: Die Flötentöne
Näheres über ein Instrument à vent
von GABRIELE GOETTLE
Werner Tomasi, Gründer und Betreiber der Wiener Flötenwerkstatt. Musikalische Ausbildung ab d. 6. Lebensjahr i. Blockflöte, dann Querflöte. Besuch d. Volksschule, Hauptschule u. d. Gymnasiums i. Lienz, Osttirol. 1974 Matura i. Lienz. Studium d. Musikwissenschaften a. d. Universität Innsbruck. Anschl. Studium Konzertfach Flöte bei Frau Prof. B. Gisler-Haase a. d. Hochschule f. Musik u. darstellende Kunst i. Wien. Bereits während d. Studiums erste autodidaktische Flötenbauversuche. Wurde erster Preisträger d. Wettbewerbes d. Wanas-Stiftung d. Wiener Philharmoniker. Mitwirkung bei Konzerten verschiedener Ensembles u. Orchester. Konzerttätigkeit i. In- u. Ausland. Ist seit 1983 Mitglied d. Ensembles Vienna Flautists. Seit 1986 diverse wissenschaftliche Untersuchungen u. Versuchsreihen zum Flötenbau i. Zusammenarbeit m. d. Technischen Universität Wien, d. Institut f. Wiener Klangstil d. Hochschule f. Musik u. darstellende Kunst i. Wien, d. Montanuniversität Loeben (z. T. gefördert v. Forschungs-Förderungsfonds d. Gewerblichen Wirtschaft Österreich) Entwicklung (zus. m. Frau Prof. Gisler Haase) einer Alternative z. konventionellen Bepolsterungsmethode v. Querflöten, 1987 Anmeldung d. Patentes f. „Klappenpolster f. Blasinstrument“. Herr Tomasi wurde a. 31. 12. 1955 in Lienz i. Osttirol geboren, er ist verheiratet u. hat 2 Kinder.
Flöten zählen zu den ältesten Musikinstrumenten und sind weltweit verbreitet. Im Prinzip lässt sich jedes geschnittene Rohr als Blasinstrument verwenden, wobei ein Strom verdichteter Luft das tonerregende und eine im Rohr schwingende Luftsäule das tönende Element bilden. Der älteste Flötenfund stammt aus der Zeit des Neandertalers und besteht aus einem mit Löchern versehenen Oberschenkelknochen eines jungen Bären. In der abendländischen Mythologie gilt der griechische Naturgott Pan, Beschützer der Hirten und Ziegenherden in seinem Reich Arkadien, als Erfinder der Flöte. Als er liebestoll der Nymphe Syrinx nachstellte, wurde diese, um ihm zu entkommen, von ihren Schwestern in ein Büschel Schilf verwandelt.
Pan schnitt von jedem Rohr ein Stück ab, klebte die Stücke mit Wachs zusammen und spielte darauf bald die schönsten Melodien. Er blieb dennoch ohne Erfolg bei den Nymphen, die ihn, ein lüsternes Mischwesen mit Bocksbeinen, Hörnern und Bocksohren, wegen seiner Hässlichkeit abwiesen. Pan war auch zuständig für den panischen Schrecken, mit dem er die Perser 490 v. Chr. während der Schlacht von Marathon gelähmt haben soll. Der Schrecken Pans ist auch verbunden mit der Flötenmusik der Hirten. Denn wer in der Stille der Mittagsglut durch Flötenspiel den Schlaf des Gottes störte, wurde von schrecklicher Panik überwältigt. Pans Instrument, die Syrinx, wurde zum Instrument der hellenistischen und römischen Bühnenmusik. Pan selbst wurde in der Mythologie allmählich zum Satyr, zum Begleiter von Dionysos, die Römer machten ihn zum Faunus. Die Gestalt des christlich-abendländischen Teufels schließlich trägt seine Züge.
Der Typus Blockflöte, wie wir ihn im Prinzip heute noch kennen, entstand im frühen Mittelalter und war bis ins 17. Jh. hinein die typische Orchesterflöte. Bald nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und seiner Schrecken, löste die Querflöte (bisher als „flûte allemande“ bekannt) die als „zu sanft und kriechend“ empfundene Blockflöte rigoros ab. Damit wurde ein Instrument, das jahrhundertelang ein reines Militärmusikinstrument war, zur Einschüchterung der Feinde und für die Signalgebung, in den deutschen Ländern zur neuen und bald alleinigen Orchesterflöte. Das alte Sprichwort „Dir wird man schon noch die Flötentöne beibringen!“ erinnert an diese ehemalige Herkunft. Die technische Verbesserung der Querflöte, z. B. durch Anbringung von Klappen zur reineren Erzeugung der chromatischen Töne machte besonders im 18. Jh. große Fortschritte, und sie ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
Aber heute, wo ein Großteil der modernen Querflöten in hohen Stückzahlen seriell in Japan erzeugt werden, ist kaum noch Spielraum und Kompetenz für entscheidende Neuerungen geblieben. Dass der Instrumentenbauer zugleich Instrumentenspieler war und oft sogar auch Musikwissenschaftler und Komponist, ist bis zum Ende des 18. Jh. nicht ungewöhnlich. Empirische Vorgehensweise war ihm ebenso vertraut wie die wissenschaftliche Durchleuchtung des Problems. (So im Falle der Flötenbauer Quantz, Tromlitz, Böhm. Dieser war sogar noch ausgebildeter Goldschmied, und Quantz wurden Flötenlehrer und Hofkomponist von Friedrich d. Gr. Er verfasste das Lehrbüchlein „Versuch einer Anweisung, die Flöte traversière zu spielen“, die erste deutsche Flötenschule.) 1832 entwickelte Böhm eine entscheidende Neuerung an der Querflöte (an Grifflöchern, Klappen und Bohrung), die zylindrische Böhmflöte ist auch in unserer Zeit noch die am weitesten verbreitete Querflöte.
Herr Tomasi knüpft an diese alte Tradition an, er betreibt Flötenbau und Reparatur mit einer Mischung aus moderner Technik und altmodischer Handarbeit, mit Präzision und Gefühl. Er wohnt und arbeitet im 3. Wiener Gemeindebezirk. Vom Arenbergpark, der gesäumt ist von gutbürgerlichen Mietshäusern mit hohen Stockwerken, großen Wohnungen, diversen Stuckfassaden und teils imposanten Hauseingängen, hat Herr Tomasi nur ein paar Schritte um die Ecke zu gehen, um in seine Werkstatt in der Neulinggasse zu gelangen. Die Wiener Flötenwerkstatt befindet sich im Souterrain eines Altbaus. Als wir, eine heiße Pizza balancierend, die Stufen hinuntersteigen und den Verkaufsraum betreten, der sehr edel wirkt und raffiniert mit Spots ausgeleuchtet ist, wird uns peinlich klar, dass eine heiße Pizza hier vollkommen fehl am Platze ist. Da wir aber einen Bärenhunger haben, weil zwischen diesem und dem vorhergehenden Termin keinerlei Zeit übrig blieb, außer der zur Herfahrt, beschließen wir, uns über alle Formen des Anstandes hinwegzusetzen. Die silbernen Querflöten in der Vitrine glänzen kühl wie seltsame chirurgische Instrumente vor einem komplizierten operativen Eingriff. Wir werden von unseren verblüfften Gastgebern nach hinten geführt in einen schmalen, hellen Durchgangsraum, der zugleich Teeküche ist. Vorn im Laden ertönt der melodische Gong der Eingangstür.
