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Macht & Champignonsuppe

■ 50 Jahre und kein Ende: Ein Schwimmmeister ist seit 1951 in der Gewerkschaft. Jetzt bekamen er und andere Langjährige dafür Orden und Geschenke

„Bremer tragen keine Orden“, brummt Heinz Hillebrecht und packt den kleinen goldenen Anstecker zurück in die Pappschachtel. In Rot ist „ÖTV“ darauf eingeprägt, das Logo der ehemaligen Gewerkschaft für öffentlichen Dienste, Transport und Verkehr. Daneben in weiß eine Zahl: „50“.

Es ist ein Geschenk Ver.dis, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. Geschäftsführer Wolfgang Schäfer und Herbert Mai, ehemals Vorsitzender der ÖTV, stehen im Festsaal des Hotel Munte und verteilen mit den Ansteckern Wein, Urkunden und nette Worte an die Geladenen. Mindestens 50, manche auch 70 und 80 Jahre lang sind die etwa 400 Anwesenden schon Mitglieder der Gewerkschaft.

Viele tragen bereits ihre Anstecker und fachsimpeln über die Flaschen „Bremer Ratskeller“. Andere warten an langen weiß gedeckten Tischen sitzend darauf, nach vorne gerufen zu werden. Hektische Kellner sorgen dafür, dass ihre Gläser voll bleiben. Heinz Hillebrecht nimmt sich Bier und dreht erfreut die Weinflasche in den Händen: „Da habe ich gleich ein Weih-nachtsgeschenk für meine Frau“, sagt er mit einem kleinen Lächeln. „Und der Anstecker kommt zu Hause in ihre Schmuckkiste. Da liegt schon der für 25 Jahre ÖTV und ein paar vom Schwimmverein. Leute, die mit Orden rumlaufen, sehen doch aus wie Pfingstochsen.“

Als Schwimmmeister ist Hillebrecht 1951 in die ÖTV eingetreten. Nach Gründen gefragt, wägt er seine Worte ganz bedächtig. „Das war eine sehr schlechte Zeit damals,“ meint er schließlich zögernd, „Es war wichtig, in der Gewerkschaft zu sein, denn die hatte die Macht.“

Einen Stundenlohn pro Woche trat er damals als Beitrag ab, „damit das Kapital nicht immer mächtiger wird und der kleine Mann darunter zu leiden hat. Über die Gewerkschaft kann er immerhin mitreden.“

Als vorne Wolfgang Schäfer ans Mikrofon tritt, verstummt Hillebrecht. „Wir haben nach der Gründung von Ver.di noch einige praktische Schwierigkeiten, aber wir sind keine Papiertiger und werden unsere Interessen klar machen!“, verkündet Schäfer.

Hillebrecht ist nicht überzeugt. Heutzutage, so glaubt er, kann selbst der vereinte Koloss Ver.Di wenig ausrichten: „Ich befürchte, dass heute nur das Kapital regiert“ sagt er fast entschuldigend.

Als die Kellnerin vorbeikommt, tauscht er sein leeres Bierglas gegen ein volles und raucht, das Gesicht abgewandt.

„Ich bin vor 40 Jahren in die Gewerkschaft eingetreten, weil ich dafür einen Urlaub in Österreich geschenkt bekommen habe, das haben die damals so gemacht“ erzählt sein Sitznachbar in das Schweigen hinein.

Ein Kellner stellt ihm Champignonsuppe hin, der Sahnetupfer ist schon geschmolzen. „Vielleicht gibt es irgendwann gar keine Gewerkschaften mehr“, sagt der Nachbar.

Hillebrecht schweigt und löffelt. 50 Jahre lang hat er für den Schwimmverein „Bremen 1910“ gearbeitet. „Die Schwimmer haben immer zusammen gehalten, auch während des zweiten Weltkriegs“ sagt er. „Vor 1933 hieß der Verein noch „Freier Schwimmerverein Bremen 1910“. Das ,frei' hat man dann später weggelassen, und nach dem Krieg waren wir sowieso frei.“ Was die Gewerkschaft für ihn erreicht habe? „Wir haben es geschafft, dass Schwimmmeister jetzt ein Lehrberuf ist“, sagt er. „Jetzt soll sie dafür sorgen, dass die Löhne stabil bleiben.“ Er selbst ist inzwischen pensioniert. Den Gewerkschaftsbeitrag zahlt er nach wie vor. „Als Rentner sind das nur 10 DM im Monat“, sagt er. „Wenn man so lange dabei war – irgendwie ist der Idealismus doch da.“ Er will auch in 20 Jahren wieder unter den Jubilaren sein.

Theresa Bäuerlein

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