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: Filme aus dem Archiv – Frisch gesichtet

Claude Chabrol hielt „Sunrise – A Song of Two Humans“ für den schönsten Film der Welt. Und auch beim Fox-Studio war man noch Jahrzehnte später mehr als stolz, dass ein so bedeutender Regisseur wie Friedrich Wilhelm Murnau einst dort gearbeitet hatte. Leider war das so ungemein gepriesene Meisterwerk aus dem Jahr 1927 (das auch in mehreren Kategorien Oscars gewann) kein kommerzieller Erfolg. Folglich redeten die Studiobosse Murnau bei seinen nächsten Filmen „Four Devils“ und „Our Daily Bread“ derart massiv dazwischen, dass der Filmemacher schließlich lieber in die Südsee fuhr, um auf eigene Faust „Tabu“ zu drehen, als sich noch länger in Hollywood abzuplagen. Doch 1926 hatte man dem Starregisseur aus Europa noch den roten Teppich ausgerollt und ließ ihn erst einmal schalten und walten, wie er mochte. Also tat Murnau ganz so, als sei er noch bei der UFA: Er suchte sich mit Hermann Sudermanns Novelle „Die Reise nach Tilsit“ ein deutsches Sujet, beschäftigte seine langjährigen vertrauten Mitarbeiter wie den Drehbuchautor Carl Mayer sowie die Filmarchitekten Rochus Gliese und Edgar Ulmer, und drehte im amerikanischen Studiosystem einfach einen deutschen Stummfilm. Die Geschichte kreist um einen versuchten Mord und eine Versöhnung: Weil sich ein harmloser Bauer in eine sündige Verführerin aus der Stadt verliebt hat, will er sein holdes, blondes Weib bei einer gemeinsamen Bootsfahrt ertränken. Und obwohl er es dann doch nicht übers Herz bringt, bemerkt die Gattin die Absicht und ist verständlicherweise leicht verstimmt. Während er nun erneut um ihr Vertrauen ringt, wird der Tag, den die beiden Provinzler in der Stadt verbringen, zum ganz großen Abenteuer. Es sind die kleinen, einfachen Dinge, die für große Aufregung und Freude sorgen: sich gemeinsam fotografieren lassen, eine Fahrt mit der Straßenbahn, ein turbulenter Jahrmarkt und die Jagd nach einem in der Tombola gewonnenen Ferkel. Obwohl der Vorspann schon einmal vorsorglich behauptet, die Geschichte könne sich überall und zu jeder Zeit zutragen, war die Story den Amerikanern vermutlich zu teutonisch: Sie blieben den Kinos fern. Aus heutiger Sicht faszinieren sowieso andere Dinge: die leuchtende Fotografie und die spürbare Freude an der Bewegung der Bilder. Denn Murnau hatte mit enormem Aufwand den Wald, eine Kirche, den Schienenstrang der Tram und den Rummelplatz im Studio nachbauen lassen, um haargenau jene fließenden Kamerabewegungen und Übergänge zu bekommen, die ihm vorgeschwebt hatten. Neben den späten Stummfilmen von Lang, Stroheim und Pabst zeigt vor allem „Sunrise – A Song of Two Humans“, auf welch hohem Niveau die Kinokunst 1927/28 angelangt war, ehe Al Jolson mit einem schmalzigen Lied für seine Mutti das Ende einer ganzen Ära einläutete.

„Sunrise – A Song of Two Humans“, 31. 12. im Arsenal 2*** Immer wieder gern gesehen: Jack Cardiffs „The Girl on a Motorcycle“ (1968) mit Marianne Faithfull, die – nackt unter Leder, wie der deutsche Titel beschwört – auf dem Motorrad zu einer hübschen Sixties-Agentenfilmmusik durch elsässische Landschaften und über deutsche Autobahnen ihrem Liebhaber entgegenrast, um ihrer kleinbürgerlichen Ehe zu entrinnen. Den ziemlich egozentrischen, aber gut aussehenden Lover gibt dann Alain Delon, der als Pfeife rauchender Universitätsdozent derweil mit seinen Studenten in Heidelberg über die freie Liebe diskutiert. Das klingt bizarr – und ist es auch. Während die Adaption des Romans „La Motocyclette“ von André de Mandiargues inhaltlich eher vage die Revolte der 68er-Generation heraufbeschwört (mit der exzellent fotografierten Motorradfahrt als Synonym für Freiheit und Abenteuer), steht der Film mit seinen farbverfremdeten Rückblenden und Traumsequenzen stilistisch ganz im Banne der Psychedelik.

„Nackt unter Leder“ (The Girl on a Motorcycle) 27. 12. bis 2. 1. in der Brotfabrik***Er war der erste wirkliche Horrorstar der Filmgeschichte: Lon Chaney, der Mann der tausend Masken, geisterte bereits 1925 als verunstaltetes und eifersüchtiges „Phantom der Oper“ durch die Katakomben des Pariser Opernhauses, um Rache an jenen Menschen zu nehmen, von denen er sich gedemütigt glaubt. Höhepunkt der Geschichte ist ein fantastischer Maskenball, der in dem seinerzeit noch relativ neuen Zweifarb-Technicolorverfahren gedreht wurde. Das Arsenal zeigt den beeindruckenden Gruselfilm in einer von Photoplay (London) restaurierten Fassung.

„The Phantom of the Opera“ (OF) 30. 11. im Arsenal 1 LARS PENNING