Herr Tomasi entschuldigt sich, Frau Tomasi reicht uns zwei blaue Teller, Besteck und lässt sich nichts anmerken. Während wir essen, erfahren wir, dass sie studierte Sopranistin ist, den Beruf aber nicht ausübt, sondern mit dem Gatten gemeinsam die Werkstatt führt, wobei sie fürs Geschäftliche zuständig ist. Sie erzählt, wie der Gatte zu Hause „im Kammerl“ angefangen hat für Freunde und Bekannte Flöten zu reparieren und dabei, zusammen mit seiner Lehrerin, auf die Idee kam, das reparaturanfällige Polstersystem der Flötenklappen zu verbessern. Dann hält sie uns einen kleinen Vortrag über Funktion und Beschaffenheit der Klappenpolster. Im Hintergrund aus dem Verkaufsraum erklingt wohltönend eine Flöte, dann bricht die Melodie ab, bald darauf ertönt der Gong, und Herr Tomasi kehrt zurück. „Du hast schon alles erklärt?“, wendet er sich mit einem kaum spürbaren Unterton an die Gattin und fügt hinzu: „Ich geb jetzt was ein in den Computer, dann haben wir eigentlich beide was gemacht, von dem wir nichts verstehen.“
Wir essen mit gesenkten Augen weiter. Dann lächelt Herr Tomasi unverbindlich und erklärt Funktion und Beschaffenheit der Klappenpolster. „Diese Bepolsterung hat die Aufgabe, dass der Klappenmechanismus der Querflöte 100-prozentig schließt, mehr oder weniger, außer, ich will jetzt ein Glissando oder einen Viertelton erzeugen, dann macht man das bewusst nicht, dass man die Klappe schließt. Das Bepolsterungsmaterial ist ein spezieller, sehr feiner, hochwertig verarbeiteter Filz aus Hasenhaar. Das muss einerseits wasserabweisend sein, andererseits muss es eine gewisse Dicke haben. Die Dicke dieser Polster ist für das Decken der Flöte mit verantwortlich. Anfällig ist das Polster aus mehreren Gründen.
Dadurch, dass die Klappen in einer Kreisbewegung geschlossen werden, muss alles ringsum decken, wenn jetzt der Filz zu viel Wasser aufnimmt, dabei dicker wird, dann sitzt er hinten auf und bleibt vorn offen. Der Filz wird mit der Zeit auch härter, nach rund einem Jahr. Damit wird der Klang der Flöte anders, etwas härter, direkter. Mancher ist froh, wenn die Flöte etwas brillanter klingt. Aber irgendwann ist’s der Brillanz genug, und die Flöte wird scharf, muss neu gepolstert werden. Und durch den Handschweiß, der eindringt und durch die Atemluft, die hineingeblasen wird, die ja durchaus auch giftig und aggressiv sein kann, verziehen sich die Polster nicht nur, sie sind auch von Zersetzung bedroht. Es kann diese zarte Haut beschädigt werden . . .“ Herr Tomasi holt ein Polster und schneidet es durch, zeigt die gelbliche Filzschicht und den pergamentartigen Überzug.
„Diese Polster werden in Italien hergestellt, von weltbekannten Flötenherstellern. Das ist eine gegerbte Darmhaut mit einer Stärke von 200stel Millimeter. Man hat früher Fischhaut gesagt, weil’s aus der Fischblase gemacht war. Eine Zeitlang war’s eine Goldschlägerhaut, das war eine dünne Schicht Darm, die die Vergolder bei der Blattgoldherstellung verwendet haben, dazwischen wurde das Blattgold ausgehämmert, wie ein Strudelteig wurde es immer dünner, auch die Darmhaut wurde immer dünner. Was heute genau verwendet wird, weiß ich momentan nicht. Wir jedenfalls beziehen für die Reparaturen nur Originalpolster, denn jeder Flötenhersteller hat seine eigenen, jeder macht das ein bisschen anders, zu jeder Flöte gehört das angestammte Polster. Und weil so eine Flöte vielleicht 100.000 Mark kosten kann, muss das Polster decken, sonst funktioniert die ganze Flöte nicht, egal, wie teuer sie ist. Es hängt an diesem Ding. Professionelle Reparatur bedeutet, dass ich die Flöte nicht nur bestmöglich wieder herrichte, sondern möglichst in den Originalzustand wieder versetze. Das ist ein Prozess, den man vielleicht in fünf Minuten erklären kann, den man aber fünf Jahre lang mühsam lernen muss. Und eine seriöse Arbeit, die spricht sich herum.
