piwik no script img

Gegenwind für Gipfelgegner

Zur Demo am Vortag des EU-Gipfels in Brüssel schaffen es nur wenige der erwarteten 80.000 Gewerkschaftler. Aktivisten, die sich am Gebäude der Chemielobby angekettet hatten, sollen ausreisen

BRÜSSEL taz ■ Der Metro-Fahrer ließ es gestern typisch belgisch angehen: Alle, die zur Demo wollten, sollten jetzt mal aussteigen, meinte er gemütlich vor der Haltestelle Bockstael. Dort versammelten sich gestern Mittag Delegationen von Gewerkschaftsgruppen aus ganz Europa. Inzwischen gehört die Demo des Europäischen Gewerkschaftsbunds am Vortag zum halbjährlichen Gipfelritual wie das Familienfoto mit Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine.

Bei eisigem Wind wollten die Gewerkschaftler tapfer ihren angekündigten bunten Zug zum Heyselstadion umsetzen. Bis nachmittags schafften es aber nur wenige der erwarteten 80.000 Demonstranten, sich in den Brüsseler Norden durchzuschlagen. „Europe – that’s us!“ verkündeten trotzig die Spruchbänder, die der Sturm so heftig zauste, dass sie kaum zu lesen waren. „Nein zum Konvent – für eine Verfassunggebende Versammlung“, lautete eine Forderung an die Gipfelteilnehmer.

Um für eine bessere EU-Umweltpolitik zu demonstrieren, hatten sich bereits in der Nacht zu Mittwoch Globalisierungsgegner am Gebäude des Europäischen Verbands der Chemischen Industrie angekettet. Bis Mittwochmittag hatte die Brüsseler Polizei alle Ketten durchsägt und den Chemielobbyisten den Weg freigeräumt. 50 Demonstranten, zumeist Niederländer, wurden vorübergehend festgenommen

Als „viel versprechender Auftakt für den EU-Gipfel“ wurde das im Internet gewertet. Dort kann sich jeder unter belgium.indymedia.org über die Scharmützel zwischen Globalisierungsgegnern und belgischer Polizei informieren. Sämtliche Aktivisten wurden zunächst in ihrem eigenen Bus an die niederländische Grenze gebracht. Da sie sich weigerten, auszureisen, traten sie die Reise gestern erneut an – in Polizeiwagen. Einige Gruppenmitglieder spanischer und italienischer Abstammung mit holländischen Pässen sind noch im Gefängnis. Die belgischen Demonstranten wurden inzwischen freigelassen.

Im Europaparlament in Straßburg gab es am Dienstag einen Vorgeschmack, was in Brüssel passieren könnte, wenn heute die Antiglobalisierungsdemo stattfindet. In einer Anhörung mit dem Titel „Von Genua nach Laeken“ schilderte der Journalist Marcus Covell von Indymedia Großbritannien die Nacht des 21. Juli, als er vor die Tür ging, um zu rauchen, und wenig später mit Rippenbrüchen und inneren Blutungen im Krankenhaus lag.

Auch die belgische Polizei ist für ihre rüden Methoden berüchtigt. Im Augenblick sind die Beamten zusätzlich nervös, weil Gendarmerie und Polizei vor kurzem zwangsvereinigt wurden. Viele, die heute auf der Straße nebeneinander stehen, um Gebäude und Politiker zu schützen, kennen sich kaum und vertrauen sich noch nicht. Belgische Kommentatoren sprechen von einer „Feuertaufe“ für die neue Ordnungsmacht. Man kann nur hoffen, dass die Beamten das nicht all zu wörtlich nehmen.

DANIELA WEINGÄRTNER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen