: Alles recht, das Böse zu bekämpfen
Der US-Justizminister John Ashcroft hat in den letzten Monaten Bürgerrechte massiv und effizient eingeschränkt. Der Mann hat eine Mission
aus Washington MICHAEL STRECK
Die meisten Politiker beginnen den Tag mit Zeitungslektüre. John Ashcroft widmet sich morgens der Bibel und betet. Später erst dürfen Mitarbeiter ihn über die Medien informieren. Doch müssen die Informationen so arrangiert sein, dass sie seine Stimmung nicht verderben. Denn Ashcroft hatte bislang selten eine wohlmeinende Presse.
Als Senator und Gouverneur des Bundesstaats Missouri wurde er für seine Frömmigkeit verspottet, wegen seiner ultrakonservativen Ansichten abgelehnt. Seine Wahlniederlage gegen einen toten Demokraten im November 2000 – der Herausforderer war kurz vor der Wahl verunglückt, was dessen Frau erlaubte, ins Rennen um den Senatorenposten zu gehen – wurde in den Redaktionen gefeiert. Die überraschende Nominierung zum Justizminister löste einen Sturm der Entrüstung unter den Liberalen aus.
Mit einer Kampagnenschlacht versuchten Bürgerrechtler, Frauenverbände, Schwulen- und Lesbengruppen seine Amtseinführung zu verhindern: „Ashcroft als Justizminister ist, als ob man einen Fuchs einen Hühnerstall bewachen lässt.“ Auch im Kongress musste er heftigen Widerstand der Demokraten gegen seine Amtseinführung überwinden. In langen Anhörungen im letzten Januar, die ihn kränkten, konnte er nur wenige Demokraten überzeugen. Am Ende votierten 42 von 100 Senatoren gegen Ashcrofts Nominierung.
Ashcrofts Positionen lesen sich wie eine Anleitung zu rechtskonservativer Politik. Als Freund des Big Business lockerte er die gesetzlichen Standards beim Ausstoß von klimaschädlichen Emissonen und beim Einleiten von Schadstoffen in Gewässer. Die Forderungen der Waffenlobby, dass alle Bürger, auch Vorbestrafte, verdeckt eine Waffe tragen dürfen, hat er unterstützt. Die Waffenlobby hat ihm für seinen Wahlkampf in Missouri 400.000 Dollar gespendet.
Eine tiefe innere Abneigung verspürt Ashcroft gegen Homosexuelle und Abtreibung. In freigeistigen Momenten ist Homosexualität für ihn eine freie Wahl, die man auch wieder rückgängig machen kann. In finsteren Stunden erkennt er in Gleichgeschlechtlichkeit eine Sünde. Abtreibung möchte er am liebsten ganz verbieten, selbst nach Vergewaltigung und Inzest.
Zunächst bemühte sich der 59-Jährige, gemäßigt aufzutreten und Kontroversen zu vermeiden. Das änderte sich schlagartig mit dem 11. September. Während die Hauptakteure Bush, Rumsfeld und Powell überwiegend gute Noten bekommen, schlägt Ashcroft frostige Ablehnung entgegen. Die Presse kritisiert seine unprofessionelle Untersuchung der Milzbrandanschläge. Die Demokraten werfen ihm vor, mit seinen weitreichenden Anti-Terror-Gesetzen die Verfassung auszuhöhlen.
Aber Ashcroft hatte schnell begriffen, wie sehr die Terroranschläge das Land verändern werden. Unermüdlich predigt er den Amerikanern von der großen Bedrohung durch den Terror. Er schildert seine neue Aufgabe als Kampf gegen „die Konspiration des Bösen“. Dieser Kampf hat Ashcrofts Statur geändert. Er hat sich zum mächtigsten Justizminister seit Robert Kennedy entwickelt. Er bündelte die Anti-Terror-Aktivitäten in seinen Händen, überwacht persönlich die Jagd auf Terroristen und die Anklage von Verdächtigen. Rund 1.000 Menschen wurden ohne Anklage inhaftiert, rund 5.000 Männer aus arabischen Ländern hastig verhört.
Die neuen Bestimmungen, wie geheime Militärtribunale, Abhörung vertraulicher Gespräche zwischen Angeklagten und Anwalt sowie Telefon- und Internetüberwachung, hatte Ashcroft zumeist durchgesetzt, ohne den Kongress zu konsultieren. Das führte zu einem ernsten Konflikt. Der Senat zitierte ihn schließlich zu einer Anhörung vor den Rechtssausschuss.
Der immer etwas mürrisch aussehende Ashcroft zeigte sich von der massiven Kritik überrascht und irritiert. Obwohl die Kompetenz der Ermittlungsbehörden erheblich ausgeweitet wurde, glaubt er, Bürgerrechte und Anti-Terror-Gesetze ausbalanciert zu haben. „Ich denke, dass wir alle Sicherungen eingebaut haben, um die Verfassungsrechte zu schützen.“
Was die Leitung seiner Behörde anbetrifft, wird Ashcroft nach Aussagen von Beobachtern insgesamt gute Arbeit bescheinigt. Er und Bush haben eine sachlich-professionelle Beziehung, auch wenn sie auf persönlicher Ebene distanziert bleiben. Ashcroft ist steif, Bush entspannt und umgänglich. Gewöhnlich treffen sich beide täglich um acht Uhr morgens zur Lagebesprechung.
Seine Vorgängerin Janet Reno hatte die verschiedenen Aktivitäten des Justizministeriums eng aufeinander abgestimmt. Ashcrofts Operationen sind kontrollierte Einzelvorstöße. Er arbeitet mit einer kleinen Gruppe zusammen, die aus seinen Tagen als Senator stammt. Selten macht er sich die Mühe, mit Widersachern und Ratgebern von außen zu sprechen. Das Ministerium werde nun wie eine Clique geführt, monierte ein Mitarbeiter, der seinen Dienst quittierte. „Das schafft Misstrauen.“
Dafür funktioniert die Zusammenarbeit mit dem FBI deutlich besser als unter Reno. Ashcroft versteht sich gut mit FBI-Chef Robert Mueller. Die Bundespolizei hat plötzlich wieder eine echte Bestimmung im Kampf gegen den Terror. Dennoch waren es ehemalige hochrangige FBI-Mitarbeiter, die vor kurzem die Effektivität des Anti-Terror-Pakets öffentlich bezweifelten. Ashcrofts Pläne hätten zur Folge, dass Untersuchungen zu früh abgeschlossen würden, bevor Ermittler Terrornetze aufspüren könnten. Das Justizministerium bediene sich erneut einer Strategie, die bereits in den 1970er-Jahren verworfen wurde. Diese hatte Terror nicht verhindern können und zum Missbrauch von Bürgerrechten geführt.
Doch außer einigen nörgelnden Altpolizisten, Liberalen und einer kritischen Presse weiß John Ashcroft die meisten Amerikaner hinter sich, wie jüngste Umfragen zeigen. Trotzdem bleibt selbst bei Befürwortern seiner harten Linie ein Unbehagen. Amerika führt seinen „Krieg gegen den Terror“ im Namen der Freiheit. Seit Ashcroft im Amt ist, hat er sie nur beschnitten.
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