: Mehr Sicherheit durch Rollladen-Licht-Alarm
Die Bauherren „intelligenter Häuser“ versprechen Entspannung pur. Der Preis für die computergestütze Vernetzung ist ein Verlust an Privatssphäre
von LARS KLAASSEN
Die Zukunft hat längst begonnen. Ray Bradbury beschreibt in seinem 1950 erschienenen Science-Fiction-Klassiker „Die Mars-Chroniken“ ein Haus, das seine Bewohner morgens freundlich weckt, ihnen das Frühstück zubereitet, das Geschirr abwäscht, sich selbst reinigt und vor dem Zubettgehen noch die Gute-Nacht-Lektüre vorliest. Real existierende „intelligente Häuser“ übernehmen mittlerweile eine ganze Reihe von Aufgaben und kontrollieren die eigenen vier Wände – auch wenn sie noch keine berauschenden Serviceleistungen zu bieten haben.
Die Einfamilienhäuser in der Pankower „Online-Siedlung“ etwa können nicht nur via Rechner und Mobiltelefon gesteuert werden, sondern „denken“ auch selbst mit. Bis zu 114 Wohneinheiten sollen hier entstehen. Die ersten Eigentümer sind vor einem guten Jahr eingezogen. Die Technik, mit der die Eigenheime ausgestattet werden, ist an sich nicht bahnbrechend neu. Sie wird in Zweckbauten schon seit Jahren eingesetzt. Durch die Vernetzung von elektronischen Geräten können etwa je nach Sonneneinstrahlung die Jalousien eingestellt oder die Heizung automatisch aktiviert werden.
Den potenziellen Eigenheimkäufern werden allerdings nicht nur technische Spielereien angepriesen. Das „Online“-Haus soll in erster Linie Sicherheit bieten. Die 120-Quadratmeter-Heime, die für rund 400.000 Mark feilgeboten werden, beinhalten ein standardisiertes Basispaket: „Rollladen-Licht-Alarm“ heißt das Zauberwort. Wird der Zentralschalter an der Haustür beim Verlassen des Gebäudes betätigt, erlischt das Licht und die Rolläden sowie die Fensterverriegelungen schließen sich. Wird dann ein Fenster geöffnet, klingelt es unverzüglich unter der zuvor eingegebenen Telefonnummer. Per Mobiltelefon kann bereits auf dem Heimweg die Heizung aktiviert werden, wenn mal früher Feierabend ist. Oder die Eigenheimbesitzer sind bereits auf dem Weg in den Urlaub und fragen sich: War der Herd auch ausgeschaltet? Kein Problem, einfach das Haus angewählt und die entsprechende Stromleitung wird deaktiviert.
„Nach den Stufen der Mechanisierung , Elektrifizierung und Elektronisierung der Haushalte steht nun eine neue Innovationswelle bevor: die Informatisierung des Wohnens.“ Bernd Fischer hat mit drei weiteren Autoren in dem soeben erschienenen Buch „Vernetztes Wohnen“ untersucht, wie sich diese Veränderungen auf unseren unmittelbaren Lebensraum auswirken werden. Sein Fazit: „Es handelt sich bei diesem Prozess weniger um eine revolutionäre Umwälzung in den Haushalten als vielmehr um eine schrittweise evolutionäre Anpassung der Haushaltstechnik an neue Anforderungen.“
So ist die Installation eines 24-Stunden-Notrufssystems in einer alten- und behindertengerechten Wohnung schon ein erster Schritt Richtung „vernetztes“ Wohnen, ohne dass dies von den Anbietern in jedem Fall so angepriesen wird. Ob Internet-Alarmanlagen oder -Schließsysteme, viele technische Möglichkeiten können unter diesen Begriff fallen. Wer welche Angebote in welchem Umfang nutzt, ist eine Frage, die von Fall zu Fall beantwortet werden muss. „Die Verwendung der Technologie“, so Fischer, „wird das Ergebnis sozialer Auseinandersetzung sein.“ Weniger die Machbarkeit bestimmter Anwendungen als vielmehr die Frage, wie wir denn leben wollen, stünde zur Debatte. Die Vision computergestützter Hochsicherheitstrakte in Form von abgeschotteten Wohnvierteln ist wohl keine erstrebenswerte Variante „vernetzten“ Wohnens. Der Preis für vermeintlich totale Sicherheit wäre nicht nur Abschottung, sondern zugleich Intimitätsverlust. Die Webcam in der Wohnung etwa schafft die gläserne Festung, die jegliche Privatsphäre nimmt.
Doch die Realität sieht derzeit noch wesentlich harmloser aus. Bislang findet „vernetztes“ Wohnen vor allem in Testhäusern statt. Offen ist auch noch, inwiefern das „intelligente“ Haus überhaupt akzeptiert werden wird. Die ersten Bauherren der schönen neuen Welt versprechen Entspannung pur – solange das intelligente Eigenheim es nur nicht dem PC nachmacht und schon mal „abstürzt“.
Sibylle Meyer, Eva Schulze, Frank Helten, Bernd Fischer: „Vernetztes Wohnen. Die Informatisierung des Alltagslebens“. edition sigma, Berlin 2001.
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