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Tanz auf dem Oberdeck

■ Das neue Clubformat „Nouvelles Frontières“ in der Kampnagel Music Hall: Auftakt mit Jochen Rollers und Natascha Vahlendiecks „Holiday Club Simulation“

Der Gründer des Institutes für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, Adrzej Wirth, gab den ersten beiden Jahrgängen seines Studienganges einen Namen: Die neuen Coolen. Am Anfang unterichteten dort Robert Wilson und Heiner Müller. Am nahe gelegenen Theater am Turm in Frankfurt inszenierten Jan Lauwers und Jan Fabre. So war es nicht verwunderlich, dass die überwiegende Theatersprache auf der Probebühne in Gießen streng und kühl war. Dort herrschte ein Hauch von Under-statement und erzwungener Abstraktion. Humor und verspieltere Bühnenstücke brachten erst die kommenden Jahrgänge ins Spiel. Dies war auch die Zeit, in der die Choreographen Fredericke Lampert, die inzwischen für Amanda Miller in Freiburg arbeitet, und Jochen Roller, der nun seit fünf Jahren in Hamburg wohnt, ihr Studium in Gießen begannen. Cool ist die Tanzsprache von Jochen Roller immer noch, auch wenn sein Choreographiestil inzwischen eher einem halbalkoholischen Drink ohne Eis gleicht.

Rollers Bühnensprache liegt genau zwischen Aufwärmübungen und anstrengendem Tanzpart. Seine Tänzer bewegen sich wie Discobesucher, die nach dem Abhotten an der Bar auf ein weiteres Getränk warten. Neben klassischem Ballett fasziniert Roller vor allem die Welt des Pop: „Pop bedingt ein anderes Bezugssystem als die klassische Musik. Pop ist in seiner Machart viel knalliger und direkter als alle Klänge, die bisher für Aufführungen verwendet wurden. Tanz ist immer deshalb so hip, weil sich die Leute wieder vorstellen können, zuerst eine Aufführung im Theater zu besuchen, um danach in einem Club abzutanzen. Sie benutzen die Choreographie als Appetizer für ihre langen Clubnächte.“

Neben populärer Musik verwendet Roller auch Sprache in seinen Stücken. Damit werden seine Aufführungen auch angreifbarer, denn er löst sich damit von dem Schutzschild, das die Abstraktheit von Tanz darstellt, bei der sich jeder seinen Teil denken kann.

Roller erstellte nicht nur Choreographien für Theaterstücke von Matthias von Hartz und Showcase beat le mot, er tanzte auch in Videos internationaler Dance Acts. Jetzt lädt er zu einer „Holiday Club Simulation“ auf Kampnagel ein. Die Zuschauer können in der Music Hall einchecken und sich auf eine real kaum zu bezahlende Reise begeben. Mit seiner Kollegin Natasha Vahlendieck entführt er seine Gäste auf einen Kurztrip zu den Cook-Inseln, dem neuen Mekka der Fashion Welt. Dann schifft man sich nach Grönland ein, wo sich unter der Mitternachtssonne die angesagte Latino Szene trifft. Entspannung garantiert.

Arsen Dedic

 heute, 22 Uhr, Kampnagel

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