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Keine Auslieferung bei Korruption

Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi blockiert Vereinbarung über europäischen Haftbefehl und ganz Brüssel spekuliert warum

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die Daumenschrauben liegen auf dem Tisch, wenn die Innen- und Justizminister heute und morgen in Brüssel über das große Anti-Terror-Paket verhandeln. Kommt keine Einigung zu Stande, werden die Regierungschefs Ende nächster Woche auf dem Gipfel in Laeken Fakten schaffen. Erfahrungsgemäß haben die Chefs mit den komplizierten juristischen Details wenig im Sinn. Deshalb würden die Fachminister lieber im Expertenkreis eine wasserdichte Lösung finden.

Letzte Stolpersteine wirft ausgerechnet ein Regierungschef: Italiens Silvio Berlusconi. In Brüssel blühen wilde Gerüchte, warum er seinen Justizminister angewiesen hat, fast alle Wirtschaftsverbrechen von der Liste der Tatbestände zu streichen, bei denen der neue europäische Haftbefehl angewendet werden soll. Eigentlich soll die mühsam ausgehandelte Positivliste 32 Vergehen umfassen, darunter Menschenhandel, Mord, Pädophilie, Terrorismus, Drogen- und Waffenhandel – aber auch schweren Diebstahl, Betrug, Geldwäsche und Korruption.

Italien will nur die Punkte akzeptieren, die bereits im bilateralen Auslieferungsabkommen mit Spanien enthalten sind. Alle Wirtschaftsdelikte wären damit ausgeschlossen. Da Berlusconi mit Korruption in Verbindung gebracht wird, ist für viele Beobachter die Sache klar.

Als Expertin in Sachen italienische Justiz kann Elena Paciotti gelten. Sie ist Richterin, war mehrere Jahre lang Präsidentin der italienischen Vereinigung von Richtern und Staatsanwälten und sitzt seit 1999 als sozialistische Abgeordnete im europäischen Parlament. Auf die Frage, ob Berlusconi den europäischen Haftbefehl verwässern will, um sich und seine politischen Freunde zu schützen, antwortet sie nicht direkt. Der neue Regierungschef sei – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – kein begeisterter Europäer. Und Justizminister Roberto Castelli von der Lega Nord könne sich erst recht nicht für die EU erwärmen.

Wer aber die Rolle Italiens im Justizministerrat bewerten wolle, solle doch einen Blick auf die Gesetzesänderungen werfen, die seit Mai unter der neuen Regierung Berlusconi beschlossen wurden: Die Erbschafts- und Schenkungssteuer wurde ersatzlos gestrichen. Kapitalflüchtlinge, die ihr Vermögen nach Italien zurücktransportieren, werden nicht gefragt, wo das Geld herkommt, was einer staatlichen Aufforderung zur Geldwäsche gleichkomme. Bilanzfälschung sei nur noch strafbar, wenn den Aktionären Schaden entstehe.

Die Beispiele zeigen nach Überzeugung der ehemaligen Richterin, welche Haltung die neue Regierung dem Rechtsstaat entgegenbringt. Auch die Tatsache, dass der nominierte Vizepräsident der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF nicht aus Italiens Justizdienst freigestellt werde und deshalb sein Amt nicht antreten könne, verdeutliche Berlusconis Haltung zu den EU-Institutionen.

Der europäische Haftbefehl steht schon lange auf der Liste der juristischen Gemeinschaftsprojekte, die die EU-Kommission vorantreiben will. Wie bei vielen anderen Initiativen zu mehr Einheitlichkeit im Justizbereich, scheiterte sie bislang an den unterschiedlichen Rechtstraditionen. Da der Haftbefehl nun dazu beitragen kann, den Kampf gegen den Terror zu untermauern, ist er zur Chefsache erklärt worden.

Nach quälenden Sitzungen auf Fachbeamtenebene haben sich Deutschland, die Niederlande, Luxemburg und Dänemark dazu durchgerungen, das geltende Prinzip der doppelten Strafbarkeit aufzugeben. Bei allen Tatbeständen auf einer einstimmig zu beschließenden Liste soll künftig im verkürzten Verfahren ausgeliefert werden – ohne die Frage zu prüfen, ob das im Auslieferungsbegehren beschriebene Vergehen im ausliefernden Land überhaupt strafbar wäre.

Mehrere Länder haben bereits bilateral ähnliche Abkommen geschlossen. Sie haben sich aber nicht alle auf die gleichen Straftatbestände verständigt. Auch muss jeweils eine staatliche Instanz zusätzlich das richterliche Begehren prüfen. Diese zweite Hürde soll im EU-Haftbefehl wegfallen, was das Verfahren beschleunigen würde. Sollte der Beschuldigte gegen die Auslieferung Einspruch einlegen, müsste ein Richter die Beschwerde prüfen, das ganze Verfahren aber dennoch nach spätestens 90 Tagen abgeschlossen sein.

Silvio Berlusconi jedenfalls muss derzeit nicht fürchten, dass ihn der europäische Haftbefehl persönlich betreffen könnte. Zwar hat die spanische Justiz bereits vor Monaten die konservative Präsidentin des EU-Parlaments aufgefordert, die Immunität des Abgeordneten Silvio B. aufzuheben, der damals mit ihr in der selben Fraktion saß. Nicole Fontaine verstand es aber, die Sache mit Verfahrensvorwänden so lange hinaus zu zögern, dass der Italiener sich der Verhaftung entziehen konnte – mit einem Sprung auf den Regierungssessel in Rom.

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