: Ein Chor kommt selten allein
Fünfzehn Freunde müsst ihr sein: Der Popchor singt Coverversionen von Popsongs zu Playback-Melodien vom Minidiscplayer. Auf Ironisierung wird verzichtet: Die Chor-Fassungen von HipHop bis Heavy Metal verstehen sich als Hommage an die Originale
von MONIKA RINCK
Der Türsteher, der Anfang Dezember beim ersten Auftritt des Popchors im Roten Salon den Zugang regelte, war durchaus amüsiert. Die Parole, an der man diejenigen erkennen konnte, die dazugehören, war diesmal kein Name auf einer Liste, sondern ein T-Shirt. Ein eigentümliches Ritual wiederholte sich mehr als zwanzig Mal. Unter mehreren Schichten Winterkleidung musste das schwarze T-Shirt freigelegt werden. Darauf war keine Drohung à la „Django zahlt nicht“ zu lesen, sondern verschiedene Stimmlagen: Sopran, Alt und Bariton.
Und ein einziges Mal auch „Leitung“. Das Einzelexemplar gehört Almut Klotz, die im Juni dieses Jahres den Popchor ins Leben gerufen hat, der inzwischen auf sechsundzwanzig Mitglieder angewachsen ist.
Eigentlich schwebte ihr nach dreizehn Jahren Poppraxis, zu der die bekannte Band Lassiesingers und zuletzt Maxi unter Menschen gehörten, als ideale Formation ein Duo vor, erzählt sie mir, als ich sie nachmittags im Café Gorkipark treffe. Angesichts des aufreibenden zwischenmenschlichen Hin und Hers in Band-Zusammenhängen kam ihr die Aussicht, sich nur noch auf eine andere Person zu beziehen, geradezu paradiesisch vor. Da überrascht es anfangs ein wenig, sie nun als treibende Kraft eines vielstimmigen Chores anzutreffen. Doch so groß sind die Unterschiede vielleicht gar nicht, denn genau besehen gibt es den Chor auf der einen Seite und seine Leiterin auf der anderen. „Ich bin der Chef“, sagt Almut Klotz klipp und klar. Alte Konflikte um die Probenmotivation entfallen. Für den Popchor wurde ein E-Mail-Verteiler eingerichtet, und sobald mindestens fünfzehn Personen Zeit hatten, konnte geprobt werden. Zu Anfang fanden die Proben im Maria am Ostbahnhof statt. Als die Tage dunkler und kälter wurden, stellte das Deutsche Theater freundlicherweise seine Baracke zur Verfügung.
Natürlich ist ein Chor keine Band. Das wird schon dann offenbar, wenn elementare Absprachen mit einem Mal problematisch werden. Freigetränke für vierundzwanzig Personen? Vor dem Auftritt noch schnell zusammen eine Kleinigkeit essen? Der Versuch, den Abend in einem Club ausklingen zu lassen, wird zu einem Projekt, in dessen Verlauf der entsetzte Türsteher nicht nur den Mengenrabatt, sondern gleich den Zugang verweigert: „Als Zwanzig-Leute-Gruppe kommt ihr hier überhaupt nicht rein.“ Da heißt es sich parzellieren und peu à peu in Zweier- und Dreiergrüppchen hineinmogeln. Von Tourneen ganz zu schweigen – welcher Veranstalter kann sich schon fünfundzwanzig Hotelzimmer leisten?
Aber Almut Klotz steht auf Chöre, stand schon immer auf Chöre, sagt sie von sich selbst. Nach den üblichen entwicklungspsychologischen Choretappen wie Kinderchor, Jugendchor und Schulchor trat sie in Berlin während ihrer Schwangerschaft sogar in einen Kirchenchor ein. Einen eigenen Chor zu gründen war dann nur noch eine Frage der Zeit. Wer solchen stimmstarken Kollektivprojekten per se kritisch gegenübersteht, wird auch am Popchor wenig Gefallen finden. „Dass mehrere Menschen das Gleiche tun, hat ja was Anstößiges“, gesteht die Chorleiterin ein. Allerdings unterscheidet sich der Popchor nicht allein durch sein ungewöhnliches Repertoire von anderen Formationen. Almut Klotz wollte auf keinen Fall einen A-cappella-Chor: „Ein Chor an sich ist ja schon spießig genug.“ Den ornamentalen Effekt, der eintritt, wenn Stimmen Instrumente imitieren, lehnt sie ab. Deshalb wurde für jeden Titel von verschiedenen MusikerInnen aus Hamburg und Berlin ein so genanntes Playback komponiert. Dabei handelt es sich um eine von der Gesangsspur bereinigte Instrumentalversion, wie sie in zurückhaltenderer Form bei Karaokepartys zum Einsatz kommt. Die Stücke waren schnell aufgeteilt, erzählt Almut Klotz. Die Vermoosten Vloten entschieden sich sofort für den Bowiesong „The Man who sold the world“, Schneider tm für „Mongoloid“ von Devo und die Hamburger Formation NOVACK für den Missy-Elliott-Titel „my people“. Der isländische Musiker Egill versah den Grandaddy-Song „Hewletts Daughter“ mit einem kongenial-unebenen Soundteppich, und Hermann Herrmann sorgte bei dem Madonna-Hit „Ray of Light“ für eine aromatische Country und Westernnote. Diese Playbacks werden per Minidiscplayer eingespielt, was nicht zuletzt den Vorteil hat, dass keine unhandlichen Instrumente die Treppen rauf- und runtergetragen werden müssen. Und auch der Soundcheck geht schnell über die Bühne.
