Intime Bescherung

Es hat so seine Seiten, wenn man den Advent unter das Motto eines Hollywood-Klassikers stellen will, vor allem auch kalte
von WLADIMIR KAMINER, Russland

Dreimal war ich in meinem Leben Trauzeuge. Beim ersten Mal – in Moskau – vergaß der Bräutigam meiner Cousine den Termin, weil er mit Freunden Fußball spielte. Dann, als mein bester Freund heiratete, weigerte sich seine Braut, zum Standesamt zu kommen. Mein Kumpel und ich standen mit einem Blumenstrauß vor ihrem Haus. Sie hatte sich in der Wohnung verbarrikadiert und wollte nicht mit uns reden. Mein verzweifelter Freund meinte, ich würde als Trauzeuge Unglück bringen. Das dritte Mal war ich in Berlin Trauzeuge – da beschloss unsere Freundin Katja, ihren schwedischen Freund Sven zu heiraten.

Die Eheschließung sollte kurz vor Weihnachten stattfinden. Katja hatte schon ein Hochzeitskleid bestellt und die Gäste eingeladen, trotzdem waren ihr Zweifel gekommen. Kurz zuvor hatte sie eine alte Psychotherapeutin kennen gelernt, die der Meinung war, wenn der erste Rausch der Liebe vorbei sei, müsse sich das Paar bemühen, ihr Intimleben ständig neu anzufachen. Wenn einer der beiden dazu nicht bereit sei, würde die Beziehung unglücklich enden.

Katja wusste nicht, ob Sven in der Lage war, sein Intimleben zu innovieren. Er schien damit, so wie es war, mehr als zufrieden zu sein. Sven war ein freundlicher Mensch, der in Berlin Politologie studierte und in Katja außerordentlich verliebt war. Er war aber auch sehr zurückhaltend und zeigte ungern Gefühle. Katja beschloss, vor der Heirat noch schnell ein Experiment durchzuführen, um festzustellen, wie Sven auf eine Erneuerung des Intimlebens reagieren würde. Sie nannte es „9 [1]/2 Wochen“, nach einem Hollywood-Film, in dem Mickey Rourke Kim Basinger quält, um ihr seine Gefühle zu vermitteln. Dabei legt er sie auf Eis, beschmiert sie mit Honig, jagt sie durch die Wohnung und sperrt sie in die Dusche – bis beide nach 9 [1]/2 Wochen restlos ermüdet voneinander ablassen und sich trennen.

Diesmal übernahm Katja die Rolle von Mickey Rourke. Doch alles, was im Film so leicht schien, erwies sich nun als sehr kompliziert, geradezu lebensgefährlich. Schon die erste Überraschungsaktion lief schief. Sven saß zu Hause, Katja zog sich im Hinterhof vor dem Treppenhaus aus und ging mit dem Kleid in der Hand die Treppe hoch. Dabei malte sie sich aus, wie Sven reagieren würde wenn er die Tür aufmachte und sie sähe . . . Sven wohnte im vierten Stock. Im dritten feierte gerade eine Latino-Nichtraucher-Wohngemeinschaft eine Party. Auf der Treppe saßen fünf Indios und rauchten. Als sie Katja sahen, freuten sie sich riesig. „Das ist nicht für euch!“, winkte sie ab und lief nach oben. Die Indios folgten ihr. Als Sven die Tür aufmachte, sah er seine Freundin – nur mit Stiefel und Höschen bekleidet und fünf rauchende Indios hinter ihr. Als höflicher Mensch stellte er jedoch keine Fragen und machte seine Freundin nur noch rasender. „Ich versuche unser Liebesleben erreignisvoller zu gestalten, und du tust nichts dafür“, schimpfte sie. „Ich mag es so, wie es ist“, maulte Sven.

Einige Tage später zog Katja sich wie eine Prostituierte an und stellte sich an den Ausgang des U-Bahnhofs, wo Sven für gewöhnlich ausstieg. Eine halbe Stunde wartete sie, wobei sie von allen Pennern angemacht wurde und sich derart unterkühlte, dass sie eine Blasenentzündung bekam. Sven war am anderen Ausgang ausgestiegen und saß längst zu Hause.

Katja gab nicht auf. Kurz vor Weihnachten wollte sie Sven erneut überraschen. Sie legte sich ausgezogen aufs Sofa und überschüttete sich mit Rosenblütenblättern, die sie mit Schlagsahne garnierte. Sie wollte ihn mit einem Blumentorten-Schock aus der Reserve locken. Als Sven jedoch – verspätet – erschien, hatte sich die Schlagsahne in einen klebrigen Brei verwandelt, der aufs Sofa kleckerte, und die Rosenblätter begannen auf der Haut zu jucken. Die Blumentorte sah eher unappetitlich aus. Sven entschuldigte sich, dass er ohne anzuklopfen hereingeplatzt sei, und verzog sich in die Küche. Katja warf ihm anschließend vor, kalt wie ein Roboter zu sein. „Was soll ich denn tun?“, verteidigte sich der Schwede.

Sie schauten sich zusammen den Film „9 [1]/2 Wochen“ an. Anschließend meinte Sven: „Jetzt versteh ich.“ Am nächsten Tag, als Katja nach Hause kam, lag er im Bett – in eine Decke eingewickelt und strahlte vor Freude. „Was ist los . . . bist du krank?“ fragte sie. „Überraschung!“ rief Sven. Mit einer Handbewegung riss er die Decke herunter – an der intimsten Stelle seines Körpers stand ein kleiner Tannenbaum, schön geschmückt, mit einem roten Stern an der Spitze. Katja krümmte sich vor Lachen. Sie beschlossen, ihre Eheschließung erst einmal aufzuschieben.