: „Kein Wahlkampf gegen Ausländer“
Interview LUKAS WALLRAFF
taz: Herr Schönbohm, CSU-Generalsekretär Goppel hat Sie wegen Ihrer Rolle beim Zuwanderungsgesetz einen „ganz, ganz armen Kerl“ genannt. Müssen wir Mitleid haben?
Jörg Schönbohm: Nein, nein, natürlich nicht. Ich stehe aufrecht vor Ihnen und bin guter Dinge.
Aber leicht haben Sie es nicht. Ihr Koalitionspartner SPD will, dass Brandenburg dem rot-grünen Zuwanderungsgesetz im Bundesrat zu einer Mehrheit verhilft. Ihre Parteifreunde von der CDU/CSU aber wollen, dass Sie dagegen stimmen.
Natürlich ist das eine schwierige Situation, weil es um einen Gesetzentwurf geht, der von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung Deutschlands ist. Und wenn man dann womöglich Zünglein an der Waage ist, hat man noch mehr Verantwortung. Hinweise, wie ich mich zu verhalten habe, brauche ich nicht.
Das hört sich selbstbewusst an. Klar geäußert haben Sie sich aber noch nicht. Wäre es nicht langsam an der Zeit, selbst deutlichere Hinweise zu geben, wer mit Ihnen rechnen kann?
Erst einmal ist jetzt die Bundesregierung dran. Sie muss sich überlegen, ob sie versuchen will, ein Gesetz durchzupauken, das aufgrund der starken grünen Handschrift die Zuwanderung erweitert – und das auch noch unkontrolliert. Das will die Bevölkerung nicht. Ich hielte es im Interesse Deutschlands für besser, wenn wir uns auf ein Gesetz einigen könnten, das eine breitere Zustimmung finden kann.
Das heißt, Sie würden am liebsten zustimmen?
Dem Entwurf, wie er vorliegt, definitiv nicht!
Aber einem Zuwanderungsgesetz an sich schon?
Einem Zuwanderungsgesetz, in dem die Zuwanderung klar begrenzt ist. Das ist im vorliegenden Gesetzentwurf nicht der Fall.
Was stört Sie besonders?
Also, wenn Sie sich das Gesetz angucken, dann gibt es einen eklatanten Widerspruch. Das Gesetz nennt sich ja Gesetz zur Begrenzung der Zuwanderung. Aber dieser Zweck kommt im gesamten Gesetzestext nicht vor.
Dass er zu einer deutlicheren Formulierung bereit ist, hat Innenminister Schily doch schon zugesagt.
Aber das reicht nicht. Schily muss jetzt seinen Ankündigungen konkrete Vorschläge folgen lassen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Frage der Arbeitsmigration. Wir haben zum Jahresende knapp vier Millionen statistisch erfasste Arbeitslose. Wir können nicht die Arbeitslosigkeit dadurch bekämpfen, dass wir Arbeitskräfte zusätzlich ins Land holen. Die bisherige Bilanz der Zuwanderung hat fatale Züge. Die Zuwanderung erfolgt in immer stärkerem Maße in die sozialen Sicherungssysteme, aber eben nicht in den Arbeitsmarkt. Die Zahlen sind hier eindeutig. Und machen wir uns nichts vor, die Integration hat weitgehend nicht funktioniert. Es sind Parallelgesellschaften entstanden, wie kürzlich erst Niedersachsens Ministerpräsident Gabriel und Potsdams Oberbürgermeister Platzeck konstatiert haben.
Sollten diese Forderungen erfüllt werden, würden Sie dann beim Familiennachzug und beim Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung nachgeben?
Nein, bei uns wird ohnehin niemand abgeschoben, dem zu Hause Folter und Tod drohen. Wir sind aber gegen eine weitere unkontrollierte Zuwanderungsmöglichkeit über die faktische Ausweitung des Asylrechts.
Von einer Ausweitung des Asylrechts ist doch im Gesetzentwurf gar nicht die Rede.
