piwik no script img

Munteres Millionenwerfen

Im Streit um den Freiburger Nationalspieler Sebastian Kehl bezichtigen sich in ihrer Selbstherrlichkeit gekränkte Bayern und börsengepäppelte Dortmunder gegenseitig unlauterer Praktiken

von MATTI LIESKE

Dass sich ein Spieler nicht so recht zwischen zwei Vereinen entscheiden kann, ist nichts Neues im deutschen Fußball. Bernd Schuster brachte es 1978 zu Beginn seiner Karriere sogar fertig, zwei Verträge auf einmal zu unterschreiben, einen bei Borussia Mönchengladbach, einen beim 1. FC Köln, wo er nach einem arbeitsgerichtlichen Entscheid dann auch landete. Die Kölner hatten ihn mit einem Monatsgehalt von 1.400 Mark gelockt.

Im Fall Sebastian Kehl sind die gehandelten Geldsummen geringfügig höher, und auch sonst liegt der Fall etwas anders. Der 21-jährige Nationalspieler vom SC Freiburg hat, so scheint es, keinen Vertrag unterschrieben, sondern im Sommer lediglich eine Absichtserklärung, kommende Saison zu den Münchner Bayern zu wechseln. Dabei nahm er einen Scheck in Höhe von 1,5 Millionen Mark entgegen – ein „Darlehen“, wie das die Bayern in bewährter Manier nennen – und löste ihn auch ein. Inzwischen hat Kehl noch mal nachgedacht, nach Bayern-Lesart, weil er von Borussia Dortmund „mit Geld zugeschüttet“ wurde, zahlte das „Darlehen“ zurück und fühlt sich nicht mehr gebunden. Pech gehabt, Bayern, Fall erledigt, könnte man meinen, doch weit gefehlt.

Es folgte ein verbaler Amoklauf von Münchens Manager Uli Hoeneß, der zeigt, dass die Bayern im Hochgefühl ihres Aufstiegs zur, wie sie glauben, weltbesten Mannschaft jegliche Bodenhaftung verloren haben. Gleichzeitig nagt es offenbar mächtig an ihnen, dass sie in den letzten Jahren das Ringen um manch einen Spieler verloren haben. Deisler kommt erst im zweiten Anlauf, Timm gar nicht, Rosicky ging nach Dortmund, nicht mal einen Mann wie Pal Dardai konnten sie von Hertha BSC loseisen. Hinzu dürften einige Fehlschläge kommen, von denen die Öffentlichkeit nie erfuhr, und zuletzt wagte es laut italienischer Presse der rumänische Nationalspieler Cosmin Contra vom AC Mailand, eine Offerte der Bayern mit den Worten abzuschmettern: „Ich bin zu stark, um in Deutschland zu spielen.“

Die Folge ist eine gesteigerte Aggressivität der Bayern – auf dem nationalen Transfermarkt, aber auch etwa bei der Abstellung ausländischer Spieler für deren Nationalmannschaften. „Wir bezahlen sie schließlich“, kommentierte Trainer Ottmar Hitzfeld unverblümt die mannigfaltigen Manöver zur Vereitelung von Länderspielreisen, die Giovane Elber vermutlich die WM-Teilnahme kosten werden. Inzwischen ist es so weit gekommen, dass Brasiliens Coach Scolari darauf besteht, dass auch verletzte Spieler zum Nationalteam fahren, um sich dort untersuchen lassen, weil er den Bayern nicht abnimmt, dass sie wirklich spielunfähig sind.

Verblüffend ist die verbale Verve, mit der Uli Hoeneß das moralisch äußerst fragwürdige Vorgehen seines Klubs in Transferdingen begleitet. Dass jemand, der Sebastian Deisler 20 Millionen Mark „Darlehen“ auf ein Geheimkonto überwies, um ihn Hertha BSC abspenstig zu machen, einen ähnlichen Betrag vermutlich an Leverkusens Ballack und eingestandene 1,5 Millionen an Kehl, anderen Vereinen vorwirft, mit Geld um sich zu schmeißen, ist eine große Dreistigkeit. Ebenso erstaunlich, wie schnell das angebliche Darlehen zur bindenden Bezahlung mutiert, wenn ein Spieler wie Kehl, der möglicherweise schon in den nächsten Tagen für einen zweistelligen Millionenbetrag zu Borussia Dortmund wechselt, von seinem bei einem „Darlehen“ selbstverständlichen Recht der Rückzahlung Gebrauch macht. Plötzlich bestehen die Münchner darauf, dass der Freiburger durch die Einlösung des Schecks und die grundsätzliche Akzeptanz der besprochenen Bedingungen eine rechtsverbindliche Zusage gegeben habe, bezichtigen ihn wortgewaltig der Lüge und versuchen, ihn mit Klagedrohung einzuschüchtern.

Pikantes Detail: Sollte Kehl – offenkundig ohne dass ihm die juristische Tragweite bewusst gemacht worden war – tatsächlich einen rechtsverbindlichen Vertrag mit den Bayern geschlossen haben, hätten die Münchner gegen Regeln verstoßen. Nach einer Vorschrift des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hätte ein neuer Vertrag mit Kehl frühestens im kommenden Januar geschlossen werden dürfen. In der US-Basketball-Liga NBA haben Verstöße gegen derartige Regelungen in der Vergangenheit mehrjährige Sperren für Vereinsfunktionäre und Wechselverbote für die Spieler nach sich gezogen. Die Tatenlosigkeit des DFB, der sich schon aus dem Fall Deisler heraushielt, zeigt, wie sehr der Verband an Macht verloren hat. Es gäbe ja keinen Kläger, sagte Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder. Wie auch, wenn der DFB darauf verzichtet, seine eigenen Regeln anzuwenden.

„Wir können da nichts machen“, sagt auch der Kontrollausschussvorsitzende Horst Hilpert zum Streit um Kehl. Er verweist darauf, dass der betreffende Paragraf von der Fifa bereits abgeschafft sei und auch der DFB ihn bald streichen wolle. Fakt ist: als die Bayern mit ihren Millionen um sich warfen, war die Bestimmung voll gültig und möglicherweise haben sich andere Vereine, denen Hoeneß jetzt wie im Falle der bösen Dortmunder „Tiefschlaf“ vorwirft, ja sogar daran gehalten – auch wenn das eher unwahrscheinlich scheint.

Das Gebaren der Bayern, durch den aktuellen Tabellenplatz zusätzlich angeheizt, legt nahe, was sie am liebsten hätten: ein Dekret des DFB, dass jeder Nationalspieler, den sie haben wollen, auch zu ihnen kommen muss. Alles zum Wohle des deutschen Fußballs, wie sich natürlich von selbst versteht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen