: Denn Geld macht doch glücklich
Spendenparlament hilft sozialen Projekten beim Leben, manchmal Überleben: Eine Reise zu den Stätten guter Taten von Menschen, die helfen wollen ■ Von Sandra Wilsdorf
Die einen leben auf Hamburgs Sonnenseite. In ihren Jobs sind oder waren sie Entscheider, sie tragen feine Mäntel und Köpfe mit Bildung drin. Sie sind wohl das, was man mit „hanseatisch“ meint: Klug, kultiviert und dabei immer schön den Pelz nach innen. Wenn sie nicht wollten, müssten sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass es in Hamburg auch die anderen gibt. Die, die im Schatten leben, die mit weniger Glück oder weniger Kraft ihren Weg versucht haben.
Aber die von der Sonnenallee haben sich aufgemacht, die anderen kennenzulernen. Und so begegnen sie einander als Gebende und Nehmende, und dabei tauschen sie auch schon mal die Rollen, denn auch helfen hilft: Eine Reise mit den Spendenparlamentariern zu den Stätten ihrer guten Taten ist auch eine Reise der Kontraste. Denn die Parlamentarier sehen nicht so aus, als hätten sie ihre Tage jemals in einem Obdachlosentreff verbracht. Aber nun sind sie da.
Die, die beim Spendenparlament in Finanzkommission oder im Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit ehrenamtlich bis zu 20 Stunden die Woche arbeiten, haben in einer Befragung von ihren Mitgliedern erfahren, dass die sich in der Öffentlichkeit nicht ausreichend dargestellt fühlen. Mehr Öffentlichkeitsarbeit lautete der Auftrag an den Vorstand und also organisierte der einen Bus und zeigte Journalisten einige der sozialen Projekte in Hamburg, denen das Spendenparlament das Weiterleben ermöglicht oder zumindest erleichtert hat.
Erste Station: „SternChance“ im Norwegerheim im Schanzenpark. Anne Knaack hatte die romantische Idee eines Freizeitzentrums für Jung und Alt, Arm und Reich im Schanzenviertel, das von Versnobbung ebenso bedroht war wie von Verslumung. 1999 bewilligte das Spendenparlament 18.000 Mark für den Wiederaufbau des seit einem Brand zerstörten alten Norwegerheims. Doch die Bauarbeiten verzögern sich, die eingeplanten Einnahmen des Vereins durch Cafébetrieb und Vermietung der Seminarräume lassen auf sich warten. Kurz vor dem Ziel droht dem Projekt das Aus. Doch das Spendenparlament hilft noch einmal mit 8.400 Mark, Betriebskosten für ein halbes Jahr. Heute läuft das Projekt, sind die Räume gut gebucht, Deutsch- und andere Kurse, Kindergospelchor, Babymassage und das Café erfreuen die Menschen aus dem Stadtteil: „Das ist hier ein Platz mit Herz“, sagt Anne Knaack, die heute Chefin des Cafés ist.
Zweite Station ist die Mission. Die hat sich künstlerische Maßnahmen gegen die Kälte auf die Fahnen geschrieben und beruft sich dabei auf Christoph Schlingensief. Der hatte 1997 gegenüber vom Schauspielhaus einen Raum für Künstler und Obdachlose besetzt. Doch die städtische Sprinkenhof AG wollte lieber Miete einnehmen, die Mission musste umziehen. Dabei half das Spendenparlament zum ersten Mal.
Heute kommen täglich 60 bis 80 Obdachlose in die Kaiser-Wilhelm-Straße. Tagsüber können sie sich und ihre Klamotten hier waschen, sich hinlegen, essen, trinken, sich aufhalten. Abends locken Konzerte Gäste an, die mit ihren Eintrittsgeldern das Projekt finanzieren. Ende vergangenen Jahres war das Spendenparlament erneut gefragt: Die schlechte Luft in den Räumen machte die Begegnung unangenehm. 32.000 Mark bewilligte das Spendenparlament, und „mir ist es dann gelungen, Sozial- und Kulturbehörde die restlichen 16.000 Mark aus den Rippen zu leiern“, sagt Erich Wanko stolz. Wanko ist im restlichen Leben Informatiker und Spendenparlamentarier der ersten Stunde, „ich war damals fertig damit, immer irgendwo Geld hinzuschicken. Ich wollte was machen“.
Dafür ist auch Jürgen Jelocha, Mitarbeiter der Mission, ihm dankbar. Er und alle anderen, die in der Mission arbeiten, tun das ehrenamtlich, „wir leben alle von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe“. Bei seinen Bittstellereien in den Behörden hat er erfahren: „Man hat eher eine Acht im Fahrrad als fünf Mark erbettelt“.
