: Im Bett mit dem Leibwächter
Who‘s that Girl? Zwei neue Biografien versuchen, das Phänomen namens Madonna zu ergründen. Aber existiert die Sängerin überhaupt jenseits der Kamera? Und wenn ja, lohnt der Blick dorthin?
von TOBIAS RAPP
In dem Film „In Bed With Madonna“ gibt es eine Szene, wo Madonna einen Kehlkopfspezialisten konsultiert. Dieser fragt sie, ob es etwas gäbe, was sie lieber nicht vor der Kamera besprechen wolle. Natürlich verneint sie. Und Warren Beatty, ihr damaliger Liebhaber, sagt: „Sie hat ohne Kamera nichts zu sagen. Warum sollte man etwas sagen wollen, wenn keine Kamera da ist? Welchen Sinn hat es, dann überhaupt zu existieren? She doesn’t live off-camera.“
Wofür also noch Madonna-Biografien? Weil man natürlich trotzdem alles wissen will. Wo kommt sie her, mit wem war sie im Bett, was hat das alles zu bedeuten?
Nun gibt es ja normalerweise zwei Sorten von Starbiografien: die, die ein Ghostwriter verfasst hat, die dann meist als „offizielle“ Biografie gehandelt werden, und die „inoffizielle“ Biografie, die meist aus nichts Weiterem besteht als zusammengetragenem Klatsch und Tratsch, gespickt mit ein paar exklusiven Informationen, die der Autor den Intimfeinden und ehemaligen Leibwächtern oder Liebhabern des Stars entlockt hat. Offizielle Biografien sind meist langweilig. Inoffizielle Biografien sind meist interessant, aber unseriös.
Randy Taraborellis Madonna-Buch ist der seltene Fall, dass eine Superstarbiografie weder das eine noch das andere ist. Taraborelli ist Starbiograf, ein Berufsbild, das es in dieser Art wahrscheinlich nur in den USA geben kann. Er betreibt ein Agentur, wo sich ein Haufen Angesteller mit nichts anderem beschäftigt, als die Yellow-Press auszuwerten und weit verzweigte Informatennetzwerke zu pflegen. Mit Hilfe dieser Firma hat er schon Biografien über Michael Jackson und Frank Sinatra verfasst. Tatsächlich merkt man dem Buch auf jeder Seite seinen Rechercheaufwand an. Jede Aussage, jede Beschreibung, eigentlich alles wird flankiert von kleinen Nebensätzen wie „laut Aussage eines Freundes“, „sagte jemand, der dabei war“ oder „ein Zeuge sagte später“. Man kann davon ausgehen, dass in diesem Buch alles stimmt. Oder anders gesagt, alles was Taraborelli schreibt, würde vor Gericht als Wahrheit durchgehen.
Auch Andrew Morton ist professioneller Biograf, wenn auch etwas weniger Showbiz-orientiert: Er trat mit Büchern über Lady Diana und Monica Lewinsky hervor.
Also: Wo kommt sie her? Sowohl Taraborelli als auch Morton erzählen Madonnas Geschichte als die Geschichte eines Middle-Class-Mädchens aus einem kleinen Stadt in der Nähe von Detroit. Ihre Mutter stirbt, als sie noch ein kleines Mädchen ist, der Vater heiratet recht bald wieder – was seine Tochter nie verwindet. Sie geht auf eine Tanzschule, brilliert dort, bricht aber ab, um nach New York zu gehen. Dort spielt sie in der einen oder anderen Band und startet schließlich ihre Karriere. Eine Karriere, die – laut Morton – nicht zuletzt durch ein größenwahnsinniges Interview beginnt, das sie Neil Tennant gibt, der New-York-Korrespondent des britischen Musikmagazins Star Hits war, bevor er die Pet Shop Boys gründete.
Mit wem war sie alles im Bett? Wenn sich die beiden Biografen bei der Beschreibung von Madonnas Kindheit und Jugend noch recht einig sind, setzen sie aber spätestens hier unterschiedliche Akzente. Taraborelli konzentriert sich eher auf die Affären und Beziehungen, der man einen gewissen Glamourgrundwert zusprechen kann – also Prince, Warren Beatty und John F. Kennedy jr. Schon wenn es um das Fotomodell Tony Ward geht oder Carlos Leon, den Fitnesstrainer und Vater von Madonnas Tochter Lourdes, kriegt er sich kaum noch ein vor Beteuerungen, wie ernst die beiden es mit Madonna meinten. Für Morton dagegen sind die High-Scale-Prominenten nur wenige Zeilen wert. Er kapriziert sich auf Schmierlappen wie Vanilla Ice oder ihren Leibwächter Jimmy Albright, die Taraborelli beide völlig unter den Tisch fallen lässt.
Und was hat das alles zu bedeuten? Gute Frage. Schlecht, dass die beiden Autoren sie sich nicht oder nur sehr eingeschränkt stellen. Für Taraborelli ist Madonna eine Frau, die ein ungelöstes Problem mit ihrem Vater hat, und deshalb immer aufs Neue Religiöses und Sexuelles übereinander blendet, um zu provozieren. Der ganze Komplex „Madonna und die Postmoderne“ – also die Art und Weise, wie sich jedes Mal aufs Neue selbst erfindet, auf welche Codes sie in diesen Selbstentwürfen rekuriert, was für Bezüge das zur schwulen Community oder zur afroamerikanischen Musik hat –, all das ignoriert Taraborelli. Sie ist eben geschickt und trifft den Geschmack des Publikums.
Warum diese Provokationen aber funktionieren und was das alles zu bedeuten hat, dass es seit vielen Jahren wilde Diskussionen um Madonnas Werk gibt – all das fehlt. Wahrscheinlich hat er keinen Cultural-Studies-Absolventen in seinem Rechercheteam. So ist das „Sex“-Buch für Taraborelli der geschmacklose Tiefpunkt von Madonnas Karriere, und erst seit sie mit Guy Richie verheiratet ist, habe sie sich wirklich selbst gefunden.
Morton setzt dagegen andere Akzente: Mrs. Richie – „Lady Madonna“, wie er sie nennt – interessiert ihn nur, um sein Buch in der Gegenwart ankommen zu lassen. Im Unterschied zu Taraborelli, der die echte Madonna sucht und findet, ahnt Morton zumindest, dass der Selbstentwurf Madonnas eigentlich die Möglichkeit einer Biografie ausschließt, dass man die echte Madonna hinter all ihren Inszenierungen schwerlich finden wird.
Doch wofür dann überhaupt eine Madonna-Biografie? In „In Bed With Madonna“ gibt es eine Szene, wo das Kamerateam ihr in einen Raum folgen möchte, wo sie Geschäftstelefonate zu erledigen hat. Madonna schlägt ihm jedoch die Tür vor der Nase zu. Wahrscheinlich würde man die echte Madonna am ehesten hier finden, bei der 300 Millionen Dollar schweren Geschäftsfrau. Doch sowohl Taraborelli als auch Morton gelingt es nur, kleine scheue Blicke hinter diese Türe zu werfen.
Randy Taraborelli: „Madonna. Die Biographie“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2001. 487 S., 22,96 €. Andrew Morton: „Madonna“. Krüger Verlag, Frankfurt/Main 2001. 430 S., 20 €
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