Batzen bleibt Batzen

In Leipzig nutzen 300 Menschen neben der Mark eine Währung namens Batzen. Und die wird auch nach der Euroeinführung ihre Lieblingswährung sein

Der Tauschring soll ein experimentelles Beiboot zum großen Dampfer sein

aus Leipzig SUSANNE AMANN

Paulo freut sich immer, wenn sie kommen. Wenn sie ihre mittelalten Secondhandsachen in seiner Kneipe ausbreiten, um Preise und Stückzahl feilschen, dabei Bier trinken und noch ewig sitzen bleiben, auch wenn das Geschäftliche schon lange erledigt ist. Dann freut sich der Inhaber der afrikanischen Kneipe in der Leipziger Nonnenstraße über seine Gäste, auch wenn er sie vielleicht ein bisschen wunderlich findet. Ihr Bier zahlen sie in D-Mark, aber ihren Handel betreiben sie in einer anderen Währung, dem Batzen. Denn im Tulamahash, Paulos Kneipe, trifft sich einmal im Monat der Leipziger Batzentauschring.

Der Batzen existiert und existiert doch nicht. Er ist eine virtuelle Währung, ein Ersatzgeld, das es nur in den Köpfen der Menschen gibt. Und im Computer von Angelika Kell. Sie ist der Kopf des Ganzen, verwaltet und organisiert den Tauschring seit seinen ersten Tagen privat von zu Hause aus, erst seit kurzem hat die selbständige Projektplanerin einen „Batzen“-Computer auch in ihrem Büro stehen. Mit der von einem Mitglied selbst entwickelten Software setzt sie sich einmal im Monat hin, um die Konten der Mitglieder auf den neusten Stand zu bringen. Neben ihr liegt ein dicker Stapel selbstkopierter und von Hand ausgefüllter Batzenschecks, deren Wert Kell in den Computer überträgt: Anita Egeler bekommt für zweimal Haareschneiden 50 Batzen, gleichzeitig werden ihr aber wieder 30 Batzen abgezogen, weil sie sich beim Umzug hat helfen lassen. Ein Batzen entspricht vom Wert her etwa einer Mark. Dieser Kurs dient aber nur zur Orientierung, denn die Leipziger Alternativwährung ist nicht konvertierbar: echte D-Mark können gegen die Batzen nicht eingetauscht werden.

Der Batzentauschring existiert seit 1995 und ist ein Projekt seiner Zeit. Gegründet in den Nachwendejahren und groß geworden in einer Stimmung, die geprägt war von der völligen gesellschaftlichen Umstrukturierung und der Freiheit nach Alternativen zu suchen. Wandel und Umbruch waren die Schlagwörter dieser Jahre und sie haben Menschen wie Angelika Kell in Leipzig, Halle oder Dessau dazu gebracht, sich in diesen Prozess einbringen zu wollen. „Ich glaube, wir haben versucht, Alternativen zu definieren zwischen dem, was im Osten vorbei war und dem, was vom Westen zu uns kam“, erinnert sich Kell.

Am aktivsten war Dessau, wo sich intellektuelle Gruppen mit der Frage nach einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung beschäftigten. Oder mit Theorien für eine gerechte Gesellschaftsordnung angesichts einer totalen industriellen Umstrukturierung in der Region. Aus Dessau kamen die Ideen und dort fand im Frühjahr 1995 auchder Kongress „Wirtschaft von unten – people’s economy“ statt, bei dem sich Tauschringe aus ganz Deutschland und Europa vorstellten. Menschen aus allen Regionen und Ländern erzählten von ihrer Arbeit. Spinner, Idealisten, Pragmatiker. „Und danach saßen wir im Zug nach Hause“, sagt Kell lachend, „und waren so begeistert, dass wir uns gedacht haben: Das machen wir auch!“

Der Leipziger Tauschring ist einer von etwa 200 Tauschringen, die es in Deutschland gibt. Die Tauschringe in Ostdeutschland sind aus der sozialen Situation heraus entstanden und sehen ihren Handlungsraum vor allem auf lokaler Ebene.

Das ist im Westen oft anders: Hier stehen hinter dem lokalen Aktionsradius auch politische Vorstellungen und Ansprüche. Viele dieser Tauschringe begründen ihre Arbeit mit den Theorien von Silvio Gesell: Der Kaufmann hatte 1916 in seinem Buch „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ die so genannte Freiwirtschaft begründet.

Vor allem in Argentinien hatte Gesell die Wirtschaftskrisen des ausgehenden 19. Jahrhunderts miterlebt und daraus die Schlussfolgerungen für seine Theorie gezogen. Für die Hauptursache wirtschaftlicher Krisen hielt er das ungleiche Verhältnis von Waren und Geld. Denn während Waren durch lange Lagerung, Verderb oder Verfall mit der Zeit an Wert verlieren oder sogar wertlos werden können, kann ein Besitzer von Geld beliebig lange auf einen günstigen Kauf warten: Sein Geld verliert im Normalfall zwar einen Teil seines Wertes durch Inflation, wird aber nicht wertlos. Die private Hortbarkeit des öffentlichen „Tauschmittels“ Geld ermögliche erst den Zins, stellte Gesell fest und werde damit dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Das führe zu einer Umverteilung des Geldes und damit zu wirtschaftlichen Krisen und sozialen Spannungen. Gesell forderte daher als Konsequenz eine freie Marktwirtschaft, in der private Monopolen ausgeschaltet und Zinsen abgeschafft sind. Und genau das halten einige Tauschringinitiativen für richtig.

