: Die Sehnsucht nach Haltbarkeit
In den Neuköllner Gropius-Passagen findet derzeit eine kleine Revolution statt: An einem unscheinbaren, schmalen Stand wird Tupperware verkauft. Ohne Party, ohne Nachbarinnen, ohne Wohnzimmercouch. Einer Institution droht der Tod
von KIRSTEN KÜPPERS
Luftdicht verpacken. Einfrieren. Frische bewahren. Das ganz Prinzip ist auf Haltbarkeit ausgerichtet. Produkte zum Weitergeben an spätere Generationen. Das Material ist unverwüstlich, klassisches Design. 30 Jahre Garantie. Service und Beratung sind so herzlich umfassend wie verbindlich. Kurz, es geht um Freundschaft für ein ganzes Leben. Und jetzt das: Eine fundamentale Veränderung im System Tupper. „Nur für ein paar Monate“, „an ausgesuchten Orten“, heißt es beschwichtigend von der Konzernführung. Lediglich eine Testphase, nur ein Versuch. Tatsächlich könnte dieses Experiment jedoch den schleichenden Anfang eines Abschieds bedeuten. Den unaufhaltsamen Untergang einer 50-jährigen Institution. Die Aufgabe einer stabilen Geschäftsidee, schlicht: den Tod der Tupperware-Party.
Denn die Firma Tupperware verkauft ihre Plastikbehälter jetzt in Einkaufszentren. Ohne Party, ohne Nachbarinnen, ohne Wohnzimmercouch. Einfach nur Waren im Regal, so sieht das neue Marketingkonzept aus. Den Anfang vom Ende macht ein Stand in Berlin; weil hier wohl jeder glaubt, ausprobieren zu können, was er sich anderswo nicht traut.
Die Tupperware Deutschland GmbH hat in den Gropius-Passagen in Neukölln ihre erste öffentliche Verkaufsstelle aufgebaut. Es mag übertrieben klingen, den unscheinbaren, schmalen Stand am Ende eines langen Ganges des Neuköllner Einkaufszentrums gleich mit einer unternehmerischen Revolution zu vergleichen, diese kleine Bude, versteckt inmitten der saisonalen Pappdekorationen einer Ladenpassage. Denn noch finden ja Tupper-Partys statt; jene Verkaufsveranstaltungen, bei denen Hausfrauen eine Vertreterin von Tupperware nach Hause einladen, um sich in vertrauter Atmosphäre vorführen zu lassen, zu welchen Leistungen das Plastikgeschirr fähig ist.
Nach Angaben der deutschen Tochtergesellschaft des amerikanischen Herstellers ist Deutschland sogar das größte Tupper-Land der Welt. Im vergangenen Jahr soll es hier rund 1,5 Millionen Tupperpartys gegeben haben, zu denen über 14 Millionen Gäste kamen. Zahlen, die zeigen, wie groß die Sehnsucht der Menschen in diesem Land nach etwas Haltbarkeit im Leben ist. In einer Zeit, in der alles schwindet, die Jobs und die Lebensabschnittsgefährten; Ehen im Durchschnitt nur zwei Jahre halten und das Bruttosozialprodukt sinkt. Ja, in einer solchen Zeit, kann eine schlichte Plastikdose, die Gemüse sechs Monate frisch zu halten verspricht, ungemein beruhigend sein. Etwas Gutes, das bleibt, im irrwitzigen Toben der sogenannten Wegwerfgesellschaft. Obendrein 30 Jahre Garantie – klingt das nicht besser als die Riester-Rente?
Und dennoch steht Neukölln für einen Umbruch bei Tupperware. Der Auftritt im Einkaufszentrum widerspricht einem alten Grundgedanken des Unternehmens. 1944 vom amerikanischen Chemiker Earl Tupper gegründet, setzte die Firma bis auf einen kurzen Zeitraum nach der Gründung immer auf die Party als Verkaufsform, auf den so genannten „Direktvertrieb“.
Im Einzelhandel gab es die Plastikschüsseln nicht zu kaufen, erzielte doch der Besuch im privaten Haushalt höhere Umsätze. Dort gab es Zeit für intensive Beratungsgespräche, für persönliche Zuwendung, entspanntes Ambiente. Der innere Zwang zu Kaufen entstand bei den Gästen ganz von allein. Hausfrauen machten mit ihren Freundinnen Kasse. Das Ereignis wurde in manchen Kreisen zum Kult. In Großstädten soll es sogar reine Männerpartys geben. Für Nichteingeweihte umgab die Tupper-Gemeinde jedenfalls beinahe etwas Verschwörerisches. Beim Stand in den Gropius-Passagen geht viel von diesem alten Charme verloren.
Die Gewinnmaximierungs-Architektur eines Einkaufszentrum kann nun einmal nicht mit der warmen Behaglichkeit eines Wohnzimmers konkurrieren. Zwar ist in dem aufgestellten Tupper-Regal eine große Auswahl bekannter Produkte von der Butterdose, über die Frischhaltebox bis zur Thermoskanne vertreten. Und wie bisher tragen sie schön biedere Namen wie „Frische Kabinett“, „Kleiner Kaffeefreund“ oder „Kühles Lottchen“. Es schwirren auch etliche Tupper-Beraterinnen umher. Inmitten der bunten Warenwelt der Schaufenster, zwischen Sonderangeboten einer „Blume 2000“-Filiale und den Schnäppchen-Jeans von „New Yorker“, wirken die Plastikbehältnisse von Tupper jedoch auch nicht besser als die Auslage jedes beliebigen Haushaltswarengeschäfts. Das Tupperware-Erlebnis reduziert sich auf die reine Zweckmäßigkeit von Kaufen und Verkaufen.
Allerdings konnte es auch nicht ewig weitergehen wie bisher. 50 Jahre Tupperware bedeuten auch ein halbes Jahrhundert Vertrauen auf grauen Hausfrauenalltag. Selbst wenn das Unternehmen vielen Frauen mit einer Karriere als Tupperware-Beraterin Selbstbestätigung und Nebenverdienst ermöglichte, zielte das Marketingkonzept auf die klassische Kleinfamiliensituation eines berufstätigen Mannes und einer Frau, die sich um Heim und Kinder kümmert, auf die Hausfrau, die Zeit hat, nachmittags die Damen von Tupperware zu empfangen.
Die gesellschaftliche Realität hat sich verändert. Bei den vielen Doppelverdienerhaushalten haben die Tupper-Vertreterinnen weniger Möglichkeiten, ihre Produkte an die Kundin zu bringen. Wer lange arbeitet, hat meist auch keine Lust, am Abend noch an Verkaufspräsentationen teilzunehmen. Tupperware musste auf diese Entwicklungen reagieren. Versuche, der Marke einen etwas zeitgemäßeren Anstrich zu geben mit Partys am Wochenende oder mit gewagtem Design waren nicht sehr erfolgreich. Moderne Frauen fühlen sich nicht angesprochen. Die neue Strategie sieht profaner aus: In den nächsten fünf Jahren will Tupperware in Amerika 1.000 Verkaufsstellen eröffnen. Für Europa sind 100 Standorte geplant. Ähnliches gilt für den asiatischen Raum. Der Stand in den Gropius-Passagen bleibt jetzt bis Ende Februar stehen. Danach soll er quer durch Deutschland ziehen, die Konzernführung hofft auf viele neue Kundenkreise. Die Tupperpartys wird es vorerst weiterhin geben.
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