Kreuzüber in Kabul

Das Problem der Filmemacher ist das der Kriegsberichterstatter, und doch sind ihre Filme lehrreicher und intensiver als die aktuellen Bilder aus Afghanistan: Das Babylon-Kino in Mitte zeigt eine Reihe mit sechs Afghanistan-Filmen

Afghanistan, Afghanistan. Kaum ein Land hat man in den letzten Monaten so häufig gesehen. Die Bilderflut ist groß, sie suggeriert, man sei quasi dabei und wisse, was los ist. In manchen Kanälen werden die Bilder ohne Kommentar versendet. Manchmal gibt es auch Texte von Journalisten, die die eigene Berichterstattung problematisieren: Die Journalisten sprechen die Sprache der Leute nicht, über die sie berichten, sie sind auf Dolmetscher angewiesen, die zuweilen kaum Englisch sprechen, sie können nicht unabhängig arbeiten, sondern sind auf die sogenannten Warlords angewiesen. Wenn man wieder ein paar Tage geguckt hat, hat man das Gefühl, Tora-Bora sei eher Festung und Zuflucht der Schurken aus dem Herrn der Ringe, als real. Allein der Name!

Während Afghanistan inzwischen auf Platz 3 in den Nachrichten gerückt ist, zeigt das Babylon-Kino in Mitte eine Reihe mit sechs Afghanistan-Filmen. Naheliegend, wenn auch schwierig und problematisch. Denn das Land am Hindukusch verfügte selbst nie über eine funktionierende Filmindustrie; im Film wurde es nur von außen beschrieben, von Leuten, die, so engagiert sie auch sein mochten, mit ähnlichen Sprach- und sonstigen Problemen zu kämpfen hatten, wie die aktuellen Berichterstatter. Zumindest blieben sie, wenn sie Dokumentarfilme drehten wie der DDR-Dokumentarist Volker Koepp, länger als die Topkriegsjournalisten, die vermutlich längst im Nahen Osten sind.

Volker Koepp also, der zuletzt durch seine Wittstock-Dokus und „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ reüssierte, war 1983 nach Afghanistan gefahren. „Afghanistan 1362 – Erinnerungen an eine Reise“ ist ein sehr persönlicher Film, der nie so tut, als könne er objektiv aus dem Land berichten, in das die Russen 1979 einmarschierten. Über den Bildern, die die Fremdheit betonen, liegt der persönliche Offtext des Regisseurs. Man fährt an Kindern und Leuten vorbei, die einen anschauen, deren Worte man nicht versteht, schaut aus dem Hotelzimmer auf wuselige Basare in einem wunderschönen Dämmerungslicht, sitzt auf roten Teppichen in grünen Zimmern, hört Musik, die fremd ist und verlockend usw. Der persönliche Text mit kritischem Subtext wechselt mit objektiven Daten, Gerd-Ruge-mäßigen Reportageteilen über Landreform, Fabriken, Alphabetisierungskampagnen. Die Daten dürften sich nicht entscheidend verändert haben. Nur schlimmer eben: Lebenserwartung: 40 Jahre, 90% Analphabeten, Krieg usw.

Zwei Filme sind actionreiche Propagandastreifen der Imperien, die in den Achtzigerjahren ihre Stellvertreterkriege in Afghanistan führten. Sylvester Stallones 1987 gedrehter „Rambo III“ berichtet, wie der gleichnamige Vietnamveteran und Superheld von der CIA nach Afghanistan gesandt wird, um einen befreundeten Oberst aus der Hand der russischen Besatzer zu befreien. Und der in Kooperation zwischen Mos- und Afghanfilm produzierte „Heißer Sommer in Kabul“ (‘83) ist sozusagen das sowjetische Gegenstück zu Rambo III: Der sowjetische Medizinprofessor Fjodorow kommt 1982 nach Kabul, um Vorlesungen zu halten, und erlebt dort die Härte der Auseinandersetzungen mit der „Konterrevolution“, also mit den Taliban, die damals noch von den USA unterstützt wurden.

Der 1999 gedrehte italienische Dokumentarfilm „ ‚Jung‘ (Krieg) im Land der Mudschaheddin“ ist der härteste Film der Reihe. Seit mehr als einem Jahr wurde er auf diversen Festivals gezeigt und fand erst in diesem Jahr einen Verleih. Die Filmemacher Fabrizio Lazzaretti und Alberto Vendemmiati begleiteten den italienischen Journalisten Ettore Mo auf einer Reise in den Norden Afghanistans. Sie treffen den Arzt Gino Strada, der ein Krankenhaus an der Front aufbauen will. Der Film berichtet in drastischen Bildern von der katastrophalen Lage der Bevölkerung und den Versuchen der Ärzte, den Menschen zu helfen. Immer wieder Landminenopfer mit schlimmsten Verletzungen, zermatschte Füße, quälende Bilder von Operationen. Als einem Jungen der Fuß abgesägt wird, wendet sich die Kamera glücklicherweise ab. “Die Taliban werden von Pakistan und den USA bezahlt“, sagt ein wütender Krieger. Das Krankenhaus repariert nicht nur die Menschen, sondern ist auch eine Art sozialer Utopie. Menschen verschiedener Nationen arbeiten mit der Bevölkerung hier zusammen. Waffen und Ganzkörperschleier sind verboten. Kritiker werfen den Filmemachern Narzissmus und zu schöne Bilder vor, und dass sie die Menschenrechtsverletzungen der Nordallianz ignoriert hätten. Doch so drastisch wurden selten die Schrecken der Afghanistan-Kriege vorgeführt.

Etwas aus dem Rahmen fällt „The Crossing“. Der Film von Nora Hoppe beschreibt ohne jede Rückblende einen Tag im Leben eines afghanischen Exilanten. Er heißt Båbåk (gespielt von Behrouz Vossoughi, der im vorrevoultionären Iran ein großer Star war), lebt seit zwanzig Jahren in einer heruntergekommenen Pension in Brüssel, ist arm und schweigsam, sein Gesicht zerfurcht und geschlagen vom Leben. Direkt mit Afghanistan hat der düster-traurige, atmosphärisch an die Filme von Alexander Sokurow erinnernde Film nichts zu tun.

Der Held könnte auch aus einem anderen Land geflohen sein. Schade, dass es keine positiven Filme aus oder über Afghanistan zu geben scheint.

DETLEF KULBRODT

Bis 19. 12, Babylon-Mitte, Rosa-Luxenburgstr. 30, Termine cinema-taz