Und dann ist es natürlich für einen Berufsmusiker oder auch für einen Studenten angenehm, wenn er sich ein Instrument aussucht und vielleicht die ganze Familie mit ist oder der Lehrer, dass dann ich als neutraler Mensch und fachmännischer Berater behilflich sein kann. Es gibt da oft eine große Hilflosigkeit, auch bei Berufsmusikern, wenn sie mit 20 Flöten konfrontiert sind, eine vernünftige Entscheidung treffen zu können. Die sind so müde, dass sie nichts mehr hören. Und wenn man dann bei der richtigen Wahl hilft, dann entsteht ein Vertrauensverhältnis. Der Flötenbenutzer und die Flöte müssen eine Einheit sein. Das können beide jeweils fantastische Faktoren sein, wenn die aber nicht zusammenpassen, dann ist es eine Katastrophe. Nehmen Sie die Mundplatte des Kopfstückes, sie hat einen gewissen Radius. Die Mundplatte wird an der Unterlippe eingesetzt. Das ergänzt sich oder ergänzt sich nicht. Sie können sich vorstellen, sie müssen auf diese vordere Kante, die wir Anblaskante nennen, in einem bestimmten Winkel hinblasen . . . bei Ihnen wird dieser Winkel anders ausschauen als bei Ihnen, und bei mir schaut’s wieder ganz anders aus, manche haben einen starken Vorderbiss . . . und jetzt, wenn ich diese Bewegung hin zum Kopfstück mache, und da fehlt jetzt diese Distanz zum Unterkiefer, so kann ich das technisch kompensieren, indem ich die Rundung größer oder kleiner mache oder aufgeschwungen mache.“
Auf die Frage, ob nicht Berufsmusiker gern wieder genau die gleiche Flöte hätten wie die altgewohnte, sagt Herr Tomasi, während Frau Tomasi fragt, ob wir Tee oder Kaffee möchten: „Ja, das kommt vor, aber es ist fast nicht möglich, weil es eben handgemachte Kopfstücke sind, die haben nur einen Näherungswert. Das Zweite ist, dass, wenn jemand eine Flöte fünf bis zehn Jahre spielt, dann gibt es, wenn er sie wechseln muss, schon wieder neue Modelle am Markt, neue Legierungen, oder die Mode hat sich ein bisschen geändert. Im Unterschied zur Flöte ist die Entwicklung bei der Geige schon seit langem abgeschlossen. Sie können nichts Besseres bauen als eine Stradivari. Bei der Flöte ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Und das Tonideal, wie eine Flöte zu klingen hat, das gibt es nicht. Es gibt nur immer wieder hervorstechende Solisten wie den Jean Pierre Rampale, die eine Zeit lang die Flötentonqualitätsmode geprägt haben, dann über die nächsten 15 Jahre der James Galway. Und jetzt gibt’s wieder zwei, die modebildend sind, einer davon ist der Immanuel Pahud, der bei den Berliner Philharmonikern . . . nein, er ist schon gegangen.“