Wörtlich gesehen nicht, faktisch aber schon. Weil nach dem Gesetzentwurf jeder, aus nahezu jeder Region dieser Welt, sich als Opfer nichtstaatlicher Gewalt bezeichnen kann und damit ein Bleiberecht in Deutschland erhält. Das geht uns zu weit. Wir wollen verhindern, dass Ausländer, die illegal in unser Land kommen, weder unter Nutzung langwieriger Rechtswege noch unter Inanspruchnahme vorgeschobener Abschiebehindernisse bei uns bleiben können. Es ist schließlich unsere Sache und, wenn Sie so wollen, im nationalen Interesse, wen wir bei uns haben wollen und wen nicht. Wir sind das Land in Europa, das die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Wir brauchen keine ständigen Appelle an unsere Verantwortung.
Ist es aber nicht zynisch, zu sagen, das Taliban-Regime ist so schlimm, dass wir damit einen Krieg rechtfertigen können, aber so schlimm ist es auch wieder nicht, dass wir Opfer aufnehmen müssen?
Der Kampf gegen Terroristen ist gerechtfertigt. Wo unschuldige Menschen bedroht werden, muss man sie natürlich schützen. Das tun wir auch. Aber wir können nicht alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen. Und die, die wir nehmen, schon gar nicht auf Dauer. Selbst Grüne sehen das so.
Glauben Sie wirklich, dass die Grünen sich alles wieder nehmen lassen, was sie gerade erst durchgesetzt haben?
Das werden wir sehen. Kanzler Schröder und die Grünen haben ja gemeinsame Erfahrungen bei der Vertrauensfrage gesammelt, wie man mit Gewissen arithmetisch umgeht.
Mit Otto Schily scheinen Sie sich ganz gut zu verstehen. Erst diese Woche haben Sie ihn wieder zu einem Gespräch getroffen.
Stimmt, ich pflege zu Bundesinnenminister Schily ein kollegiales und vertrauensvolles Verhältnis. Der Bundesinnenminister hat verstanden, welche Positionen im Gesetzentwurf im Sinne der Union geregelt sein müssen. Ihm ist auch klar, die große Koalition in Brandenburg ist nicht erpressbar, auch wenn manche in der SPD mit diesem Gedanken spielen.
Also schließen Sie aus, dass es so läuft wie bei der Steuerreform? Damals haben Sie zugestimmt, weil es finanzielle Vergünstigungen für Brandenburg gab. Auch jetzt ist wieder von einem ähnlichen Deal die Rede.
Das Bund-Länder-Verhältnis kann nicht dadurch gekennzeichnet sein, dass man sich Länder kauft oder versucht zu korrumpieren. Steuerrecht ist jederzeit wieder änderbar. Doch das Zuwanderungsgesetz, wenn das erst einmal verabschiedet ist, stellt Weichen für die Zukunft unserer Nation. Fehlentscheidungen sind hier nicht mehr korrigierbar.
Zunächst einmal geht es auch um eine Weichenstellung für den Wahlkampf. Welche Rolle spielt bei Ihrer Entscheidung die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten der Union?
Die Zuwanderung ist ein Thema wie die hohe Arbeitslosigkeit, steigende Gesundheitskosten und die wirtschaftliche Talfahrt. Im Übrigen haben Angela Merkel wie auch Edmund Stoiber klar gesagt, die Union wird dem derzeitigen Gesetzentwurf zur Zuwanderung nicht zustimmen.
Aber nur Stoiber will die Bundestagswahl zu einer „Volksabstimmung“ über die Zuwanderung machen. Wenn Sie oder andere CDU-Länder zustimmen, wird ihm das schwer fallen.
Das ist richtig.
Aber nicht entscheidend für Ihr Abstimmungsverhalten?
