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demenz, westberlin, etc.Juhnke ist nicht mehr da

Wir kannten keinen anderen

Komisch, über Harald Juhnke in der Vergangenheitsform zu schreiben. Der Entertainer und Schauspieler ist ja nicht tot. Sein Geist ist verwirrt, sagt man. Im Pflegeheim murmele er Verse aus Molières „Der Geizige“, frage immer wieder nach Kollegen, die längst tot sind. Seine Frau sagt, Juhnkes Persönlichkeit zerbreche und löse sich auf; „er ist einfach nicht mehr da“ und „Er ist glücklich. Auf jeden Fall mehr als ich.“

Die Bunte, in der das stand, hat einen Sinn für Plots. Immer wieder frage er nach dem Aufnahmeleiter. Man denkt an ein Soprano-mäßiges Pflegeheim mit Demenzkranken in Seidenpyjamas, die mit hängenden Köpfen durch den Aufenthaltsraum schlurfen. Harald Juhnke ist nicht mehr da, weggeschifft, verpeilt, ganz woanders. Der öffentliche Juhnke, der zur Hälfte aus dem, was er machte, den Filmen, den Shows, dem nächsten ghostwritten Buch, zur anderen Hälfte aus den Berichten über seine Skandale, Alkoholexzesse, Nerven- und Kreislaufzusammenbrüche bestand, jener Juhnke ist nicht mehr.

Wir kannten keinen anderen. Da hängt er noch, in der Nähe des Zoos, seit Jahren, ganz groß auf einem schon etwas verblassten Plakat, was Chinesisches essend: das Symbol des untergegangenen Westberlins. Scheitern, wieder aufstehen, wieder scheitern, wieder aufstehen. Kein glücklicher Mensch, aber Klasse; kein Sinatra, auch wenn es wenige deutsche Entertainer gibt, die so elegant wie er eine Showtreppe hinabsteigen konnten. In jeder seiner Shows sang er „My way“.

Das architektonische Ensemble, in dem er da hängt, ist nicht mehr up to date. Man schaut in dies Gesicht: diese lustige Nase aber auch, das Grinsen des Nachkriegsschiebers, der er mal war, als es das Wort Teenager noch nicht gab. Juhnke war: ein großer Junge, der immer geliebt werden möchte; ein merkwürdiger älterer Herr, ein „alter Sack“ (Juhnke). Natürlich: die alte Dorian-Gray-im-Spiegel-der-Boulevardpresse-Geschichte; das öffentliche Bild, die tausend Artikel, die Filme; die spannende öffentliche Geschichte mit ihren Katastrophen, Triumphen, unterbrochenen Rekonvaleszenzen; eine Geschichte, die – wenn man die Artikel der letzten zehn Jahre nebeneinander legt, was ich grad tue – auf ein katastrophisches Ende hinauslaufen muss. Sonst macht das keinen Sinn. Und so ein Leben dahinter, die Selbstwahrnehmung, die von der Fremdwahrnehmung aufgefressen wird und die „weiße Logik des Alkohols“ (Jack London), die das alles antreibt.

Im Gesicht sah Harald Juhnke aus wie mein ehemaliger, schwuler, trinkender Hausmeister – auch er ein prototypischer Westberliner –, der irgendwann völlig vereinsamt im größten Müll vor dem Fernseher starb. Juhnke war tragisches Theater. Das Theater beruhe auf einem masochistischen Prinzip, hatte der Psychoanalytiker Theodor Reik geschrieben. Die Inszenierung ist integraler Bestandteil des Masochismus und: erst Strafe, dann Erfolg; erst grauenhaftes Lampenfieber, dann der Triumph.

„ ‚Erst mal ’n Bier!‘ – ‚Ein Bier. Bitte sehr. Keinen Schnabus?‘ – ‚Schnabus – hm, gegen die Kälte, die Pest und die Lepra: hm, Sie ham Recht, ’n Klaren.‘ – ‚Doppelten?‘ – ‚Bitte.‘ Die Kühlschranktür klickt, das Tulpengläschen stubst auf, aus dem Flaschengießer ploppert es, die Kühlschranktür tönt: klack. ‚Zum Wohle, Herr Juhnke.‘ ‚Danke. Prost – ahhhhhhh.‘ “ (Juhnke, „Die Kunst, ein Mensch zu sein“)

DETLEF KUHLBRODT

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