Frau Tomasi ruft: „Gegangen worden! Der ist jetzt in Frankreich.“ Herr Tomasi geht darauf nicht weiter ein. „Ich habe vor ein paar Monaten vor lauter Berufsmusikern einen Vortrag für einen Meisterkurs gehalten, über den Einfluss des Materials auf den Flötenton und habe anfangs die Frage gestellt, was sie denn glauben. Da sind Leute, die spielen versilberte Flöten, Silberflöten, Goldflöten, na, und das hat sich so zwischen 85 Prozent und 90 Prozent eingependelt, dass der Flötist verantwortlich ist. Nur dreht sich’s dann wieder um, ohne dieses letzte Alzerl, ohne die 15 Prozent kann man singen, aber nicht Flöte spielen. Wenn man auf der einen Seite davon ausgeht, dass die ganze Anatomie, ebenso auch die Art des Blasens, die ganze Tonvorstellung zu 85 Prozent prägend ist, dann ist das Flötenaussuchen immer noch immens wichtig. Es beginnt, um beim Anatomischen zu bleiben, schon mit den Lippen, der Form der Lippenöffnung, die Form der Lippen selbst, weil fleischige Lippen die Luft ganz anders herauslassen und verwirbeln, als schmale Lippen. Wichtig ist der Raum, der durch den Rachen und die Zunge gebildet wird. Sprache ist eine Tonhöhe . . . A, E, I, O, U, also diese Tonfärbungen werden im Mund von der Zunge gemacht, bei E klappen sie die Zunge so, bei O wieder anders, das heißt, dass die Franzosen einen anderen Klang hervorbringen als die Zentralschweizer oder ein Hamburger. Franzosen sind sehr gute Flötisten, nur, ob es ein Zufall ist oder nicht, dass so viele Franzosen Flötisten geworden sind, das kann ich nicht sagen. Ja und dann, wenn ich als Person lieber scharf und aggressiv spiele, dann ist es natürlich nützlich, wenn ich mir eventuell eine etwas sanftere, weichere, rundere Flöte wähle, aber können muss ich natürlich beides.“
Herr Tomasi erhebt sich, um eine seiner silbernen Querflöten zu holen. Sie ist weniger kühl und auch viel leichter als erwartet. Wir reichen sie zurück. „Der prinzipielle Unterschied zwischen dieser und der Blockflöte ist der“, sagt Herr Tomasi und gestikuliert dazu mit der Flöte, „dass die Blockflöte einen Windkanal hat, durch den die Luft durchgeleitet wird und am Ende dieses Windkanals ist ein Labium, also eine Schneidekante, wo dieser Luftstrom auftrifft, gebrochen wird und in Schwingungen versetzt. Und dann wird eben im Unterteil der Flöte die Luftsäule durch verschiedene Griffe verlängert oder verkürzt, so entstehen die Tonfolgen. System Nr. 1, System Nr. 2, die Querflöte: Man hat keinen Windkanal, der die Luft auf die Schneidekante hinlenkt, sondern man muss diesen Windkanal also durch die Lippen selber machen.“ Er setzt die Flöte zierlich für einen Moment an seine Lippen und erklärt: „Es geht eben darum, dass man die Flöte so zum Mund hält, mit den Lippen einen Lippenspalt bildet und dann die Luft so dahinbläst, dass sie in einem bestimmten Winkel auf diese vordere Kante trifft, in einem bestimmten Verhältnis nach oben und nach unten. Die Luft wird also in Schwingung versetzt, innen im Rohr, das ein zylindrisches ist. Und es entsteht eine stehende Welle, physikalisch gesehen, die sich zusammenzieht und wieder ausbreitet. Das ist etwas, das in sich oszillierend . . . das in sich pulsiert und in relativ langsamer Geschwindigkeit aus der Flöte herauswandert.
Auf dem Kopfstück sitzt ein meist zweiteiliges Unterteil mit den Grifflöchern und dem Klappenmechanismus. Hier sind natürlich kompliziertere Griffverbindungen möglich, weil die Kompliziertheit durch den Mechanismus gelöst wird und nicht durch die Griffverbindung als solche. Das ist eben die moderne Böhmflöte. Was ist noch zu sagen . . . das Rohr ist entweder ein nahtlos gezogenes, oder man hat ein Blech aus Edelmetall, das man zusammenbiegt und an dieser Nahstelle dann lötet. Und so macht eben ein bestimmtes Material und seine Verarbeitung auch eine bestimmte Charakteristik. Ein gezogenes Rohr ist meistens sehr hart. Ein gelötetes Rohr weniger. Das Blech ist zwar auch hart, nur, ich muss es zusammenlöten und dabei praktisch rot glühend machen und dadurch ändere ich elementar die Kristallinstruktur, damit auch die charakteristischen Eigenschaften der Flöte. Denn wenn ich da oben 100-prozentig irgendwelche Schwingungen reinblas . . . je nachdem, wie hart das Material ist, wird’s irgendwie mitschwingen. Je nach der Verarbeitungsweise des Metalls bekomme ich dann also einen Klang in die eine Richtung oder in die andere, wo er dann etwas brillanter ist.“
Herr Tomasi legt die Flöte zur Seite, lehnt sich zurück, seufzt und sagt: „Ich habe als Siebenjähriger mit der Blockflöte begonnen und nach zwei Jahren dann auf der Querflöte gespielt, die ganze Zeit eben . . . und das ist eine Entscheidung, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Einmal Flötist, immer Flötist. Ich komme aus einem halbwegs musikalischen Elternhaus.
Meine Mutter hat sehr lang recht gut Klavier gespielt. Sie ist 1914 geboren und hat früher sich ein Geld verdient, indem sie die Vorführung der Stummfilme begleitet hat in Salzburg. Mein Vater war zwar musikalisch, hat aber eher nur Tiroler Gstanzln gesungen, also wenn’s sein hat müssen. Von Beruf war er an und für sich Bäcker, hat aber, seit ich mich erinnern kann, bei einer Straßenbaufirma gearbeitet. Und die Eltern wollten eben, dass ich ein Instrument lerne. Und ich habe es gelernt. Sogar gerne, warum auch immer. Man übt halt mehr als wie die anderen, entweder weil man verklemmt ist, oder was auch immer es bei mir war.“
Herr Tomasi lacht verklemmt. „Es ist doch wirklich so . . . warum geht ein Kind nicht mit anderen Kindern raus Fußball spielen, sondern sitzt allein daheim und übt also zwei Stunden lang Flöte. Da muss man eigentlich davon ausgehen, dass das Kind einen Schaden hat. Na ja. Es hat sich dann doch alles ganz gut entwickelt. Aber es hat mich immer auch die praktische Seite interessiert. Ich habe schon während des Studiums herumexperimentiert. Es war so, ich habe mit meiner Lehrerin ein Konzert gespielt und die Polster haben nicht richtig gedeckt, die tiefen Töne kamen schlecht heraus. Es gibt von Bach eine Triosonate, die fängt mit dem tiefen D an und das ging dann immer“, er singt vor, „pf...tidiliti...pf...tidiliti...pf...“, er lacht, „das fällt wahrscheinlich keinem auf, aber die Flötisten ärgern sich. Und aus diesem kleinen Wutanfall heraus haben wir beide dann beschlossen, jetzt erfinden wir ein anderes Bepolsterungssystem. Daraus ist eine über Jahre gehende Entwicklungsarbeit geworden, die zu sehr viel Wissen und auch internationalen Kontakten geführt hat. Wir haben verschiedene Versuche gemacht, beispielsweise mit einer gegossenen Dichtung aus Silikonkautschuk. Das war eigentlich nahe liegend, jeder Zahnarzt macht das, in der Technik ist eine gegossene Dichtung vollkommen üblich. In Japan war das aber ein Problem. Plastikpolster einer japanischen Firma zu verkaufen, die ein massenproduziertes Instrument herstellt, ist schwierig, weil Japan ja immer noch assoziiert wird mit Plastikkultur. Und dann hatten diese Polster auch nicht das schöne Gelb der Filzpolster sondern ein trübes Grün. Ich habe ja versichert, es könnte im Prinzip in jeder Farbe, aber es war eben grün. Und warum grün? Die Wacker Chemie gibt das nur in Chargen ab 10 Tonnen ab und ich hatte also die Möglichkeit, entweder 50 g zu bekommen als Probecharge. Na ja, es hat nicht geklappt mit den Japanern. Die Schuld jetzt nur der Farbe zu geben oder dem Umstand, dass es Plastik ist und Plastik bei Instrumenten eben nicht akzeptiert ist, wäre sicher nicht richtig und nur der Umstand, dass es eine Klangveränderung ergibt, auch nicht.
