: Geschäfte mit Ehrenmännern
Sechs Jahre hat eine ostdeutsche Handwerkerfamilie um ihr Geld gekämpft. Alles war bisher ohne Erfolg. Heute sitzt sie selbst auf der Anklagebank
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Heute um 14 Uhr werden der Heizungsbau-Meister Lutz Schönemann und seine Frau Monika auf der Anklagebank des Amtsgerichts Gotha sitzen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Schönemanns versuchte Erpressung vor. Auf Erpressung stehen bis zu fünf Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe, versuchte Erpressung kann milder bestraft werden. Angezeigt hat die Schönemanns der Geschäftsmann Joachim P. Er sagt: „Es war an der Zeit zu sagen, jetzt ist Schluss.“
Schluss ist gut. Denn genau das wollen auch der Handwerker und seine Frau schon seit Jahren. Schluss mit dem Albtraum, in den sich ihr Traum von der Selbstständigkeit verwandelt hat und an dem nach ihrer Überzeugung Joachim P. mitschuldig ist. Sie wollen, dass endlich Schluss ist mit einer Geschichte, in der sie ihr ganzes Geld verloren haben, vergeblich bei Staatsanwälten und Politikern vorstellig geworden sind und in der Monika Schönemann im Schlafsack vor dem Brandenburger Tor hungerte.
Lutz Schönemann ist ein großer, kräftiger Mann, der nicht viel redet. Er ist einer, der zupackt. Aber seit drei Jahren verlegt der 62-Jährige keine Heizungsrohre mehr. 1998 meldete er seine Firma ab. Seitdem ist er arbeitslos. Ohne Bezüge und ohne Aussicht auf Beschäftigung. Die Schönemanns leben von 1.400 Mark monatlich, die sie mit der Vermietung von Pensionszimmern unterm Dach ihres Hauses einnehmen. „Ich spiele jetzt Hausmann“, sagt Lutz Schönemann lakonisch. Mit einem Blick zu seiner 58-jährigen Frau, die in der Heizungsfirma das Büro führte, sagt er: „Sie sagt mir, was zu machen ist.“ Im Wohnzimmerschrank der Familie steht ein Kopiergerät, das Einzige, was von ihrer Firma übrig geblieben ist. Ihr Haus konnten sie nur durch die finanzielle Unterstützung ihres Sohnes behalten. Monika Schönemann hat sich bis heute nicht von den Folgen des Hungerstreiks im vergangenen Jahr erholt, bei dem sie 30 Pfund verlor. Ihr Mann muss ihr täglich zu reden, halbwegs regelmäßig zu essen.
Endlich was Eigenes
Dabei hatte alles hoffnungsvoll begonnen. Ein halbes Jahr nach dem Mauerfall machte sich Lutz Schönemann mit einer Firma für Heizung, Lüftung und Klima selbstständig. „Ich wollte endlich was Eigenes haben und beweisen, dass ich das machen kann“, sagt er. Die ersten sechs Jahre liefen gut. Bald beschäftigten die Schönemanns mehr als zehn fest angestellte Mitarbeiter. Sie machten pro Jahr eine Viertelmillion Mark Gewinn. Alles lief gut. Bis zum Februar 1996.
Damals erhielten sie einen Großauftrag. Es ging darum, marode Plattenbauten in Gera zu sanieren. Das Gesamtvolumen: über eine Million Mark. Ihr Verhandlungspartner war Joachim P., ein gebürtiger Schleswig-Holsteiner und einer von vier Geschäftsführern der Stabitherm Wohnbau Sanierung GmbH, die mit Landesfördermitteln in Ostdeutschland Plattenbauten erwarb und sanierte.
Die Schönemanns waren sicher, dass sich Überstunden für den Großauftrag der Stabitherm lohnen würden. Denn sie hatten mit Joachim P. und dessen Mitarbeiter Holger K. mit kleineren Aufträgen gute Erfahrungen gemacht. Stabitherm zahlte pünktlich. Doch bei dem Großauftrag gab es mit einem Mal Probleme. Rechnungen in Höhe von 241.106,22 Mark blieben offen. Raten wurden angeboten und ebenfalls nicht gezahlt. Ein Vergleichsangebot, auf 48,1 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten, lehnten die Schönemanns ab. Ende 1996, als die Geldprobleme ihres Auftraggebers immer deutlicher wurden, schied Geschäftsführer Joachim P. aus. Monika Schönemann erstattete vorsorglich Strafanzeige wegen betrügerischen Konkurses und wandte sich an den MDR, der in einer Ratgebersendung einen Beitrag brachte. Daraufhin schickte ein Anonymus den Schönemanns firmeninterne Stabitherm-Unterlagen, die Aufschluss geben über ein weit verzweigtes Firmennetz mit den immer gleichen vier Geschäftsführern, über desolate wirtschaftliche Verhältnisse lange vor der Konkurseröffnung und über Geldtransfers ins Ausland. 1997 beantragte Stabitherm die Eröffnung des Konkursverfahrens. Das Büro von Bundeskanzler Gerhard Schröder dankte den Schönemanns für die tatkräftige Mitwirkung an der Aufklärung eines Betrugsfalles.
