: Schily umschmeichelt Bundesrat
Noch keine Vorentscheidung über Zuwanderungsgesetz im Bundesrat: Bayern kann radikale Gegenanträge nicht durchsetzen. Schily zu Zugeständnissen bereit. Stoiber gibt ausländischen Kindern Schuld an schlechtem deutschen Ergebnis bei Pisa-Studie
aus Berlin LUKAS WALLRAFF
Der Bundesrat ist kein Bierzelt. Für emotionale und einpeitschende Reden eignet sich die ruhige Länderkammer nicht. Anders als im Bundestag wird hier auch nicht laut dazwischengerufen und wild gestikuliert. Selbst für Beifall sind sich die hohen Ländervertreter zu vornehm. Vielleicht wirkte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) deshalb fast ein bisschen gehemmt, als er gestern seine Gegenargumente zum geplanten Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung vortrug. Vielleicht hat Stoiber aber auch gemerkt, dass die Neinsager-Front bei der Union doch nicht ganz so geschlossen steht, wie er sich das für einen zünftigen Zuwanderungswahlkampf wünscht.
Nein, eine Vorentscheidung über das rot-grünen Reformprojekts ist gestern nicht gefallen. Ob der Bundesrat im März zustimmen wird, steht weiter in den Sternen. Alle unionsregierten Länder betonten zwar erneut ihre Ablehnung des Gesetzes „in seiner vorliegenden Form“. Verabschiedet wurden aber lediglich Änderungsanträge zu Detailfragen. Mit seinen Forderungen nach einer radikalen Begrenzung der Zuwanderung – und damit einer faktischen Umkehrung des Gesetzeszwecks – konnte sich Bayern nicht durchsetzen. Der Antrag auf Beibehaltung des Anwerbestopps für ausländische Arbeitnehmer fiel durch.
Noch weniger dürfte es Stoiber gefallen haben, dass einige Unionskollegen deutlicher Konsensbereitschaft andeuteten als noch vor einer Woche im Bundestag. So begann der saarländische Regierungschef Peter Müller (CDU) seine Rede mit der Feststellung: „Deutschland ist ein Zuwanderungsland und wird weiter ein Zuwanderungsland sein.“ Müller ist auch beim heiß umstrittenen Familiennachzugsalter weniger dogmatisch ist als die CSU. Während Stoiber „eher unter 10 Jahre“ forderte (bisher 16) und dies „entscheidend“ nannte, sagte Müller nur, 10 Jahre seien eine Grenze, „an der man sich orientieren kann“. Auch Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ließ zu, dass sein Koalitionspartner Manfred Stolpe (SPD) Bereitschaft zur Zustimmung bekundete – wenn auch mit Bedingungen.
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bedankte sich für die „konstruktive Debatte“ und lobte ausdrücklich den „von mir geschätzten“ Müller. Dann gab er sich als Weihnachtsmann und stellte den Unionsländern weitere Zugeständnisse in Aussicht. Gegen eine Festschreibung der Begrenzung im Gesetzestext habe er „überhaupt keine Einwände“, auch ein klarer Vorrang für deutsche Arbeitskräfte sei kein Problem: „Da werden wir eine Formulierung finden, die allgemeine Zustimmung findet.“
Im Bereich des Flüchtlingsrechts betonte Schily, es gehe ihm nicht darum, „den Kreis der Schutzbedürftigen zu erweitern“. Opfer nichtstaatlicher Verfolgung sollten lediglich „einen besseren Status“ erhalten. Weil auch Müller dazu grundsätzlich bereit ist, scheint ein Scheitern des Gesetzes im Moment nur dann wahrscheinlich, wenn Stoiber als Kanzlerkandidat ein kategorisches Nein erzwingt. Gestern deutete er nur an, wie er sich den Wahlkampf vorstellt. So führte er das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler bei der Pisa-Bildungsstudie darauf zurück, „dass wir zu viele Kinder in der Schule haben, die nicht die Sprache beherrschen“. Ob seine Unionskollegen solche Theorien nachvollziehen, war nicht zu erkennen. Denn Beifall ist ja im Bundesrat nicht üblich.
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