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Liebling der Medien

Der Palästinenser Sari Nusseibeh ist Vertreter Arafats in Jerusalem. An eine Rückkehr der Flüchtlinge glaubt er nicht

„Gehen Sie sanft mit mir um“, bat Sari Nusseibeh, als er zum ersten Mal nach seiner Ernennung zum Vertreter von Palästinenserpräsident Jassir Arafat in Jerusalem vor die Presse trat. Er müsse sich an seine neue Rolle noch gewöhnen, begründet der 52-jährige Palästinenser seine Schüchternheit. Doch Nusseibeh, der verheiratet ist und vier Kinder hat, fürchtet niemanden – nicht Arafat, nicht die israelischen Sicherheitskräfte und sicher nicht die Journalisten, die ihn seit Wochen auf Händen tragen. Mit der Formel: „Die Flüchtlinge sind unser Problem, die Siedlungen eures“, eroberte er auch die israelischen Medien.

Unter den Palästinensern hingegen herrscht Ambivalenz gegenüber dem neuen Mann im Orient-Haus, sollte es eines Tages wieder geöffnet werden. Nusseibeh stammt aus einer der angesehensten palästinensischen Familien, die über Jahrhunderte hinweg den Schlüssel zur Grabeskirche in Jerusalem verwahrte. Woher nimmt er das Recht, die Zukunft der Flüchtlinge zu regeln, wo er selbst nicht die geringste Ahnung von unserem Leid hat, so eine der häufigen Kritiken an seinem Lösungsmodell. Eine Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat, dem heutigen Israel, hält Nusseibeh für unrealistisch. Deshalb appelliert er an seine Landsleute, ihre Forderungen fallen zu lassen.

Bis in die 80er-Jahre verfolgte der damals noch an der Harvard-Universität promovierende Philosophiestudent die seiner Meinung nach „geniale“ Idee der „Selbstannektierung“ der Palästinenser im Westjordanland und Gaza-Streifen. Die Anerkennung der Existenz Israels durch die PLO machte seiner Hoffnung auf die israelische Staatsbürgerschaft für die Palästinenser ein vorläufiges Ende. 1991 veröffentlichte er zusammen mit dem israelischen Wissenschaftler Mark Heller sein wohl bekanntestes Buch „Ohne Pauken und Trompeten“ über eine mögliche Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern. Die beiden Autoren halten darin fest, dass eine Rückkehr der Flüchtlinge den „jüdischen Charakter“ und damit die Raison d’être Israels bedrohen würde.

Mit dem Osloer Friedensabkommen zog sich Nusseibeh, der bis dahin einer der führenden Ideologen der Intifada war, aus der Politik zurück und konzentrierte sich auf seine Arbeit als Wissenschaftler und, seit 1995, Präsident der Al-Quds-Universität in Abu Dis. Im September veröffentlichte er seine alten Theorien erneut – diesmal parallel in einer arabischen und einer hebräischen Tageszeitung. Zwei Wochen später berief ihn Arafat zum Nachfolger des verstorbenen Feisal Husseini, obschon er sich damit erneut einen politischen Gegner ins Nest setzte.

Nusseibeh nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es gilt, den Palästinenserführer zu kritisieren. Ebenso wenig schreckt ihn die Konfrontation mit der israelischen Polizei. „Amüsiert“ sei er gewesen, als ihn Sicherheitskräfte aus dem heimischen Badezimmer holten, nachdem er Diplomaten zum Ende des muslimischen Fastenmonats in ein Ostjerusalemer Hotel eingeladen hatte. Hinter der Verhaftung steckte Israels Polizeiminister Usi Landau, der Nusseibeh einst als „das hübsche Gesicht des Terrors“ bezeichnete. Für Oppositionsführer Jossi Sarid war die Verhaftung des „letzten leidenschaftlichen Befürworters einer Aussöhnung mit Israel“ ein einziger Skandal. SUSANNE KNAUL

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