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Ursprung der Bremokra-Tie begann

■ Auch nach Weihnachten noch ein gutes Geschenk: Herbert Schwarzwälders historisches Bremen-Lexikon. Nur Fans linker Geschichte kommen nicht auf ihre Kosten

Die Weihnachtsgeschenke sind verteilt und die gute Miene zum bösen Spiel erfolgreich absolviert. Aber zwei Tage später kann man die Tante doch noch mal fragen, ob sie die Quittung von der dritten Herr-der-Ringe-Ausgabe noch irgendwo hat. Dann könnte man den Fantasy- vielleicht gegen einen Historien-Schinken eintauschen, der manch Wissenswertes über die Heimatstadt enthält. Zum Beispiel, dass der Tiefer seinen Namen gar nicht wegen seiner tiefen Lage hat. Der Name – 1333 erstmalig als Tivere vermerkt – heißt vermutlich vielmehr „Fähre zum Tie“. Der Tie wiederum bezeichnete eine direkt an der Weser gelegene Thing- oder Versammlungsstätte. Solche und viele andere Informationen finden sich im jüngst in der Bremer Edition Temmen erschienenen „Das Große Bremen-Lexikon“. In über 6.000 Stichworten auf 832 Seiten kann sich der Leser zu allen nur denkbaren Themenbereichen informieren, gleich ob es sich um Personen, Institutionen, Gewässer oder äußere Einflüsse handelt. Die Spanne reicht von den frühen Anfängen Bremens und Bremerhavens bis zur modernen Stadt am Fluss. Hinzu kommen viele bisher unveröffentlichte Fotos. Autor Herbert Schwarzwälder, geboren 1919 und bis 1988 Professor an der Bremer Uni, ist Spezialist auf dem Gebiet der Bremischen Geschichte. Seine Schwerpunkte liegen in der Landesgeschichte, dem Nationalsozialismus und der Hanse. Vierzig Jahre Forschungsarbeit sind in das Bremen-Lexikon eingeflossen. Schwarzwälder zeichnet im übrigen auch für die fünfbändige „Geschichte der Freien und Hansestadt Bremen“ verantwortlich, die ebenfalls in der Edition Temmen erschienen ist.

Kein Nachschlagewerk kann Vollständigkeit beanspruchen. Der Verfasser konzediert im Vorwort, dass die Auswahl der Stichworte „nicht immer geglückt sein mag“. Schwarzwälder hat sich dem formalen Prinzip unterworfen, nur Biographien von Verstorbenen aufzunehmen. Das hat zur Folge, dass so wichtige Urgesteine bremischer Politik wie Hans Koschnick mit seinen über 70 Jahren nicht auftauchen. Undurchsichtig hingegen ist, inwiefern dieses Prinzip auf Organisationen und Institutionen angewendet wurde. So erfährt der Leser in einem langen Artikel die Geschichte der Bremer KPD bis zu deren Verbot 1956, obwohl zentrale Altkommunisten wie Willi Gerns noch leben. Die von Gerns, Willy Hundertmark und Hermann Gautier 1968 im Zuge der Entspannungspolitik gegründete DKP hat Schwarzwälder jedoch nicht aufgenommen. Dabei hatte die Bremer DKP vor 1989 zeitweilig fast 1500 Mitglieder und spielte in der außerparlamentarischen Bewegung und an der Uni eine nicht von allen geschätzte, aber wichtige Rolle. Auch der in Bremen ins Leben gerufene maoistische Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW), der immerhin heutige grüne Spitzenfunktionäre wie Ralf Fücks hervorbrachte, findet keine Erwähnung, Dabei ist der KBWuppdich schon seit fast 20 Jahren (Bremer) Geschichte.

Auch die legendäre Rekrutenvereidigung, die 1980 zu breiten Gegendemonstrationen und gewalttätigen Auseinandersetzungen führte, ist nicht verzeichnet. Sie wird lediglich im Artikel „Die Grünen“ angerissen. Ausführlich wiederum bespricht Schwarzwälder die Bremer Räterepublik. Deren „Volksbeauftragten“ Johann Knief würdigt der Historiker in einem eigenständigen Artikel: „Lehrer, Kommunist. Er neigte zum Darwinismus und Atheismus.“ Ist Schwarzwälder die jüngere Vergangenheit noch zu heiß?

An der Aktualität der Daten kann es nicht liegen. Schwarzwälder gibt an, Sachinformationen bis zur Gegenwart fortführen zu wollen. So erwähnt er die Umwandlung der Stadtwerke in swb enordia und andere GmbH. Die International University Bremen (IUB), die im September ihren Studienbetrieb aufnahm, hat einen Artikel. Vielleicht braucht die hansische (Ex-)Linke ja ein eigenes Nachschlagewerk. Dennoch: Für Geschichtsinteressierte ist das Bremen-Lexikon eine Fundgrube. Thomas Gebel

Herbert Schwarzwälder: Bremen-Lexikon. Edition Temmen. 89 Mark.

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