Die Gesangsarrangements stammen allesamt von Almut Klotz, die zudem die einzelnen Songs ausgewählt hat. Dabei ging es ihr nicht um ironische Adaptionen oder das planmäßige Verfehlen der Tonlage, zu dem man sich ein drolliges Mützchen aufgesetzt hat. Offenbar legt ein solches musikalisches Kollektivprojekt wie der Popchor vielfach den Wunsch nach Ironisierung nahe. Doch Almut Klotz ist es ernst mit dem Chor: „Wenn man sich schämt, so was zusammen zu machen, sollte man es sein lassen.“ Und dass man das Publikum nicht zum Mitsingen animieren möchte, stellt sie beim ersten Auftritt schon zu Anfang klar.
Gesungen wird auf der Bühne, nicht davor. Doch ebensowenig soll am Ende eine leere Perfektion stehen, wie man sie von instrumentell zu Tode gecoverten Popklassikern oder reinen A-cappella-Versionen her kennt. Dagegen steht einerseits die Zusammensetzung des Chors. Um dabei zu sein, ist weniger eine professionelle Stimmbildung vorausgesetzt, als vielmehr die Lust am Singen und nicht zuletzt am Sozialen. Eine gewisse unabsichtliche Schrägheit ergibt sich da schon aus dem Laienstatus der Mitglieder.
„Das Chaos ist sowieso schon drin“, sagt Almut Klotz, nachträglich erzeugt werden muss es nicht. Andererseits statten die munteren, elektronischen Playbacks die Coverversionen mit einer neuen, eigenen Qualität aus. Das wird umso deutlicher, je weniger die Songs für eine Choradaption geeignet scheinen. Nach der ersten Probenphase wurde für Almut Klotz und den Chor klar, dass die klassisch schönen Popsongs, die ein dreistimmiges Arrangement von ihrer Melodik her nahe legen, auf die Dauer etwas gleichförmig wirken können. Interessanter sei es da, sich im Heavy Metal umzuhören oder weitere HipHop-Stücke in das Programm aufzunehmen, die sich in der choralen Adaption in eine ganz andere Richtung bewegen. „Wenn fünfundzwanzig Leute zusammen rappen, dann hört sich das an wie ein Glaubensbekenntnisgemurmel.“
Was man hört und was gefällt, ist die Distanz zwischen Original und Choradaption. Denn der Sinn einer Coverversion besteht für Almut Klotz nicht darin, das Original möglichst werkgetreu wiederzugeben. „Wozu ein Rapstück nachrappen?“ Das können andere besser. Sie versteht ihre Arbeit am Arrangement vielmehr als Hommage an die gecoverten Songs, deren Melodien sie als All-time-Favorites teilweise schon über Jahre begleiteten.
Dass mit der Chorfassung naturgemäß eine gewisse Zähmung des Pop-Impulses einhergeht, ist ihr klar. Ein Chor kann gut und gerne hysterisch sein, gegen das Playback ansingen oder auch einmal in Auflösung geraten, aber bestimmte Emotionen wie Aggression und Zorn kann er nur schwer transportieren. „Die Stücke werden nun mal getragener, pathetischer und feierlicher.“ Wer einmal die Hommage des Popchors an den Missy-Elliott-Song „my people“ gehört hat, trägt diese Version auch beim Wiederhören des Originals noch lange wie ein Echo im Hinterkopf. Zu der Rap-Diva gesellen sich dann im Nachhinein zur Rechten der Bariton, rhythmisch die Hälse reckend, und zur Linken der Sopran, höchst konzentriert und leise wippend. Und vor dem geistigen Auge sieht man Almut Klotz am Rand stehen, wo sie mit kleinen, präzisen Gesten die musikalische Fahrtrichtung des Chors bestimmt.
Heute Abend tritt der Popchor ab 22 Uhr zusammen mit der Country-Band Falkon Skeet Club, mit Noni und weiteren Überraschungsgästen in der Flittchenbar im Maria am Ostbahnhof auf.
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