: We are a happy punky family
■ Opa erzählt im Radio vom Punk: „Kein Mensch hat sich für gute Musik interessiert“
In 130 Interviews haben Legs McNeil (der den Markennamen „Punk“ erfand) und Gillian McCane die Geschichte des amerikanischen Punkrock dokumentiert. Ihr Buch „Please Kill Me: The Uncensored Oral History Of Punk“ ist die Grundlage für ein Hörspiel von Christine Wunnicke in der Regie von Hans Helge Ott, das das Nordwestradio heute und am kommenden Freitag (22.05 Uhr) in zwei Teilen ausstrahlt: „We are a happy family.“
Um Musik geht es darin eigentlich nicht: „Das interessiert doch kein Schwein. Kein Mensch hat sich für gute Musik interessiert.“ Ganz selten akzentuieren oder illus trieren kurze Ausschnitte aus Liedern der Stooges und anderer Bands das Erzählte – sie wirken nicht mehr wild, sondern sind hier Momente der Erinnerung, wie ein Soundtrack zur „History Of Punk“, die vielleicht mit einem Mikrofon im Küchenmixer begann.
Punk ist Geschichte bei Wunnicke und Ott. Sie gehen nicht den leichten, nahe liegenden Weg, mit Getöse die schrillen, wilden Zeiten heraufzubeschwören und die Legenden des Punk weiterzustricken. Stattdessen versuchen sie, im (oft nicht zu ordnenden) Stimmengewirr der Zeitzeugen das Punk-Business einzukreisen, Lebensstile zu entdecken. So verzweifelt aussichtslos der Versuch gewesen sein muss, den Punk zu managen, so beharrlich versucht nun im Hörspiel der treue, nach Jahren im Geschäft noch staunende Leee Black Childers (Lutz Herkenrath), die Story seines größten Verdienstes zu platzieren. Unverhofft zum Vizepräsidenten von David Bowies Firma „MainMan“ geworden, lernte er schwimmen – um regelmäßig Iggy Pop, kopfüber im Pool treibend, das Leben zu retten. Man weiß nie, was im Gefasel, Gelaber und Geplapper der Figuren – „schwafel, schwafel, schwafel, wie es meine Art ist“ – ganz oder wenigstens ein bisschen wahr ist, was gnadenlos übertrieben oder schlicht erfunden. Hans Helge Ott gelingt es mit wunderbaren Sprecher-Schauspielern, weit über das Storytelling hinaus emotionale Beziehungen anzudeuten – und Widersprüche und Lücken einfach offen zu lassen.
Und dann soll er auch noch Peter Pan spielen!? Die Stimmen klingen alt, verlebt, nachdenklich, manchmal mühsam angestrengt. Dass sie dabei immer noch cool, unaufwändig-schnodderig sind, macht den Reiz des Hörstückes aus.
Wenn Opa also vom Punk erzählt ... klingt zuerst überraschend ruhig, wird dann jedoch umso intensiver, wenn sich aus dem unendlichen Erzählstrom der Interviewsplitter Biographien bilden: Dee Dee Ramone, Bassist der Ramones, resümiert immer und immer wieder kopfschüttelnd, „15 Jahre unterwegs, fünfzehn Jahre!“, stammelt auf mühsamer Sinnsuche resignierend, „ich weiß nicht ...“ Wenn einer der Freunde starb, hatte er immer gehofft, der Nächste zu sein.
Sein schier unerreichbarer Traum jedenfalls von einem Bart („als Belohnung für alles“) könnte ja ebenso trauriger Höhepunkt eines inneren Monologs des Rex Gildo sein: Verbrauchte Produkte der Popmärkte. Kai Maertens verstimmlicht diesen Dee Dee kraftvoll brüchig, sehr verletzlich, klar und emotional, nicht ohne letzte Hoffnung: „Doch, doch. Da ist schon eine Logik drin, in der Sache mit dem Glück“. Der Grundton der Inszenierung wird nie weinerlich: Wild durcheinander haben Wunnicke und Ott die Interviewpartikel und Gesprächsfetzen arrangiert, Figuren blitzen auf und verschwinden wieder im Strudel der Stories und Gefühle, widersprechen, spalten und vereinigen sich, faseln, schwärmen und plappern, lachen sich scheckig, sinnieren, fragen und träumen – schreien auch mal oder schweigen.
Carsten Werner Nordwestradio 88,3 MHz UKW am 7. und 14.12., jeweils um 22.05 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen