KASCHMIRKONFLIKT: PAKISTAN BRAUCHT EINE POSITIVE IDENTITÄT: Aufschwung macht friedlich
Hinsichtlich Pakistan war der US-Feldzug in Afghanistan zunächst erstaunlich erfolgreich. Von Anfang an drohte die Gefahr, Pakistan zu destabilisieren, ein Erstarken der Islamisten zu provozieren und wegen des ungelösten Kaschmirkonflikts den Krieg bis nach Indien auszudehnen. Doch die Lage in Pakistan geriet nicht außer Kontrolle, der Militärmachthaber Pervez Muscharraf unterband die Solidarisierung der Fundamentalisten im eigenen Land mit den afghanischen Taliban.
Mit dem Anschlag auf das indische Bundesparlament in Delhi schafften es mutmaßliche Islamisten jedoch, den Subkontinent an den Rand eines neuen Krieges zu bringen. Die Täter wissen, dass es Muscharraf viel schwerer fallen wird, im Kaschmirkonflikt nachzugeben, als die Taliban fallen zu lassen. Denn das tief muslimisch geprägte Pakistan definiert sich seit seiner Gründung über seine Abgrenzung zum offiziell säkularen und zugleich mehrheitlich hinduistischen Indien.
Diese religiöse Definition wurde umso wichtiger, je weniger Pakistan als Staat seinen Bürgern zu bieten hatte. Nüchtern betrachtet, müsste dieser bankrotte und abwechselnd von korrupten Eliten oder diktatorischen Militärs regierte islamische Staat als gescheitert gelten. Jetzt gibt ausgerechnet der Krieg gegen die Taliban auch Pakistan eine neue Chance gegen den Islamismus.
Um dem Kaschmirkonflikt seine Brisanz zu nehmen, muss die pakistanische Seite wirksam gegen islamistische Terrorgruppen vorgehen. Dazu wird sie nur unter internationalem Druck bereit sein. Um den Konflikt jedoch dauerhaft zu lösen, bedarf es einer gesellschaftlichen Herausforderung: Pakistan braucht als Staat eine neue Perspektive, die über eine anti-hinduistische, anti-säkulare und anti-indische Definition hinausreicht – über all das, was sich in der Kaschmirpolitik bündelt. Nur die Aussicht auf wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung kann den Knoten lösen – ein Verharren Pakistans in Armut jedoch bürgt auf Dauer für Instabilität der ganzen Region.
Realpolitisch ist der Kaschmirkonflikt nur zu lösen, wenn die Waffenstillstandslinie zur Staatsgrenze wird. So sollen es schon einmal die Regierungschefs Indiens und Pakistans mündlich vereinbart haben. Frieden in Kaschmir würde dann auch bedeuten, dass die indischen Einwände gegen mehr Autonomie für Kaschmir entfallen und zugleich die pakistanische Selbstfindung beginnen kann. Daran zeigen auch aufgeklärte Inder ein enormes Interesse. Nur die Islamisten werden sich mit allen Mitteln dagegen wehren. SVEN HANSEN
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