Die Polster sind ja etwas härter und dämpfen weniger als die Filzpolster, so dass dadurch der Ton etwas schneller anspringt, das bedeutet für den Musiker eine gewisse Veränderung. Der eine empfindet es positiv, der andere nicht so sehr. Die Lösung des Problems liegt aber in der Kopfstückveränderung, mit der ich die Veränderung der Klappen kompensieren kann. Schaun Sie dieser Flötensolist, den ich vorhin erwähnte, der James Galway, hat zwei Jahre mit unserem System gespielt und es getestet für eine japanische Firma. Er war vollkommen zufrieden, bis man ihm leider diese Flöte gestohlen hat. Wenn’s zwei Jahre hält, ist anzunehmen, dass es auch noch länger gehalten hätte, denn Silikonkautschuk hat um vieles bessere Elastizitätswerte als Filz. Das war ein international angemeldetes Patent . . . aber die Patentanmeldung ist das eine, die Vermarktung eine andere Sache.“
Frau Tomasi verabschiedet sich, sie muss sich um die Kinder kümmern. „Aber“, sagt Herr Tomasi zufrieden, „es hat eine Menge an Wissen gebracht, das Experimentieren. Ich könnte stundenlang über die teilweise sogar unanständigen Sachen sprechen, die wir da probiert haben.“
Wir ermuntern. „Also wir waren auf der Suche nach einem dünnen, elastischen, wasserundurchlässigen, hautartigen Material als Überzug für die Polster und kamen auf Präservative. Wir kauften sie in großen Mengen, zu Zeiten, wo das noch nicht so üblich war. Man kam sich vor wie ein Sittentäter . . . Es zeigte sich aber, dass es eine Tonveränderung bei den so überzogenen Klappen gab. Warum es so ist? Es könnte daran liegen, dass eine Latexhaut eigentlich wie ein Sieb ist, in dem sich die Sauerstoffatome z. B. verfangen und in den Näpfchen verschwinden, während die biologische Haut schuppenartig strukturiert ist, wie ein Schindeldach etwa, und die Atome wie einen Pingpongball zurückfedert. Und das ist wahrscheinlich der Grund für die Tonveränderung. Wenn man nun eine Kunststoffhaut finden könnte, die schuppenartig aufgebaut ist, statt porig, dann könnte man dieses Problem vielleicht lösen. Ich würde gerne weiterforschen, aber es fehlt nicht nur die Zeit, auch das Finanzielle.