Angelika Kell hält nicht viel von den Theorien Gesells. Sie sitzt in ihrem hellen, funktionalen Büro in der Leipziger Innenstadt und muss bei dem Gedanken an die zinsfreie Gesellschaft leicht lächeln. „Für mich ist das ganze Projekt ein experimentelles Beiboot zum normalen Dampfer, es ist interessant und es ist auf lokaler Ebene machbar. Aber das Beiboot wird nie zum Dampfer werden.“ Sie sagt nicht, dass sie Leute wie Klaus Kleffner vom Tauschringarchiv in Osnabrück, die auf eine breite Beteiligung des Staates an den alternativen Währungen hoffen, für Träumer oder Spinner hält. Sie ist einfach nur sachlich: „Da existieren höhere politische Ansprüche als diskutabel ist.“

Der Leipziger Tauschring ist trotzdem nicht unpolitisch. Ob es die Studentin ist, die sich ihr Studium mit Gesangsstunden verdient oder der Tierarzt, der die Hunde und Katzen der Linksalternativen aus Leipzig-Connewitz behandelt und sich dafür seinen alten Bauernhof in Stand halten lässt, der Ansatz ist ähnlich: Der Wille, sich in der Gemeinschaft zu engagieren, sich gegenseitig zu helfen, gewürzt mit einer gesunden Prise Eigennutz.

Das Grundprinzip des Tauschrings heißt Vertrauen, denn jedes Mitglied erhält erst einmal 200 Batzen Vorschuss, kann also Leistungen in Anspruch nehmen, ohne selbst Gegenleistungen zu bieten. Bei den meisten funktioniert es, auch wenn es immer wieder einzelne gibt, die den Ring um den Gegenwert ihrer Batzen bringen. „Natürlich haben wir jedes Jahr zwei oder drei, die beitreten, ihre Batzen ausgeben und dann sind sie plötzlich verschwunden, weggezogen und wir hören nie wieder von ihnen“, sagt Kell und zuckt mit den Schultern. Aber das gehöre eben dazu.

Der Batzen war inspiriert von der Stimmung der Nachwendejahre

Im Gegensatz zu Tauschringen in anderen Orten engagieren sich im Leipziger Batzenring vor allem berufstätige Menschen. Es sind Architekten, Ärzte, Handwerker, viele Selbstständige, viele haben einenHochschulabschluss. „Ich glaube, wir sind attraktiv für Leute, die gedanklich beweglich sind, die keine Probleme haben, mit anderen in Kontakt zu treten“, schätzt Kell. Natürlich gibt es auch die, die arbeitslos sind, die von der Sozialhilfe leben. Aber auch die sind ständig unterwegs und bieten ihr Können an.

Kuchenbacken, Gartenarbeit, kleine Reparaturen, Umzugshilfe, Haare scheiden oder Computerhilfe: Es sind vor allem die kleinen Dienstleistungen aus dem Alltag, die die Mitglieder in ihrer kleinen Zeitung „Batzen-Basar“ anbieten, die alle zwei Monate neu erscheint. Mehr als zehn Seiten kleingedruckte Anzeigen mit Adresse und Telefonnummer, Kontakt wird bei Bedarf persönlich hergestellt. Der Preis ist Verhandlungssache, denn jeder muss selbst wissen, wie viele Batzen er zum Beispiel für eine Klangschalenmassage, indianische Amulette für Neugeborene oder einen Gesprächsabend ausgeben will. „Eigentlich sind wir Protagonisten des Neoliberalismus“, sagt Angelika Kell und lacht, „denn bei uns bestimmen allein Angebot und Nachfrage den Markt!“

Dass es funktioniert, sieht man an Menschen wie Udo Thorn, dem ehemaligen Studentenpfarrer an der Leipziger Uni: Sein Hochzeitsfest im vergangenen Jahr entstand fast komplett mit Hilfe des Tauschrings. Mitglieder richteten gegen Batzen das Buffet an, die Band bekam eine Batzengage und auch die Rikscha, mit der Thorn seine Braut zur Kirche fuhr, hatte ihm ein Mitglied für einen Batzenbetrag vermietet. Der Leipziger Batzenring existiert seit mehr als fünf Jahren, aus ehemals 15 Mitgliedern sind inzwischen mehr als 300 geworden.

So gesellschaftlich offen und politisch interessiert die meisten Mitglieder des Batzentauschrings auch sind, eine Sache ist ihnen dann doch ziemlich egal: Der Euro. Während Banken, Firmen und Geschäfte seit Monaten mit den Vorbereitungen zur Währungsumstellung beschäftigt sind, bleiben die Alternativwährungsanhänger entspannt. Dass der Euro ab morgen die D-Mark ersetzen wird, betrifft ihre Aktivitäten nur am Rande. Zwar müssen sie ihre Software umstellen und der Wert für Waren und Leistungen orientiert sich nicht an der neuen europäischen Währung. Aber auch dieses Problem wird kurz und pragmatisch angegangen. Während bisher ein Batzen einer D-Mark entsprach, heißt es ab morgen: Ein Euro gleich ein Batzen.