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Weihnachtsgeschenk fürs Quartier

 ■ Das Viertel ist tot – es lebe das Viertel! Dealer, Dreck und deprimierte Händler – das war einmal. Die Leerstände im Steintorviertel haben sich in den letzten zwei Monaten tatsächlich halbiert

Sinalco, Sylter Fischsuppe, Thunfisch-Wraps und Möhren-Mandel-Muffins gibt's hier, ganz nett schubbert ein biss-chen Swing durch das schnuckelige „Take & Eat“ am Ostertorsteinweg. Cool snacken scheint gut anzukommen. So gut, dass sein Besitzer Ladislav Klein sogar plant, das Konzept auf ganz Deutschland auszudehnen. Kühne Pläne für einen Laden, den es erst seit sechs Wochen gibt. Und damit sind wir mittendrin in der Geschichte. Das „Take & Eat“ – so was wie ein Stehcafé – ist nämlich die Wende, ein neuer Meilenstein in der Geschichte des schönsten Stadtteils der Welt. Anfang und Teil des Booms, einer neuen Gründerzeit im Viertel. Das findet Klein naturgemäß auch: „Ich glaube an diesen Standort. Die Meile: Eine Schlagader der Stadt.“

Das Viertel ist tot – es lebe das Viertel! Dealer, Dreck und deprimierte Händler, die aus dem Kiez flüchten. Leerstand ohne Ende, das Viertel stirbt aus – das waren die Schlagzeilen, die Bremens Vorzeige-Stadtteil in der letzten Zeit langsam den Garaus zu machen drohten. Damit ist es aus, vorbei und Schluss.

Ortsamtsleiter Robert Bücking vermeldet es selbst – und nicht ohne Stolz: „Die Leerstände um das Steintor haben sich in den letzten zwei Monaten von zwölf auf fünf mehr als halbiert. Das ist ein Weihnachtsgeschenk für unser Quartier.“

Was da kommt, ist typisch Viertel. Das Uno, ein neues Stehcafé eines Pakistani mit Ciabatta, Wein und Spirituosen am Steintor verfolgt ein ähnliches Konzept wie das „Take & Eat“. Skijacken, Plüschmäntel und gebrauchte Levis 501 gibt es im „Label“ von Erick am Dobben. „Trendy und trashy“ soll der Secondhand-Laden sein, meint der Franzose, der acht Wochen nach der Eröffnung „schon ganz zufrieden mit dem Geschäft“ ist. Im Sommer will er Tische und Stühle nach draußen stellen, damit alles belebter aussieht – „wie in Paris“.

Zwei Jahre hat sein Laden leer gestanden. Erick ist wegen seines Freundes nach Bremen und wegen der geringen Miete und der guten Lage in die Gegend gekommen. Und er hofft auf noch mehr Belebung: „Nebenan renovieren sie schon.“ In dem ebenfalls seit längerem leer stehenden Laden hausierte „Immobilien Türkei Spezial“.

Am Dobben sprießen die Neugründungen derzeit wie Glühweinstände auf dem Weihnachtsmarkt aus dem Viertel-Boden. Ein Keramikladen, das neue Domizil des „Head-hunter“, eine mit einem Frisör kombinierte Schneiderei, ein Telefonladen. Demnächst soll die Sparkasse vorübergehend in die alten Räume der Bremer Bank ziehen.

Die Hoffnung, noch vom Weihnachtsgeschäft profitieren zu können, vor allem aber die gesunkenen Mieten hätten Händler in den letzten zwei Monaten zu Neueröffnungen bewegt, meint Bücking. „In der Gegend sind die Mieten fast um 30 Prozent gesunken“, erklärt der Viertel-Bürgermeister. „Das macht für einige fast tausend Mark weniger pro Monat.“ Außerdem würden viele Vermieter nicht mehr auf einem fünfjährigen Mietvertrag bestehen. Bei einigen Verträgen sei ein Kündigungsrecht von einem Jahr ausgehandelt worden. Bücking: „Damit haben die Händler die Chance auszuprobieren, ob ihr Konzept funktioniert.“ Natürlich sei auch föderlich, dass es jetzt mehr Polizei und den Quartierservice gebe.

Der Schriftzug über der Tür ist kaum getrocknet, das „just pretty“ hat erst am Samstag geöffnet. „Wir haben keine Angst vor dem schlechten Ruf des Viertels“, sagt Mustafa Aydinbas, der Chef des neuen Klamottenladens am Steintor. Ganz im Gegenteil ist das neue Geschäft für den Türken sogar „ein echter Aufstieg“ – vorher verkaufte er Kleider in der Neustadt. Der Geschäftsmann im jüngsten Beweis für den Viertel-Boom versteht das ganze Gerede ums Viertel eigentlich nicht. Aydinbas: „Hier ist es doch fast so belebt wie in der Fußgängerzone in der City.“

Kai Schöneberg

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