Wer betrügt, tut es clever
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder fast vier Jahre gegen Joachim P. und die anderen drei Geschäftsführer wegen Untreue, Konkursverschleppung und Steuerhinterziehung. Es wurde ein Vermögen von fast sechs Millionen Mark sichergestellt. Ein Haftbefehl gegen einen der ehemaligen Geschäftspartner von Joachim P. wurde wegen Krankheit ausgesetzt. Aber so recht kam die Sache nicht voran. Anfang dieses Jahres teilte die Frankfurter Staatsanwaltschaft den Schönemanns mit, dieses Jahr werde wohl Anklage erhoben. Doch seitdem hat die Handwerkerfamilie nichts mehr von den Ermittlern gehört. Die Beantwortung von Rechtshilfeersuchen an die Schweiz wegen Geldtransfers zieht sich hin. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagt entschuldigend: „Es handelt sich um schwierige Finanzgebaren. Wer betrügen will, tut das clever.“
Joachim P. ist noch immer Geschäftsführer, auch wenn die Firma nicht mehr Stabitherm heißt. Der 50-Jährige sitzt in einem schicken Bürogebäude in Berlin, unweit des Kaufhauses des Westens. Als er bei Stabitherm ausstieg, stieg er umgehend bei einer Tochter des Unternehmens ein, die ebenfalls mit dem Erwerb und der Sanierung von Plattenbauten zu tun hat. Joachim P. hat, ohne seine Anwälte zu konsultieren, wie er betont, einem Treffen mit der Presse zugestimmt. „Ich weiß gar nicht, ob das richtig ist“, sagt er leicht kokett, während die Sekretärin Kaffee bringt.
Joachim P. wirkt nicht unsympathisch, wohl aber wie jemand, der sich nicht ganz wohl fühlt in seiner Haut. Immer wieder fasst er sich mit der linken Hand an die rechte Brust, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Selbstverständlich bedauere er zutiefst, dass den Schönemanns großer Schaden entstanden sei. Allerdings: „Ich fühle mich nicht in dem Maße verantwortlich, wie ich verantwortlich gemacht werde.“ Immer wieder beruft er sich darauf, vor dem Konkurs die Firma verlassen zu haben. Mit seinen ehemaligen Partnern, versichert er, habe er nur noch vor Gericht zu tun. P. beklagt ausführlich „das schwierige Segment Plattenbauten“. Als das Gespräch beendet ist, bringt ein Mitarbeiter dem Chef Thainudeln mit Shrimps.
Vergeblich verhandelt
Während der Unternehmer P. das Stabitherm-Kapitel für sich abgeschlossen hat, haben die Schönemanns in den vergangenen sechs Jahren nichts unversucht gelassen, zu ihrem Geld zu kommen. Immerhin bestätigte auch das Erfurter Landgericht ihre Ansprüche. Dennoch haben sie bisher nichts bekommen. Weil stets Joachim P. ihr Ansprechpartner war, wandten sie sich auch an ihn, nachdem er schon nicht mehr Geschäftsführer der Stabitherm war. Nach mehreren Briefen meldete er sich schließlich 1998 – mehr als ein Jahr nachdem er das sinkende Schiff verlassen hatte, und schlug ein Treffen in Erfurt vor. Im Guten wolle er alles klären, zitiert Frau Schönemann den Unternehmer heute.
Monika Schönemann kann sich an jedes Detail erinnern. Denn sie hat alle Telefonate und Kontakte in einen Kalender eingetragen. Bei dem Treffen habe Joachim P. die Schönemanns gebeten, einen Vorschlag zur Güte zu machen. „Da habe ich gesagt, jeder der vier Geschäftsführer soll 40.000 Mark zahlen“, erklärt Lutz Schönemann. P. habe ihm versprochen, mit den anderen zu reden. „Er gab mir die Hand und sagte, er sei ein Ehrenmann und ich solle ihm vertrauen“, erinnert sich Monika Schönemann. Eine Woche nach dem ersten Termin habe P. ein Treffen in einer Berliner Anwaltskanzlei vorgeschlagen. „Er hat uns gesagt, das mit meinem Vorschlag geht in Ordnung“, berichtet Lutz Schönemann. Je Geschäftsführer 40.000 Mark und der Rest in notarieller Schuldverschreibung.
