Ein Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit

Für Hamid Karzai, Konsenskandidat für das Amt des Interimspräsidenten Afghanistans, ist seine große Stunde gekommen

Die Afghanistan-Konferenz endet mit dem Namen, mit dem sie auch begonnen hat. Beim Auftakt der Petersberg-Gespräche erreichte die Delegierten der Aufruf von Hamid Karzai: „Wir sind eine Nation, haben eine Kultur. Wir sind vereint, nicht geteilt. Wir glauben an den Islam, aber einen toleranten Islam.“ Es folgte Applaus, nicht nur der aufmunternden Worte wegen.

Karzais Stimme kam über ein Satellitentelefon nach Bonn, direkt aus den Bergen von Uruzgan im Süden Afghanistans, wo er eine Anti-Taliban-Truppe anführt. In dem Augenblick, in dem 38 Delegierte, die meisten von ihnen seit Jahren im Exil, über das Schicksal ihrer Heimat berieten, zeigte Karzai, dass es Leute gibt, die in Afghanistan ihren Teil dazu beitragen. Er war am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Auf dem Petersberg wurde er nun zum Interimspräsidenten seines Landes gewählt. Durch seinen Bruder ließ er ausrichten, er nehme die Wahl an.

Erst vor Monatsfrist hatte Karzai sein komfortables Haus in der pakistanischen Grenzstadt Quetta aufgegeben. Die Taliban waren noch Herren im Land, und sie hatten kurz zuvor, beim Mord an Abdul Haq, gezeigt, dass sie gnadenlos zuschlagen. Es war auch eine kluge Entscheidung. Denn Karzai fehlte bisher der Nachweis, der ihn auch außerhalb seines Popalzai-Clans als Führungsfigur im Nach-Taliban-Afghanistan legitimierte. Er hatte 1997 – zusammen mit seinem Vater – zwar eine „Anti-Taliban-Front“ gegründet. Doch die war nur einer von vielen Versuchen von Exilafghanen, die im Land ohne Wirkung blieb. Die Ermordung seines Vaters 1999, vermutlich durch die Taliban, bestärkte ihn darin, gegen sie zu kämpfen. Als er mit 46 Jahren noch einmal zum Mudschaheddin wurde, hatte er mit den Taliban eine politische und eine persönliche Rechnung zu begleichen.

In seinem Habitus entspricht Karzai keineswegs dem Bild des paschtunischen Kriegers. Wie König Sahir Schah gehört er zu den Durrani-Stämmen, die das Land in den letzten 250 Jahren regiert haben. Er verbindet großbürgerliches Auftreten mit der Leutseligkeit eines Feudalherrn. Groß gewachsen und kultiviert, kann er auf eine gute Ausbildung in Indien verweisen. Sein Großvater war unter Sahir Schah Präsident des Nationalrats, und Karzai wäre wohl schon früher gemäß der Familientradition in den Staatsdienst eingetreten, wäre nicht der Krieg dazwischengekommen. Statt dessen ging er in die USA und betrieb dort eine Restaurantkette.

Der Sieg der Mudschaheddin über die Sowjetunion bewog ihn zur Rückkehr. 1992 wurde er unter dem ersten Präsidenten Modschaddedi stellvertretender Außenminister. Als der jedoch nach drei Monaten bei internen Machtkämpfen der Mudschaheddin-Gruppen gestürzt wurde, war auch die Karriere Karzais beendet. Der Mann, der damals die Staatsführung an sich riss und Karzai ein weiteres Mal ins Exil nach Pakistan zwang, hieß Burhanuddin Rabbani. Für Hamid Karzai wird der 22. Dezember, wenn er in Kabul von Rabbani die Führung der Interimsregierung übernimmt, nicht nur ein Sieg über die Taliban sein.

BERNARD IMHASLY