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Union hilft Biedenkopf aus dem Sessel

CDU-Politiker fordern den Rücktritt von Sachsens Ministerpräsident. Der brütet über die Feiertage, wie er sich zurückziehen und Milbradt trotzdem verhindern kann. Gattin Ingrid vor Untersuchungsausschuss zitiert

DRESDEN taz ■ „So viel Heimlichkeit in der Weihnachtszeit“ – das Kinderlied passt auf die peinliche Lage der sächsischen CDU und die Orakel um Kurt Biedenkopfs Rücktritt. Nachdem der Ministerpräsident selbst angedeutet hatte, „über die Weihnachtsferien nachdenken zu wollen“, nahm Landesparteichef Georg Milbradt sogar ein Stückchen der Bescherung vorweg. Biedenkopf werde über die Feiertage auch den Zeitpunkt seines Rücktritts festlegen, sagte er in der Vorweihnachtswoche. Zugleich verordnete Milbradt seiner Partei den Weihnachtsfrieden.

Er reagierte damit auf den Druck, den einige CDU-Landtagsabgeordnete auf Biedenkopf ausübten. Anlass war die in den Medien breit getretene Rabatt-Affäre des „Königspaares“ bei Ikea, deren Klärung sie verlangten. Das Ehepaar Biedenkopf hatte sich beim Möbelhaus 67,5 Euro (132 Mark) Rabatt genehmigt.

Außerhalb Sachsens wurde Milbradt jedenfalls nicht gehört: „Biedenkopf sollte über Weihnachten nachdenken, ob er sich selbst einen Gefallen tut, wenn er im Amt bleibt“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende der Bremischen Bürgerschaft, Jens Eckhoff, am Wochenende. „Normalerweise müsste er zu einer eindeutigen Antwort kommen.“ Baden-Württembergs CDU-Generalsekretär Volker Kauder erzählte der Bild am Sonntag: „Ich habe gerade selbst bei Ikea eingekauft und wäre nicht auf den Gedanken gekommen, Rabatt zu verlangen. So hätte sich auch Herr Biedenkopf verhalten sollen.“ Die thüringische CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld warf Biedenkopf vor, die Wahlchancen der sächsischen CDU zu mindern.

Ohnehin ist die sächsische Union nicht mehr Herrin des Verfahrens. Seit rund einem Jahr befindet sich ihr Zugpferd Biedenkopf ausschließlich in der Defensive. Das Zerwürfnis mit seinem langjährigen Finanzminister Milbradt, die zermürbende Nachfolgediskussion, königliche Privilegien am Wohnsitz im Gästehaus der Staatsregierung, Amigo-Vorwürfe beim Behördencenter Leipzig-Paunsdorf haben eine Situation geschaffen, in der es wie nach Murphy’s Gesetz zugeht: Biedenkopf kann nur noch Fehler machen.

Offenbar schlummern auch noch genügend Leichen im Keller, um für weiteren Druck zu sorgen. Der Spiegel griff eine ältere Geschichte um das privatisierte Dresdner Herzzentrum auf, das auf spektakuläre Weise in Konkurs gegangen war. Wieder soll Biedenkopf Einfluss zugunsten des Bauunternehmers Roland Ernst genommen haben. Ernst gehörte zu den Lieblingen der Regierung und hatte bereits 1992 die Bauruine einer Großmolkerei hinterlassen. Inzwischen droht die SPD in Sachen Herzzentrum mit einem weiteren Untersuchungsausschuss.

Im laufenden Paunsdorf-Untersuchungsausschuss soll Kurt Biedenkopf am 10. Januar ein zweites Mal aussagen. Seine Frau Ingrid folgt Ende Februar: Sie ist in den Verdacht geraten, stille Teilhaberin an dem Bauprojekt gewesen zu sein. Der Ausschuss soll klären, ob Biedenkopf bei der Vermietung des Bürokomplexes in Leipzig-Paunsdorf Einfluss zugunsten des befreundeten Bauunternehmers Heinz Barth und zu Lasten des Freistaates ausgeübt hat. Spätestens danach wird eine Aussage zum Rücktrittstermin erwartet.

Der sächsischen CDU sind ohne die Mitwirkung Biedenkopfs die Hände bei der Nachfolgeregelung gebunden. Als Königsmörder will niemand auftreten. Biedenkopf geht es vor allem darum, Milbradt als seinen Nachfolger zu verhindern. Wie dieser Machtkampf hinter den Kulissen weitergeht, ist sogar bei Auftritten im Landtag zu beobachten. Während Milbradt beispielsweise eine Regierungserklärung Biedenkopfs zum Aufbau Ost ignoriert, verschafft ihm die Fraktion zum gleichen Thema beim nächsten Plenum einen großen Auftritt.

„Warten wir erst einmal die Bundestagswahl ab“, hatte der Ministerpräsident wiederholt auf Fragen nach einem Nachfolgekandidaten geantwortet und von einer Bewährungsprobe für den Landesparteichef gesprochen. Nun wird es höchstwahrscheinlich nicht mehr zu der grotesken Situation kommen, dass Biedenkopf seiner eigenen Partei eine Wahlniederlage wünschen muss, um Georg Milbradt zu demontieren.

MICHAEL BARTSCH

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