Kein Mensch kann das. Man kann’s im Studium machen, auch noch am Anfang eines Geschäfts, wenn am Tag einmal einer reinkommt und man eigentlich vom Gehalt eines Substituten in irgendeinem Orchester lebt, wenn man keine Familie zu ernähren hat, keine große Wohnung zu erhalten hat und keine Werkstatt mit Angestellten. Ironischerweise ist die Werkstatt hervorgegangen aus dem Forschen und Herumexperimentieren. Und leicht war das nicht, es gibt nämlich eine Gewerbeordnung in Österreich und Deutschland, die sehr streng ist. Man ist wahnsinnig stolz auf das Ausbildungssystem, auf den Meisterstatus . . . für Holzblasinstrumentenbauer. Der umfasst die Instrumente Flöte, Klarinette, Fagott, Saxophon, Oboe. Es gibt aber keinen Menschen auf der Welt, der Oboen- und Flötenbauer gleichzeitig ist auf einem international anerkannten Niveau. Die Leute, die Flöten bauen, bauen Flöten. Nur Flöten. Bei den Oboen ebenso, aus guten Gründen. Dennoch darf der Meister alles. Es gibt aber, z. B. in Deutschland auch, Leute, die Flöten-, Flötenkopf- bzw. Piccoloflötenbauer sind und Weltruhm haben, aber keine Meisterprüfung. Die können nichts können, weil, sie haben nicht gelernt, und man legt ihnen Steine in den Weg, wo es geht. Mir selbst haben weder die Empfehlungsschreiben der Universitäten noch die der gewerblichen Wirtschaft noch die von verschiedenen Solisten geholfen, ich habe die Berechtigung zum Bau der Flötenköpfe dadurch erhalten, dass ich einem Mitglied der Wiener Innung versprochen habe, sein Geschäftsfeld zu schützen und nicht auf Klarinetten und Saxophone zu erweitern. Ich hatte das Glück, dass es in Österreich sonst so gut wie keinen gibt, der das für Flöten in dieser Qualität anbietet. Ja, das ist nun mein Geschäft.“
Er führt uns in die Werkstatt, zeigt die gebraucht gekauften Maschinen, für die er sich nicht schämen muss. „Ich hab den Schritt zurück gemacht, zur Handarbeit. Die AVL, eine High-Tech-Schmiede von BMW in Graz, hat das Mundloch unserer Köpfe vermessen. Die haben dann gesagt, wie machen denn Sie das, ohne alles? Es braucht immer noch den Menschen, der mit Intuiton und Gefühl so etwas macht. Das ist das, was aus einem guten Flötenkopf einen exzellenten Flötenkopf macht. Und Interessenten gibt es genug. Ein Student z. B. im Endstadium seines Studiums ist gezwungen, sich eine Flöte zwischen 12.000 bis 30.000 Mark mindestens zu kaufen, um bei einem Probespiel vor einem guten Orchester so abzuschneiden, dass er eine reelle Chance hat, ausgewählt zu werden. Da müssen dann 100 oder mehr Flötisten einzeln hinter einem Vorhang vorspielen und werden streng beurteilt.“
Das Telefon klingelt. Herr Tomasi erklärt nach der Rückkehr, dass die Polizei sich erkundigt habe, ob alles rechtens sei, weil die Alarmanlage noch nicht eingeschaltet ist. Im Safe liegen Gold-, Silber-, und Platinmundstücke, Flöten für die stärkeren Geldbeutel. Bevor wir die Wiener Flötenwerkstatt verlassen und hinüberspazieren zur Wohnung, zeigt uns Herr Tomasi noch sein Musikzimmer. Es sieht aus wie ein Übungsraum mit Notenständern und verschiedenem Gestühl, an der Wand japanische Drucke. Das Licht ist sehr hell zur Decke hin. Hingelehnt an einen Stuhl liegt ein Monstrum von einer Flöte, röhrenartig. Wir möchten sie hören, und Herr Tomasi bläst eine kleine, sehr tiefe Melodie, hält einen Ton und kommentiert dann: „Die stehende Welle steht da drin und jetzt fällt sie unten aussi. Das ist eine Kontrabassflöte. Mir fällt das Kindersprüchlein ein über die drei Japanesen mit dem Kontrabass . . .“
Herr Tomasi wirkt etwas erschöpft, es ist spät geworden. „Es wird fast immer spät“, sagt er. Es ist eigentlich schade um die schöne 250-Quadratmeter-Wohnung mit den herrlichen verglasten Türen, dem schwellenlos verlegten Parkett, den schönen Möbeln, mit der Rembrandtkopie, der Karikatur von Lully, der sich den Taktstock in den Fuß stößt, und dem außergewöhnlichen alten Siamteppich, Erbstück der Gattin, deren Großvater Konsul in Siam war. Lediglich die Kinder scheinen in ihrem riesigen Kinderzimmer wirklich zu leben und ein bisschen vielleicht auch im geräumigen Flur, in dem man Fußball spielen könnte und Roller fahren.
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