Der böse 68er-Drache

Schriften zu Zeitschriften: Die „Berliner Republik“ probt das intelligente Crossover von konservativer Kulturkritik und Traditionssozialdemokratie. Bislang allerdings bleibt es beim Generationenbashing

von STEFAN REINECKE

Eine Zeitschrift, die sich Berliner Republik nennt, hat Höheres, Epochales im Sinn. Der Name klingt repräsentativ, nüchtern, aber auch pathetisch, Neues in den Blick fassend. Ästhetisch allerdings ernüchtert das jüngste Heft. Die Berliner Republik irrlichtert designmäßig zwischen den Stilen: viel Bleiwüste auf eher teurem Papier, der Titel wirkt wie ein müder Versuch, nochmal die Stern-Spiegel- Collagen zu kopieren. Im Heft gibt es Fotos – aber zwischen soliden Analysen über Roland Koch, Ronald Schill und das SPD-Parteiprogramm wirken die Bilder etwas vereinsamt. Weder klassisch noch populär, weder opulent noch bewusst reduziert, hält das Layout Distanz zur bilderlosen Strenge des Merkur und zur Sachlichkeit des Kursbuch. Man will Eigenes. Aber was?

Die Berliner Republik versteht sich als Organ kulturell eher konservativer, jüngerer Sozialdemokraten. Jung heißt hier: bis fortysomething. Ihr Gewährsmann könnte Richard Rorty sein – genauer dessen Kritik, dass die US-Linke über ihr Engagement für alle möglichen Minderheiten und den Multikulturalismus die ganz normalen Leute vergisst. In deutscher Übersetzung heißt das in der Berliner Republik: Ja zur kleinbürgerlichen Familie, ja zum starken Sicherheits- & Sozialstaat. Und: Im Übrigen sind die 68er Schuld. So der etwas strapaziöse Grundton der Zeitschrift.

Im aktuellen Heft schreibt Ines Langelüddecke, eine junge Ostdeutsche, diesen Generationentext weiter. Die Autorin leidet schweratmend an einer linkskonformistische Öffentlichkeit: Die 68er-Gesinnungspolizei kontrolliert mit ritualisierter Auschwitz-Erinnerung und politischer Korrektheit den Diskurs. All das erinnert sie an die Feier zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution in der DDR – viele ihrer Generation begehen daher gleich Republikflucht Richtung USA. Aber ist der böse 68er-Drache, der hier mit viel Theaterdonner erlegt wird, nicht sowieso gerade in Rente gegangen?

Ein steiler Ton findet sich überraschenderweise auch bei dem konservativen Publizisten Alexander Gauland, der eine Verteidigung des Islam gegen westlichen Fortschrittsdenken versucht. Das klingt originell – aber verrutscht zu pauschaler Modernekritik. Der Westen erscheint als menschenrechtsimperialistische Maschine, der islamische Fundamentalismus als Zerrbild des mächtigen, leeren Westen, als Rache für dessen Hybris. Eigentlich passt diese Schablone gar nicht zu Gaulands aufgeklärtem Konservativismus.

Der interessanteste Text im Heft ist eine Rezension von Chefredakteur Tobias Dürr (wobei sich bei einer Ein-Mann-Redaktion fragt – wessen Chef?), der Andrew Rawnsleys Abrechung mit Tony Blairs New Labour vorstellt. Rawnsley beschreibt den Blairismus als Verachtung der eigenen Partei, als kurzatmige Politik nach Meinungsumfragen plus hochtrabende Dritte-Weg- Rhetorik. Dass dieses Buch wichtig ist, versteht, wer vier Jahre zurückdenkt. Damals war die versammelte politische Publizistik hier zu Lande auf der Suche nach dem „deutschen Tony Blair“, einer sagenhaften Lichtgestalt, die endlich mit lästigen Parteitraditionen aufräumen sollte. Den Trubel um den „deutschen Blair“ war irgendwann stillschweigend vergessen, die SPD klug genug, nicht zu tun, was die hiesigen Großkommentatoren ihr einzutrichtern versuchten. Rawnsleys Buch findet in Deutschland übrigens keinen Verlag.

Die Berliner Republik macht einen unfertigen Eindruck. Es wird noch gebaut, was ja nicht das Schlechteste ist. Die Zeitschrift setzt einstweilen auf Generationenbashing. Das ist ihr Label, mit diesem überspannt wirkenden Dezisionsinstrument hat sie sich ihren Platz auf dem Polit-Diskurs-Markt erkämpft. Doch früher oder später werden auch die virtuellen Anti-68er dieses Image wohl still verabschieden. Es wirkt großmäulig und mittlerweile ziemlich angestaubt, ganz doll ernst zu nehmen ist es nicht. Was bleibt von der Berliner Republik ohne Generationenhype? Eine offene SPD-nahe Zeitschrift, die ein interessantes Crossover von konservativer Kulturkritik und Traditionssozialdemokratie versucht.

Berliner Republik, Nr. 6/2001, 5 Euro