checkliste medizin: Wer zu viel trinkt, schädigt fast alle seine Organe
Alkoholismus
Es grenzt zwar in diesen Tagen, an denen viele gern ein Glas mehr als sonst trinken, an Spaßverderberei: eine checkliste medizin über Alkoholismus zu schreiben. Andererseits bietet es sich förmlich an, auch unter dem Eindruck des Siechtums von Harald Juhnke. Denn dieser ist natürlich kein Einzelfall, gibt es doch in Deutschland 2,5 Millionen behandlungsbedürftige Alkoholiker und über 9 Millionen Menschen, die so viel und so regelmäßig Alkohol trinken, dass sie stark gefährdet sind, an Alkoholismus zu erkranken. Auch andere Zahlen sind beeindruckend: In Deutschland sterben jährlich etwa 40.000 Menschen an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums, 17.000 von ihnen an Leberzirrhose. Und Schätzungen zufolge sind 250.000 Kinder und Jugendliche bis 25 Jahre alkoholabhängig oder stark alkoholgefährdet. Der volkswirtschaftliche Schaden, bedenkt man allein die Kosten für Krankenhausaufenthalte und Behandlungen, ist riesig und wird auf 30 bis 80 Milliarden Mark pro Jahr geschätzt. Einerseits. Andererseits beträgt der Jahresumsatz der Alkohol produzierenden, vertreibenden und bewerbenden Industrie 30 bis 35 Milliarden Mark, arbeiten dort fast 100.000 Menschen, kassiert der Staat mehr als 7 Milliarden Mark Alkoholsteuer.
An Harald Juhnke ließ sich gut darlegen, wie sehr Alkohol das Nervensystem schädigt: Rausch, pathologischer Rausch, Delir, Wernicke-Korsakow-Syndrom, Demenz, alkoholischer Eifersuchtswahn sowie epileptische Anfälle und die Polyneuropathie. Letztere ist im Übrigen die häufigste chronische neurologische Erkrankung in Verbindung mit Alkoholmissbrauch. Klinisch dominieren neuralgische Schmerzen vorwiegend an den Beinen, Gangunsicherheiten, Muskelkrämpfe, Missempfindungen und mehr. Seinerzeit leider gut beobachten konnte man eine Polyneuropathie beim letzten Berliner Auftritt des 1997 verstorbenen Country-Musikers Townes Van Zandt, als dieser nur mit fremder Hilfe die Bühne wieder verlassen konnte.
Abgesehen von den fatalen psychosozialen Folgen des Alkoholismus (die man gesondert abhandeln müsste), sind neben dem Nervensystem auch fast alle anderen Organsysteme betroffen. Dabei ist zu beachten, dass es bezüglich der betroffenen Organe und des Ausmaßes der Folgeschäden starke individuelle Unterschiede gibt. Alkohol greift konzentrationsabhängig alle Schleimhäute des Magen-Darm-Trakts an, angefangen von der Mundschleimhaut über Speiseröhre, Magen, Dünndarm bis zum Dickdarm. Es resultieren Entzündungen vor allem der Speiseröhre und des Magens sowie die Refluxkrankheit, bei der es unter anderem zu Sodbrennen, Schluckbeschwerden, Nahrungsrückstau kommt. Vielfach erhöht ist für Alkoholiker das Risiko, an Karzinomen von Mundhöhle, Rachen und Speiseröhre zu erkranken. Verschärfend kommt hinzu, dass die meisten Alkoholiker auch starke Raucher sind.
Die häufigsten Alkoholfolgeerkrankungen aber sind die chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung mit starken, gürtelförmigen Schmerzen in der Tiefe des Oberbauchs sowie Erkrankungen der Leber. Diese teilt man in drei Stadien: Zuerst die Fettleber, bei der sich Fette in die Leberzellen ablagern. Die Patienten haben eine fühlbar vergrößerte Leber, sind aber meist beschwerdefrei. Schwerer wiegt die alkoholische Fettleberhepatitis mit entzündlichen Reaktionen und vielfach klinischen Symptomen wie Appetitlosigkeit, Unwohlsein, Schmerzen im rechten Oberbauch, Gelbverfärbung der Haut und Fieber. Und schließlich die Leberzirrhose, bei der die Läppchen- und Gefäßstruktur der Leber zerstört wird. Die Leber ist vergrößert und verhärtet – erst im Endstadium einer Zirrhose schrumpft die Leber!
Geschädigt wird die Leber durch Acetaldehyd, einem Alkoholabbauprodukt, das nicht mehr ausreichend durch das Enzymsystem der Alkoholdehydrogenase zu Wasser und Kohlendioxid verstoffwechselt werden kann. Die Grenze ihrer Belastbarkeit liegt für Männer bei 40 Gramm Alkohol täglich (knapp 1,5 Liter Bier), bei Frauen, deren Kapazität für die Alkoholdehydrogenase kleiner ist, bei 20 Gramm. Als risikoarme maximale Trinkmenge pro Tag gibt die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren einen Dreiviertelliter Bier oder eine halbe Flasche Wein an.
Zusätzlich erhöht Alkohol die Infektanfälligkeit, senkt die Lust auf Sex und ist auch herzschädigend, was sich vielfach in Form von Herzrhythmusstörungen niederschlägt, die gern nach erhöhtem Alkoholkonsum an Wochenenden und in den Ferien auftreten – das Holiday-Heart-Syndrom.
Andererseits fand man vor rund zehn Jahren heraus, das regelmäßiger, moderater Alkoholkonsum das Risiko vermindert, eine koronare Herzerkrankung zu bekommen, bei der es zu Verkalkungen der Herzkranzarterien kommt. Alkohol in kleinen Mengen soll nämlich das „gute“ Cholesterin, das HDL erhöhen, und das gefährliche, das LDL, senken. „Französisches Paradoxon“ nannte man Ende der Achtziger die Tatsache, dass die stark Rotwein trinkende und sich fettreich ernährende französische Bevölkerung selten an koronarer Herzerkrankung litt. Zum Abschluss noch dies: Wer alkoholkrank ist, ist chronisch krank. Gegen Alkoholismus helfen keine Medikamente, nur lebenslange Abstinenz. GERRIT BARTELS
(wird fortgesetzt)
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