piwik no script img

Immer wieder Fäuste ballen

Manchmal sieht er mürrisch aus, oft hat er ein Fähnchen in der Hand. Ansonsten aber ist Reinhard Heß der Vater aller deutschen Skisprungerfolge – und mit 56 viel zu jung, um in Rente zu gehen

aus Innsbruck KATHRIN ZEILMANN

Natürlich, so erklären die Verantwortlichen des Deutschen Skiverbands (DSV), möchte man Reinhard Heß (56) als Trainer der deutschen Skispringer behalten – auch wenn er selbst Rücktrittsgedanken äußert. Nach Olympia in Salt Lake City sei Schluss, hat er immer wieder betont – und bis 2002 läuft auch sein Vertrag. Dass man sich beim DSV wünscht, dass darüber das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, hat guten Grund: Heß garantiert seit 1993 den Erfolg der bundesdeutschen Springer.

Das Resultat ist der Boom einer ganzen Sportart. Längst sind Sven Hannawald und Martin Schmitt zu Popstars mutiert: Professionell vermarktet, auf den Titeln der Jugendmagazine zu Hause – und ganz nebenbei Millionäre geworden. Und dennoch tut sich die Frage auf, ob einer wie Reinhard Heß in diese moderne, neue Welt des Skispringens, die er selbst mit erschaffen hat, überhaupt heineinpasst. Ob er der Entertainer ist, der bei RTL um die Wette plaudern kann. Ob es sich wirklich gut vermarkten lässt, wenn er Stars wie Hannawald und Schmitt ganz simpel als „Burschen“ betitelt.

Manchmal wirkt dieser Reinhard Heß etwas mürrisch. Und er sagt oft die gleichen Dinge, Sätze wie „Stillstand ist Rückschritt“. Dank diesem Leitmotiv hat er die Euphorie, die dem Skispringen in Deutschland entgegenschlägt, nicht nur negativ gesehen. „Jeder wünscht sich doch Bekanntheit für seine Sportart. Wir haben sie jetzt und müssen mit den Begleiterscheinungen leben“, sagt er vielmehr. Und es klingt wehmütig, wenn er erinnert: „Wir waren einmal eine Sportart zum Anfassen, aber das geht jetzt nicht mehr. Wir müssen uns abschotten, denn es geht nicht, dass wir uns nicht mehr in Ruhe vorbereiten können.“

Heß akzeptiert die neue Rolle seiner Sportler im Licht der Öffentlichkeit – solange das Training und der Wettkampf nicht darunter leiden. Disziplin ist seine ureigene Grundeigenschaft, und die erwartet er auch von seinen Schützlingen, „das gilt auch für die Spitzenathleten“. Martin Schmitt ist in einer Formkrise, und deshalb sagt Heß: „Jetzt gehört ihm meine ganze Zuwendung.“ Aber schon im nächsten Satz kümmet er sich auch um Hannawald: „Ich freue mich mit Sven über seine momentane Stärke, das ist ganz klar.“ Manchmal wettert und schimpft er auch, zum Beispiel wenn dieser Sven Hannawald, nach dem zweiten Springen Führender der Vierschanzentournee, vergisst, seinen Anzug kontrollieren zu lassen, und disqualifiziert wird. O-Ton Heß damals vor laufenden Kameras: „Ich bin stinksauer.“ Sonst hört man ihn solche Dinge in der Öffentlichkeit kaum sagen. „Das, was es zu diskutieren und zu besprechen gibt, machen wir im Kreise der Mannschaft“, sagt er dafür. Und was der 56-Jährige sagt, hat Gewicht, national wie international.

So wie vor einem Jahr, als er bei der Tournee eine Presseerklärung mit der Überschrift „Die Grenze ist überschritten“ verfassen ließ und die Rekordjagd in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen anprangerte. „Ich stehe auch heute noch dazu: Es kann nicht sein, dass es Rekorde um jeden Preis geben muss und dabei die Gesundheit der Athleten gefährdet wird“, bekräftigt Heß. Sein Vorstoß blieb nicht ungehört: In diesem Jahr ist bislang von Rekorden nichts zu sehen.

Als aktiver Springer hatte der in Lauscha (Thüringer Wald) geborene Skisprunglehrer hingegen wenig Erfolg, ein Rückenleiden beendete die eigene Karriere früh. Als Trainer ging es ungleich erfolgreicher. Suppenhühner nannte man Deutschlands Skispringer 1993, als Heß, die Vaterfigur mit der „strengen, aber gerechten Hand“ (Martin Schmitt), das Training übernahm. Nur ein Jahr später gewann Jens Weißflog bei Olympia in Lillehammer Einzel-Gold und die Mannschaft holte sich ebenfalls Platz eins; bei Weltmeisterschaften folgten zwei weitere Teamtitel. Und immer wieder konnte Heß die Fäuste ballen: Skiflugweltmeistertitel für Sven Hannawald, zweimal Weltcupgesamtsieg und zwei Weltmeistertitel für Martin Schmitt. „Ich bin sehr dankbar, dass ich Ausnahmespringer wie Weißflog, Schmitt und Hannawald trainieren durfte und darf“, sagt Heß. Aber wie lange noch?

„Wir werden Reinhard Heß einen neuen Einjahresvertrag anbieten“, sagt der DSV-Verantwortliche Rudi Tusch, denkbar ist auch die Variante eines ganzen Trainerstabs, den Heß dann delegieren könnte. Und auch der Umworbene selbst spürt, dass er „mit 56 zu jung für die Rente“ ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen