Scientologen siegen

Verfassungsschutz darf keine Mitglieder der Organisation mehr anwerben, sagt das Berliner Verwaltungsgericht. Nachrichtendienstliche Überwachung kann allerdings fortgesetzt werden

von ADRIENNE WOLTERSDORF

„Dieses Urteil ist ein Meilenstein“, sagt Georg Stoffel sichtlich erleichtert. Der Sprecher der Scientologen verteilt nach der Gerichtssitzung eilig eine vorbereitete Erklärung an die Presse. Der Münchner ist sicher, dass seine Organisation mit dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts in der Tasche ihrer bundesweiten Überwachung bald ein Ende bereiten kann. Rudolf Böcker, Sprecher des Moabiter Gerichts, wollte den Entscheid allerdings sachlicher verstanden wissen. Es sei lediglich entschieden worden, dass der Verfassungsschutz in dieser Sache „keine Vertrauensleute mehr anwerben darf“. Mit diesem Urteil hatte der Vorsitzende Richter Neumann der Klage der selbst ernannten „Scientology Kirche Berlin“ stattgegeben. Die hatte ihre Grundrechte durch die Verfassungsschützer massiv verletzt gesehen.

Die Berliner Filiale der in Los Angeles beheimateten Organisation hatte die Klage bereits im Juli 1998 formuliert, nachdem ein vom Verfassungsschutz eingeschleuster ehemaliger Stasimitarbeiter aufgeflogen war. Der enttarnte V-Mann hatte zudem einen hochrangigen Polizei-Verantwortlichen fälschlicherweise der Scientology-Mitgliedschaft beschuldigt. Nach Aufklärung des Skandals wurde die damalige Behörde des Landesverfassungsschutzes aufgelöst und neu gegliedert.

Mit dem Urteil vom Donnerstag schränkte nun erstmals ein Gericht die seit 1997 begonnene bundesweite Überwachung der Ron-Hubbard-Organisation ein. Neumann machte bei der Urteilsverkündung aber deutlich, dass andere nachrichtendienstliche Behandlungen von der Klage nicht betroffen seien. Die Innenministerkonferenz der Länder hatte 1997 die Überwachung der selbst ernannten Religionsgemeinschaft beschlossen. Grund dafür war die Annahme, dass deren politische Ziele in Konflikt mit dem Grundgesetz stünden. Die Organisation selbst sieht sich als „Wissenschaft“, die über allen existierenden Religionen steht. Besonders fragwürdig ist dabei das „Clear-Planet-Konzept“, wonach in einer künftigen Scientology-Weltordnung nur „gereinigte“ Mitglieder über Rechte verfügen sollen.

Heute könne sich der Verfassungsschutz nicht mehr auf die zu Beginn der Überwachung vorgebrachten Anhaltspunkte berufen, entschied das Verwaltungsgericht. Es bedürfe konkreter neuer Hinweise, die eindeutige Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung erkennen ließen. Die Berliner Innenverwaltung, der der Verfassungsschutz inzwischen unterstellt ist, sei der Pflicht zu einer „plausiblen Erklärung“ über den weiteren Einsatz von Vertrauensleuten jedoch nicht nachgekommen. Vielmehr habe die Innenverwaltung, vertreten durch Professor Friedhelm Hufen, nur Allgemeinplätze vorgebracht. Das Land habe sich bei seiner Verteidigung auf Schriften der Dianetiker berufen, die zum Teil aus den 60er-Jahren stammen und von Scientology heute anders interpretiert würden. „Es ist daher nicht nachvollziehbar“, so Richter Neumann, ob der Verfassungsschutz deshalb auf den Einsatz von V-Leuten angewiesen sei und damit ein gegenwärtiger Einsatz rechtmäßig sei.

Scientology-Sprecher Stoffel jedenfalls gab sich zufrieden. Nun könnten die Berliner Mitglieder sich „endlich wieder sicher fühlen“. Niemand müsse mehr Angst haben, sagte Stoffel, vor „Ausspitzelung und Judaslohn-Angeboten“. So sollen einem Mitglied 5.000 Mark in bar geboten worden sein, um ihn als Informanten des Verfassungsschutzes anzuwerben.