerouac'sche Weite
■ Herzzerrissenheit bildschön gespielt und gesungen: „Pinback“ im Knust
Kulturpessimismus hin, Postmoderne her: Es gibt Emotionen, die lassen sich nicht klonen. Natürlich werden sie trotzdem kopiert. Dann blättern sie schnell ab. Wie alte Aufkleber auf alten Autos.
„The real thing“ ist natürlich etwas anderes. Und es ist vor allem schwer in Worte zu fassen. Vielleicht machen Pinback deshalb Musik. Das soll nicht heißen, dass unmittelbare Emotion leichter zu spielen als zu schreiben wäre. Doch offensichtlich sind Pinback in Ersterem begabt. Nehmen wir beispielsweise mal Weite. Nicht irgendeine Weite, sondern eine, wie sie Sal Paradise in Kerouacs On the Road im wahrsten Sinne des Wortes erfährt. Weite also, die nicht mehr los lässt und einem in ihrer Größe das Herz zerreißen kann. In ihren besten Momenten können Pinback so etwas in Musik packen. Das hat dann nichts mit bombastischem Panorama-Rock a la Calexico zu tun. Es liegt näher an den zurückgenommenen, langsam rollenden Melodien, die Bands wie Seam einmal vor sich her schoben.
Melodien, die von Schönheit sprechen und gleichzeitig in ihrer wehmütigen Introvertiertheit zu ersticken drohen. Melodien, die nie ausbrechen, immer kontrolliert sind und dabei fast die Tiefe eines Nick Drake erreichen.
Mit dem haben Pinback ansons-ten natürlich nix am Hut. Sie kommen eher aus der – Entschuldigung – Post-Rock-Ecke im weitesten Sinne, begehen aber nicht den Fehler mancher ihrer Schubladengenossen, dem Basteltrieb freien Lauf zu lassen. Zwar sind die Songs detailverliebt arrangiert, mit Esprit und Weitsicht instrumentiert, doch sie strahlen auch in den vertrackteren Momenten eine wohlige Wärme aus. Das liegt natürlich auch an den Stimmen der Pinback-Chefs Zach und Rob Crow. Beide sind näher an Erwachsenen-Pop der 60er à la Beach Boys oder Van Dyke Parks als an vage vergleichbaren Zeitgenossen wie The Sea & Cake.
Diese Mischung macht Pinback dann auch zur spannenderen der beiden Nachfolge-Formationen von Three Mile Pilot, Zachs alter Band. Denn während Black Heart Procession, wo der Rest von Three Mile Pilot sich heute betätigt, zwar einen wunderbaren Song geschrieben haben, bieten Pinback Vielfalt im Kleinen. Dort also, wo sie schwieriger zu inszenieren, lang-fristig aber auch (be)lohnender ist.
Unterstützt werden Pinback bei ihrem Unterfangen, das große Gefühl tönen zu lassen, von Hamburgs Der Heitere Himmel. Deren Namen wiederum lässt Novizen Falsches vermuten. Denn in den Liedern der Band ist der Himmel alles andere als heiter, eher grundsätzlich von dunklen Wolken verhangen. Aber wer lebte schon in Hamburg, wenn er oder sie immer die Sonne sehen wollte?
Gregor Kessler
heute, 18 Uhr, Michelle Records (Gertrudenkirchhof); mit Der Heitere Himmel: 21 Uhr, Knust
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