Deshalb ist er foh über das Spendenparlament, „mittlerweile zählt unser Urteil bei Behörden und Wirtschaft etwas“, sagt Wanko. Das mag auch daran liegen, dass die Finanzkommission jede Bitte um Geld genau prüft. Jede einzelne geht zuerst bei Barbara Tode ein. „Ich prüfe zunächst, ob die formalen Kriterien erfüllt sind.“ Beispielsweise: Handelt es sich um ein Projekt in Hamburg, geht es um eine Einzelfallfinanzierung? Dauersubventionierung gibt es nämlich nicht. „Niemand hängt an unserem Tropf“, erklärt Tode, die übrigens ihre Arbeitstage bei der Oberfinanzdirektion verbringt. Das sei wichtig, denn „wir können ja keine Arbeitslosen produzieren, nur weil eines Tages 3000 Parlamentarier austreten“.
Danach sieht es momentan jedoch nicht aus: 3.000 Mitglieder hat das Parlament, zwei Drittel von ihnen sind von Anfang an dabei. Unter ihnen Journalisten, Pastoren und Manager, Ruheständler ohne Lust auf Ruhe. In den sechs Jahren seiner Existenz hat das Parlament über vier Millionen Mark verteilt, und bisher musste noch keine Bitte aus finanziellen Gründen abgeschlagen werden. Genügt ein Projekt den formalen Anforderungen, nimmt Barbara Tode es mit zu den monatlichen Sitzungen der Finanzkommission.
Dort findet sich ein Projektbetreuer, der die Sache näher unter die Lupe nimmt. Und manchmal auch sein Herz dran hängt, „wir haben in der Kommission oft harte Diskussionen, aber das ist wohl nötig, um die Projekt auf weiche Stellen abzuklopfen“, sagt Georg von Oppen. Denn die würden spätestens die Parlamentarier bemerken und dann das beantragte Geld nicht bewilligen. Und so formuliert die Kommission erst dann eine Beschlussempfehlung, wenn die Mehrheit der Kommissionsmitglieder überzeugt ist. Das Parlament tagt etwa alle drei Monate und kann einen Antrag hinterfragen, reduzieren oder ablehnen.
Dritte Station der Fahrt ist das Nachbarschaftsheim St. Pauli. In der Kinder- und Jugendtagesstätte ist jeden Tag bis 22 Uhr geöffnet, „denn der Stadtteil hat einen 24-Stunden-Rhythmus“, sagt Jens Körner, der seit 21 Jahren hier lebt und arbeitet. Er sagt über seinen Stadtteil: „Hier herrscht eine andere Ellbogenmentalität, hier fließen Energien, und wir versuchen, dass die nicht zerstörerisch sind.“ Deshalb halte er auch nichts von Häkeln, Batiken und erhobenen Zeigefingern, „wir machen offene Angebote“. Wo es keine Familienstrukturen mehr gibt, geht es um Tagesabläufe, „wir versuchen zu heilen“. Das Spendenparlament hat dafür einen neuen Fußboden spendiert, auf dem nun Tischtennisplatte, Billardtisch und Kicker stehen.
Nebenan, in der Altentagesstätte, treffen sich alte Menschen, „wir machen hier psychosoziale Einzelfallbetreuung für Menschen, die es in anderen Stätten schwer haben“, erzählt Mona Yinga. Sie haben Depressionen, müssen Traumata durch Kriege oder Nationalssozialismus verarbeiten, und wenn sie nicht kommen können, besucht Mona Yinga sie zu Hause. Manche hat sie durch ihre letzten Stunden begleitet, „vielen ersetzen wir die Familie“. Das Spendenparlament hat im vergangenen Jahr ihre Stelle finanziert. Nun hat das eine Stiftung übernommen.
Die letzte Station ist die Oase in der Fruchtallee in Eimsbüttel. Der Wohnungslosentreffpunkt war vor einigen Monaten akut gefährdet, weil SAM und ABM-Stellen ausliefen. Das Spendenparlament übernimmt die Überbrückungsfinanzierung des Fahrers, der bei Haushaltsauflösungen Möbel abholt, die in der Oase verkauft werden, wovon wiederum der Treff betrieben wird. Die Oase macht längst, was der neue Senat will: Obdachlose dezentral und in kleinen Einheiten unterbringen. „Wir mieten Wohnungen für Obdachlose an“, sagt Rosi Eggers, Herz und Hirn des Selbsthilfe-Projekts. Alle fünf Wochen guckt sie in den Wohngemeinschaften nach dem Rechten. Denn wer von der Straße kommt, der hat manchmal die Tendenz, alles zu sammeln und nichts wegzuwerfen. Auch Lebensmittel nicht, die längst verdorben sind.
Aber die Oase ist nicht nur Aufenthalt für Obdachlose, die sich hier waschen und satt essen können, „es kommen auch Rentner aus dem Stadtteil, wir sind eine Begegnungsstätte“, sagt Rosi Eggers, die diesem Projekt 70 bis 80 Stunden die Woche widmet. Hier kann jeder für eine Mark essen. Wer Geld zu geben hat, übernimmt Patenschaften.
Denn, so haben auch die Spendenparlamentarier begriffen: „Geld macht glücklich.“ Manchmal jedenfalls.
Mitglied des Hamburger Spendenparlamentes kann jeder werden, der jährlich mindestens 120 Mark spendet. Dafür erhält er automatisch Sitz und Stimmrecht. Informationen: 040-306 20 319 oder www.spendenparlament.de
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