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Ein Platz an der Sonne

Die deutschen Fußball-WM-Quartiere – historischer Rück- und aktueller Ausblick

„Bei einer Weltmeisterschaft ist ein gutes Quartier schon die halbe Miete“, erläuterte unser aller Trainerguru Sepp Herberger während der WM 1958 seinem Assistenten Helmut Schön. Nachdem aber das WM-Viertelfinale gegen Jugoslawien gewonnen war, verbot der Chef das Minigolfen und ordnete einen Wechsel der Herberge an, weil sich die Spieler im Erfolgscamp Bjärred bei Malmö die Zunge aus dem Leib langweilten. Helmut Schön brach auf, durchkreuzte, illuminiert von „feenhaftem Licht“, wie seine prachtvoll schlicht betitelten Memoiren „Fußball“ preisgeben, halb Schweden und fand nahe Göteborg in Gottskär ein gottverdammtes Kurhotel mit Salzwasserbad. Die Freude des Adjutanten kannte keine Grenzen: „Alles aus Holz, sehr gemütlich!“ Seeler und Co. jedoch maulten noch bei der Ankunft: „Ist alles aus Holz!“ Und der Ausgang ist bekannt: Gegen Gastgeber Schweden sahen die deutschen Kämpen kein schöner Land mehr und anschließend den zugigen Flughafen.

Knapp 44 Jahre später scheint dem DFB größeres Glück beschieden. Die 22 Auswahlspieler, der Trainerstab, die Köche, der Funktionärstross und die Medizinmänner werden, bestätigte vor zwei Wochen DFB-Sprecher Gerhard Meier-Röhn, von Ende Mai 2002 an drei Wochen „in einer der größten und prominentesten Hotelanlagen Japans“ logieren. Im siebten und achten Stock des gewaltigen Hotels Sun Phoenix auf der südjapanischen Hauptinsel Kyushu hat man 70 Zimmer gebucht – Suiten ohne viel Holz vor der Hütten und mit phänomenalem Prospekt nicht auf endlose Fichtenwälder, sondern einen fingerzart zwischen Swimmingpool und Strand ziselierten „Pinienwald“ (dpa). Weit wird schweifen hoch droben Deislers Mittelfeldstrategenblick, sehnsüchtig werden leuchten des Keepers Kahn Augen, wenn die Sonne ihr abendliches Bad im Ermüdungsbecken des brodelnden Pazifiks nimmt. Und steigt sie hinterm Horizont des Landes der aufgehenden Sonne am nächsten neuen und erwartungsvollen Tag wieder aus ihrem Luxusbett, benötigen die Kameraden „nur fünf Minuten“ zum Trainingsplatz. Herrlich.

Ja, Japan ist nicht Schweden, das Achtel-, nein: das Halbfinale gebongt. Denn werden die quälenden Übungseinheiten absolviert sein und erlernt die taktischen Finessen, so löckt der künstliche Sandstrand des unmittelbar neben der Bettenburg gelegenen Ocean Dome, beschützt von meteoritensicherm Dach (falls es mal regnet), und es mildern die Pein der Muskel- und Hirnanspannung „Restaurants sowie diverse Showdarbietungen“ – nämlich Indoor-Beaching, Eierliköreinlaufen, Lachsackhüpfen mit Calli Calmund, Tante-Käthe-Klopfen mit Ecki Witzigmanns Kochtöpfen, Coca-Cola-Koksing, Sushi-Wettwegfressen und Schiri-Beschimpfungs-Schreitherapie. Nur das Beste für unsre Besten!

Die Anlage, schwärmte Meier-Röhn, sei „noch schöner, noch besser für die Mannschaft und für alle Beteiligten“ als das zunächst ins Auge gespießte Renaissance Naruto Resort, das Bjärred Japans – und besser, schöner als das Heilbad von Comanjilla nahe León, das Bundestrainer Helmut Schön 1970 ein Milton’sches „Paradies“ nannte, das auf Grund folgender Event-Qualities und alkoholfreier Attractions immerhin ein Halbfinale gegen Italien garantierte: „Vögel, die wir noch nie gesehen hatten, schwebten und schwirrten zwischen den Bäumen. Ein Thermalschwimmbecken, fünfzig Meter lang, glänzte wie ein Smaragd . . . Die Räume waren kühl . . . hatten Bäder, in die man ein paar Stufen hinabgehen musste. Wer wollte, konnte sich das 35 Grad warme Thermalwasser schon in diese Becken im eigenen Zimmer laufen lassen. Aber noch schöner war es natürlich, sich draußen in die warmen Fluten zu hängen: Schwimmen konnte man da kaum, aber als ‚Entmüdungsbecken‘ war dieser Pool wohl unüberbietbar.“

Richtig, Italien droht 2002 bereits im Viertelfinale. Doch es sollte keinen Kanonenvogel und Führer-Spitzen-Stukapiloten Hans Ulrich Rudel brauchen, den Putschistencompañero Hermann Neuberger 1978 ins argentinische Teamlager Ascochinga einflog, um die schlaffen Spielergockel am ragenden Beispiel ehern deutscher Siegertugend aufzurichten; während die Spieler sich dann auf dem Rasen ohnehin lieber totstellten und von Hans Krankl abschießen ließen.

Nein, das Sun Phoenix in Miyazaki ist keine Kamikazekaserne, sondern ein kuscheliger Horst, aus dem der Bundesadler aufsteigen und steigen und steigen und, vom Platz an der Sonne kommend, der Sonne so nah, zu nah kommen wird. Denn bei einer Weltmeisterschaft ist ein sehr gutes Quartier schon die halbe Niete. JÜRGEN ROTH

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