Schluckspecht und Blitzziege

„Ruf den Pizza Service an, heut leisten wir uns was, Ilse, für dich mit allem, aber für mich bitte ohne Pilze“: Ringsgwandl singt im Quasimodo über armselige Kleinbürger und davon, wie schwer es ist, vernügt zu bleiben

Was kann das für ein Sänger sein, für den man spätabends noch ein solches Opfer bringt und bei Schneegestöber rausgeht und mit der S-Bahn in ein anderes Stadtgebiet fährt? Ringsgwandl, animiere ich eine Freundin mich zu begleiten, ist ein bayrischer Liedermacher mit bösartigem Humor, aber auch wunderbaren Liebesliedern, erzähle ich: „Ja was sog i Inge, das ist der Gang der Dinge, die Kinder sie wärn groß, und wir wärn oid. Schau, wie den Hügel runter sie laufen flink und munter, unser Kopf is schwer vom Denken und vom Rechnen kalt“, rezitiere ich. Meine Freundin grinst geniert. Ich fahre allein.

Es ist nicht ganz leicht zu erklären, was es mit Ringsgwandl auf sich hat, als er aber die Bühne betritt, fällt mir wieder ein, warum ich hier bin. Er trägt eine blonde Perücke mit Hut, seine zerbeulte Nase lässt ihn aussehen wie eine verunglückte Mischung aus Steffi Graf und Otto Waalkes. In seine Gitarre steigt er gern mit den Füßen zuerst, aber was heißt Füße, vergrätschte Haxen sind das, mit denen er in der Luft stochert. Man meint, es knirschen zu hören in seinen Gelenken, von unten setzt es sich fort in seine ganze hagere Gestalt hinein – und wird schließlich nach oben transportiert, wo es krächzt wie ein altersschwacher Rabe.

Die Lieder, die Ringsgwandl an diesem Abend bringt, sind von jedem Klimbim bereinigt, mit seinen drei Musikern hat er sie wieder auf ihr Gerüst reduziert – noch vor kurzem war der Sänger aus Reichenhall eher mit abgehalftertem Tingeltangel befasst, der Inszenierung von beeindruckend deprimierenden Musicals. Die Songs handeln von armseligen Kleinbürgern, von unscheinbaren Versicherungsvertretern, die glücklich zu werden versuchen mit zwei Zimmern, Küche, Bad und Fernsehapparat, vom Bruckenwirt, der den Lebensmittelkontrolleur erschlägt oder vom Schluckspecht. Weit entfernt von Sozialkitsch ist es eher die Trostlosigkeit des bundesdeutschen Durchschnitts, die Ringsgwandl auf den Seziertisch legt, nicht hochnimmt, sondern kurz anleuchtet und dann wieder sanft ins Dunkel gleiten lässt – der bleierne, ekelhafte Alltag aus Buderus und Eternit, Ferrero, Maggi und Salamander, eine Welt, in der es schwer ist, vergnügt zu bleiben: „Beim Aldi sind Geflügelwochen, und trotzdem haben sie nichts zu lachen.“

Man hat Georg Ringsgwandl, der 1993 sein bürgerliches Leben als Kardiologe im Krankenhaus aufgegeben hat und Ende der Siebziger seine musikalische Laufbahn mit einem Berliner Punk und der berühmten Nachtigall von Ramersdorf begann, mit Karl Valentin verglichen: ein Arthur Miller in Noten sei er oder ein weißer Bruder von Screaming Jay Hawkins. Ihn einen Clown, einen modernen Hofnarren, einen „schrägen Vogel“ zu nennen ginge genauso daneben wie all diese hinkenden Vergleiche. Seine Parodie aller Klischees aus Kabarett und Kleinkunst entzieht sich jeglicher Festlegung.

Es ist sein zynischer Menschenhass, der vielleicht an manchen Stellen höchstens noch an Thomas Bernhard erinnert, der Ringsgwandl kurz vorm Absturz in saure Moral bewahrt. Immer mal wieder ist an diesem Abend von der Schlechtigkeit des Gelds die Rede und davon, dass es zu wenig Liebe gibt in der Welt. Das rührt peinlich an, genauso wie die seltsamen Charlottenburger, das mittelalte Publikum im Quasimodo, das in solchen Momenten nachdenklich die Stirn in Falten und das Kinn auf den Daumen legt, in anderen programmatisch johlt. All das wird von Ringsgwandl aufgefangen. Jeden Versuch, Alternativen zu finden, lässt er auflaufen. Einen Ausweg aus der Tristesse gibt es nicht: Der Garten-Nazi zum Besipiel probiert es, indem er den Rasen mit der Nagelschere schneidet, ein anderer sagt zu seiner Frau: „Ruf den Pizza Service an, heut leisten wir uns was, Ilse, für dich mit allem, aber für mich bitte ohne Pilze.“

Was an diesem Abend beinahe noch die Lieder Ringsgwandls übertrifft, sind seine Ansagen zwischen den Liedern. Hier lässt er alles endgültig aus dem Ruder laufen, jeder Sinn verliert sich in Blödelei, in komischen, sinnfreien Nonsens. Die Geschichte seines hässlichen Hemds zum Beispiel. Das, erzählt er, ist gewebt aus Blitzziegenfell. Blitzziegen haben ein drittes Horn auf dem Kopf, durch das alle Tage wieder der Blitz einschlägt. In diesem Moment ist die Luft so aufgeladen, dass das Fell der überlebenden Blitzziegen flauschig wird.

SUSANNE MESSMER

Noch heute und morgen, 22 Uhr im Quasimodo, Kantstraße 12 a, Charlottenburg