: Stiftung wehrt sich
Schau zum NKWD-Speziallager im KZ Sachsenhausen empört Russlands Regierung. Stiftung enttäuscht
BERLIN taz ■ Dass es Proteste geben könnte, war zu erwarten – dass sie jedoch auch von dieser Seite kamen, war überraschend: Das russische Außenministerium hat das Museum über das sowjetische Speziallager Nr. 7/Nr. 1 auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenhausen in Oranienburg kritisiert. Das wird zwar erst am Sonntag offiziell eröffnet. Gleichwohl wusste der Sprecher des russischen Außenamtes schon gestern: Die Schau bei Berlin laufe „letztlich auf eine Reinwäsche der Untaten von Naziverbrechen hinaus“, erklärte Alexander Jakowenko.
Der Hintergrund für die massive Kritik der russischen Regierung ist die ambivalente Geschichte der heutigen Gedenkstätte Sachsenhausen: Während der NS-Zeit kamen hier im früheren Vorzeige-Konzentrationslager der Nazis zehntausende Gefangene um: vor Hunger, Erschöpfung und Krankheiten, aber auch durch gezielten Massenmord in einer Erschießungsanlage. Zu ihnen gehörten 13.000 Rotarmisten, die Opfer der Nazis wurden – auch Stalins Sohn wurde hier erschossen.
Schon drei Monate nach dem Krieg 1945 aber nutzte der sowjetische Geheimdienst NKWD das leer stehende Lager für seine Zwecke und internierte in den Baracken bis 1950 insgesamt 60.000 Menschen. Zu ihnen gehörten Deutsche ebenso wie etwa 7.500 Ausländer. Ihnen wurde vorgeworfen, Nazis gewesen zu sein oder „Widerstand“ gegen die sowjetische Besatzungsmacht geleistet zu haben. Harmlose Hitlerjungen wurden ebenso in die Baracken gepfercht wie NS-Kriegsverbrecher. Auch in diesen fünf Jahren unter sowjetischer Hand kamen Tausende Inhaftierte um – vor allem wegen Unterernährung, wegen Krankheiten und vor Kälte. Das Museum, das am Sonntag eröffnet wird, schildert diese Zeit des „Speziallagers“, die Vorgeschichte jedoch wird auch erläutert.
Über die Moskauer Vorwürfe überrascht und enttäuscht zeigte sich gestern der Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch. Die Ausstellung werde offensichtlich politisch instrumentalisiert. Mit den russischen Stellen, vor allem dem Staatsarchiv, habe man bisher hervorragend zusammengearbeitet. Im neuen Museum werde klar auf den Unterschied zwischen dem „Massensterben“ im Speziallager und dem Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen im KZ aufmerksam gemacht – dies betone auch eine vor kurzem eröffnete Ausstellung in der Gedenkstätte zu den Kriegsgefangenen. Zudem gehörten dem Beirat des Museums auch der Vorsitzende des Verbandes ehemaliger Sachsenhausen-Häftlinge aus Russland an.
Übrigens: Die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft will am Sonntag auch gegen die Museumseröffnung protestieren: „Die Ausstellung verharmlost das Leiden der dort unschuldig Inhaftierten“, sagte ihr Bundesgeschäftsführer Detlef Stein. Bei der Konzeption des Museums waren mehrere Inhaftierte des Speziallagers beteiligt. Sie zeigten sich gestern von der Schau überzeugt. PHILIPP GESSLER
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