piwik no script img

Konzepte steigen nicht ab

■ Dietmar Demuth, Trainer des FC St. Pauli, erklärt im taz-Interview, warum Profi-Fußball nicht erstklassig sein muss und selbst ein Spieler wie Zinedine Zidane am Millerntor mit untergehen würde

taz hamburg: Herr Demuth, eigentlich sollten sie der glücklichste Trainer der Liga sein.

Dietmar Demuth: Na ja, wenn die Aussage unseres Präsidenten Reenald Koch gemeint ist, dass ich 34 Spiele in der Bundesliga verlieren kann, ohne vor die Tür gesetzt zu werden, muss man das sicherlich im Zusammenhang mit unserer Ausgangssituation sehen. Als ich angefangen habe, steckte der Verein sportlich wie finanziell in einer heftigen Krise.

Eine Krise, die zwar bewältigt wurde, aber im Oberhaus zwangsläufig als Bumerang zurückkehrt. Sportlich wie finanziell ist St. Pauli Tabellenletzter in der 1. Bundesliga.

Unser Präsident, Manager Stephan Beutel und ich suchten nicht den kurzfristigen Erfolg, weshalb die Worte des Präsidenten, der den Aufstieg einen „positiven Betriebs- unfall“, nannte nicht falsch sind. Wir versuchen, ein langfristiges Konzept zur Gesundung des Vereins zu erarbeiten.

Meine Aufgabe als Verantwortlicher für die sportlichen Belange bestand in der vergangenen Saison darin, den Verein mit einem Etat von sieben Millionen Mark im bezahlten Fußball zu halten. Wir sind sensationell aufgestiegen und spielen weiterhin als Profis Fußball.

Das täte man im Falle eines Abstieges weiterhin. Wird der Treueschwur des Präsidiums also ebenfalls für Liga Zwei gelten?

Sicher nicht. Da würden mit Sicherheit die gleichen Gesetzmäßig- keiten greifen wie überall anders auch. Schließlich geht es ja hier nicht um meine Belange, sondern um die Ansprüche des Vereins.

Ansprüche, die im Zuge des Aufstiegs gestiegen sind?

Natürlich wäre es für den Verein am günstigsten, wenn man noch ein weiteres Jahr 1. Liga mitnehmen könnte. Denn da wird erst das richtige Geld verdient. Und was das Finanzielle ausmacht, kann man gerade zur Zeit bei den Transfers zur Rückrunde hervorragend beobachten.

Wird die finanzielle Situation nicht zuletzt deshalb wichtiger, weil die Möglichkeiten, durch mannschaftlichen Zusammenhalt zum Erfolg zu kommen, in der Bundesliga begrenzt sind?

Fußball ist und bleibt immer noch ein Mannschaftssport. Dennoch muss eine gewisse Klasse beim einzelnen Spieler vorhanden sein. Je besser der einzelne Spieler ausgebildet ist, desto besser kann das Kollektiv funktionieren. Diese Spieler sind aber nicht billig. Selbst ein Spieler wie Zinedine Zidane ginge allerdings bei uns mit unter.

Was nicht zuletzt an einer festzustellenden Porösität im Mannschaftsgefüge liegt.

Als wir in die Aufstiegs-Saison gestartet sind, hatten wir ebenfalls einen zusammengewürfelten Haufen, aber alle wollten nach dem verhinderten Abstieg in die Regionalliga ihre Zweitliga-Tauglichkeit unter Beweis stellen. So haben die Jungs auch vom ersten Tag an trainiert. Nach den ersten Erfolgen ist die Mannschaft dann zu einem richtigen Team zusammen- und über sich hinaus gewachsen.

Wollen die Spieler des aktuellen Kaders nicht ebenfalls ihre Erstliga-Tauglichkeit unter Beweis stellen?

Man muss bedenken: Die Spieler, die im vorigen Jahr den Aufstieg gepackt haben, sind damals 100 Prozent gegangen. Die Mannschaft hat bereits in der 2. Liga am Limit gespielt. Bei diesen Spielern eine erneute Steigerung herauszukitzeln, ist schwierig. Der Wille ist da, aber die Gegner sind einfach auch eine Klasse besser.

Ein Grund, warum sie versucht haben, neue Spieler in die Mannschaft zu integrieren?

Das, muss ich sagen, habe ich vor der Saison unterschätzt. Ich wollte in die intakte Truppe noch zusätzliche Qualität holen. So wie die Erfolgserlebnisse in der Vorsaison den Zusammenhalt gefördert haben, erschweren die Negativerlebnisse dieser Saison eine reibungslose Integration neuer Spieler.