Ich glaube, in beiden Fällen – Zustimmung oder Ablehnung – gibt es so viele andere Themen, die auf der Straße liegen. Auch Stoiber hat in seiner Rede auf dem CDU-Parteitag sehr deutlich gemacht: Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsentwicklung, Außenpolitik, Steuerpolitik – das sind alles bedeutende, wichtige Themen.
Aber keines ist so emotional besetzt wie die Zuwanderung. Wenn Sie noch so viel Änderungen durchkriegen – was bleibt, ist der Titel Zuwanderungsgesetz.
Zuwanderungsbegrenzungsgesetz! Darum geht es doch gerade. Es heißt „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung“. Wichtig ist nur, dass wir durchsetzen, dass sich das auch wirklich im Gesetz wiederfindet.
Trotzdem werden dann die Grünen herausstellen, dass sie ein Einwanderungsgesetz gemacht haben. Und Ihre Konkurrenten von rechts werden dagegen Wahlkampf machen.
Was heißt hier rechts? Sind Sie sicher, dass die Sozialdemokraten im Ruhrgebiet auch für so ein Gesetz sind? Niemand will einen Wahlkampf gegen Ausländer. Wir sind nur gegen die unkontrollierte Zuwanderung. Genau das können wir mit einem vernünftigen Gesetz hinbekommen.
Also wäre es Ihnen lieber, das Problem würde vor der Wahl gelöst?
Ich würde es befürworten, wenn das Thema Zuwanderung aus dem Parteienstreit herausgehalten wird. Aber wenn die Zuwanderung nicht so gelöst wird, dass wir mitmachen können, wird es automatisch Thema des Wahlkampfs werden. Wir können doch nicht unsere Grundüberzeugungen aufgeben, nur um Rot-Grün einen Gefallen zu tun. Sollen wir das dann auch bei der Arbeitslosikgeit und den anderen Themen?
Würden Sie notfalls auch die große Koalition in Brandenburg aufs Spiel setzen?
Wenn es zu einem Gesetzentwurf kommt, dem die CDU nicht zustimmen kann, wird sich Brandenburg enthalten. So schreibt es der Koalitionsvertrag vor. Stimmt der Koalitionspartner trotzdem zu, ist die Koalition beendet.
Und Sie wären nicht mehr Minister und stellvertretender Regierungschef.
Sie haben Sorgen!
Würden Sie gern Innenminister unter Kanzler Stoiber werden?
Sie wollen jetzt, dass ich auf diese Weise die K-Frage beantworte. Das tue ich aber nicht.
Nein, ich will nur wissen, ob Sie unbedingt in Brandenburg bleiben wollen.
Ich habe hier eine Aufgabe übernommen und die will ich voranbringen.
Sie würden es aber auch nicht ausschließen, eine Aufgabe in der Bundespolitik zu übernehmen?
Ich schließe aus, eine Frage zu beantworten, die sich nicht stellt.
Vielleicht stellt sie sich aber bald, wenn sich die SPD in Brandenburg entscheidet, lieber mit der PDS zu koalieren. Da könnte das Zuwanderungsgesetz als Ausstiegsgrund ganz gelegen kommen.
Wir haben hier in Brandenburg in zweieinhalb Jahren eine ganze Menge erreicht, das weiß sogar die PDS. Unsere große Koalition ist besser als SPD und PDS in den neuen Bundesländern. Wir sind ein gutes Vorbild.
Die Brandenburger SPD könnte eher Berlin als Vorbild ansehen, wo gerade Rot-Rot zu kommen scheint.
Die Entwicklung in Berlin ist für die Bürger dieser Stadt in höchstem Maße beklagenswert. Auch wenn ich das Interesse der Bundes-SPD sehe, Rot-Rot als zusätzlichlich Option auf Bundesebene salonfähig zu machen, glaube ich nicht, dass die Sozialdemokraten das auch in Brandenburg fördern. Wenn in Potsdam die große Koalition wegen der Zuwanderung scheitert und deshalb Rot-Rot kommt, wäre das für die Bundestagswahl eine hervorragende Ausgangsstellung – für uns.
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