Die Handwerker fuhren nach Berlin, im Gepäck ein vorbereitetes Schreiben an die Staatsanwaltschaft, in dem sie den Ermittlern den geplanten Vergleich mitteilen wollten. Im Gegenzug sollten sie sich verpflichten, die Presse nicht mehr einzuschalten und die ihnen zugespielten Unterlagen zurückzugeben.
Die Fahrt nach Berlin hätten sie sich sparen können. Bei dem Termin wollte Joachim P. nichts mehr von dem Vorschlag wissen. Zu dem Gespräch sagt er heute: „Ich war der Meinung, ich sollte das nicht machen, egal mit welchen Konsequenzen.“ Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt.
Für die Schönemanns wurde es bizarr. Im Februar 1999 stieg ein junger Mann für zehn Tage in ihrer Pension ab. „Er war sehr nett und erzählte, dass er den Fernsehbeitrag über Stabitherm gesehen hat“, erzählt Monika Schönemann. Weil sie jedem, der es hören will, von „den betrügerischen Machenschaften von Stabitherm“ erzählt, gab sie ihm einige Ordner mit Unterlagen zum Lesen. Zweimal lieh sie ihm auch ihr Auto. Als er sich ein drittes Mal den Wagen borgen wollte und Lutz Schönemann aber damit unterwegs war, bat sie einen befreundeten Handwerker auszuhelfen.
Filmreife Räuberpistole
Noch heute macht sich Monika Schönemann Vorwürfe. Denn das Auto wurde in Berlin aufgefunden – von der Polizei – und die Schönemanns und der Besitzer des Wagens hatten ein Ermittlungsverfahren am Hals. Wegen versuchter räuberischer Erpressung. Sie wurden verdächtigt, den Pensionsgast, der sie um 600 Mark geprellt hatte, zur Einlösung ihrer Geldforderungen losgeschickt zu haben. Ein ehemaliger Stabitherm-Mitarbeiter hatte den Pensionsgast beschuldigt, ihn in einer Tiefgarage in Berlin bedroht zu haben. Mit vorgehaltener Gaspistole habe der 400.000 Mark verlangt und auf ihn geschossen. Schließlich habe er flüchten können, behauptete der ehemalige Stabitherm-Mitarbeiter. Weil in dem Auto Unterlagen über Stabitherm und Joachim P. gefunden wurden und das Auto auf einen Handwerker zugelassen war, dem Stabitherm ebenfalls Geld schuldet, landeten die Schönemanns vor dem Berliner Landgericht. Doch der Richter fand keine Anhaltspunkte dafür, dass die Handwerker den Mann angeheuert hatten. Das Verfahren wurde eingestellt. Eingestellt wurde auch das Verfahren gegen den ominösen Pensionsgast wegen versuchter räuberischer Erpressung und Körperverletzung, nachdem der ehemalige Stabitherm-Mitarbeiter seine Beschuldigungen stark relativierte. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft stellt fest: „Die ganze Geschichte stinkt.“
Die Schönemanns glauben, die filmreife Räuberpistole sei eigens zu ihrem Schaden eingefädelt worden: „Wir sollen mürbe gemacht werden.“ Nur beweisen können sie das nicht.
Heute treffen sie sich also wieder. Die ostdeutschen Handwerksleute mit der einst so viel versprechenden Firma und der westdeutsche Unternehmer mit dem einst so verheißungsvollen Großauftrag. Wegen der regelmäßigen Schreiben der Schönemanns, in denen sie ihr Geld forderten, hat Joachim P. sie angezeigt. Sie hatten immer wieder damit gedroht, Stabitherm-Unterlagen an die Medien zu geben. Die Staatsanwaltschaft wirft den Schönemanns vor, viele Briefe an P. noch zu einem Zeitpunkt geschrieben zu haben, an denen sie wussten, dass er nicht mehr Geschäftsführer der Stabitherm war. Die Schönemanns argumentieren, der Mann habe ihnen auch lange nach seinem Ausscheiden stets zu verstehen gegeben, dass er auch für die anderen Geschäftsführer spreche.
Joachim P., nun Zeuge der Anklage, gibt sich vor dem Prozess milde: „Die Leute sind schon arm genug dran. Ich erhoffe mir nicht unbedingt, dass sie mit einer großen Strafe rausgehen“, sagt er. Das von ihm angestrengte Verfahren will er als „ein Ausrufezeichen“ verstanden wissen. Als Ausrufezeichen kann man auch das verstehen, was die Schönemanns sagen. „Wir glauben noch immer an Gerechtigkeit.“
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