Hinzu kamen Umstellungen im taktischen Bereich.

Ich wollte der Mannschaft mit einer defensiveren Aufstellung mehr Sicherheit geben und bin immer noch der Meinung, dass es so richtig war. In den ersten beiden Spielen hat es mit den Unentschieden gegen Hertha und Wolfsburg ja geklappt. Auch in den darauffolgenden Spielen gegen Bayern, Leverkusen und Dortmund sind wir ja nicht untergegangen.

Liegt es also nur an den zahlreichen individuellen Fehlern?

Es wird mir zur Zeit ohnehin viel zu viel über System und Taktik geredet. Was nützt mir eine Dreier-, Vierer- oder Fünfer-Kette, wenn im entscheidenden Moment ein Spieler über den Ball senst.

Wie kann ein Trainer an solchen Problemen arbeiten?

Ich versuche den Spielern ein solches Selbstvertrauen zu geben, dass diese Fehler in Zukunft nicht passieren. Nehmen wir Cory Gibbs, der hat eine prima Hinrunde gespielt und sich auch nach schwächeren Auftritten wieder gefangen. Aufgrund der vielen Verletzten musste ich dennoch häufig den einen oder anderen durchspielen lassen, von dem ich dachte, hoffentlich geht das gut...

Wie gut ginge es überhaupt ohne Christian Rahn?

Christian Rahn ist ein wichtiger Spieler für uns. Aus sportlicher Sicht muss ich als Trainer sagen, der bleibt bis zum Vertragsende. Bei unserer finanziellen Situation betrachte ich die Sache auch aus wirtschaftlicher Perspektive. Nehmen wir das Geld und schaffen es ohne ihn, oder lassen wir ihn ablösefrei ziehen und steigen vielleicht trotzdem ab?

Hört sich sehr nach dem Freiburger Modell „Steine statt Beine“ an. Mehr Investitionen in die Infrastruktur und weniger in teure Fußballer ?

Auf jeden Fall. Wir setzen auf ein Konzept, dass nicht nur auf kurzfristigen sportlichen Erfolg aufbaut. Oft genug sitze ich mit Spielern zusammen, die wir gern zu uns holen würden, bekomme aber Gehaltsforderungen um die Ohren gehauen, bei denen wir als kleiner Verein uns nur noch für das Gespräch bedanken können.

Wie bei Jan Simak?

Zum Beispiel. Den hatte doch keiner auf dem Zettel, erst als unsere Verhandlungen geplatzt waren, sind andere Vereine auf ihn aufmerksam geworden. Uns bleibt nur der Weg, auf junge Talente zu setzen.

Wie werden die Talente für den FC St. Pauli gesucht?

Das ist ein wunder Punkt bei uns. Ein Scouting-System, wie es bei anderen Vereinen üblich ist, können wir uns noch nicht leisten. Daher bin ich selbst Freitag, Samstag und Sonntag in Sachen Sichtung unterwegs. Ich habe sicherlich das Glück, lange im Fußballgeschäft tätig gewesen zu sein und kriege ab und zu einen Tipp von alten Freunden.

Hat es trotz ihrer Erfahrung besondere Lernprozesse als Cheftrainer eines Bundesligisten gegeben?

Sicher ist jeder im Laufe der Saison an seine Grenzen gestoßen. Persönliche Fehler oder Unkonzentriertheiten wurden eiskalt bestraft. Die Basis unseres Spiels, Kampfbereitschaft und konditionelle Fitness, müssen wieder verstärkt erarbeitet werden. Gegen Ende der Hinrunde konnte man sehen, zu was Spieler wie Marcel Rath oder Thomas Meggle in der Lage sind, wenn sie hundertprozentig fit sind. Daran werden wir in der Vorbereitung arbeiten, auch wenn einige Spieler die Augen verdrehen werden.

Fällt ihnen denn eine positivere Mimik als Fazit zur Hinrunde ein?

Wir sind Letzter, das sieht niemand gern. Trotzdem kann man sich über die Entwicklung freuen. Vor knapp zwei Jahren hätte beinahe unsere Oberligamannschaft als erste Mannschaft den Spielbetrieb aufrechterhalten müssen und jetzt spielen wir in der Bundesliga. Wir haben einen eigenen Trainingsplatz auf dem wir morgens, mittags und nachts trainieren können. Unser Nachwuchszentrum bekommt einen Kunstrasen, bei dem andere Vereine in der Stadt neidisch werden könnten – und das Beste daran: Das alles gehört uns und niemand kann es uns mehr nehmen.

Interview: Oke Göttlich / Frank Schliedermann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen