Krieg in den Palästen

Die Bewohner der Winterfeldtstraße 25 sollen raus und wollen nicht. Seit Jahren währt der Streit. Längst geht es nicht mehr um billige Mieten und juristische Details – sondern um die Ehre

von THILO KUNZEMANN

Vor zwei Jahren erklärte Reto Mebes den Mietern seines Schöneberger Gründerzeithauses den Krieg – oder andersherum. Kommt darauf an, wen man fragt, die Mieter oder Mebes. Fakt ist: Nach 68 Prozessen klafft ein Graben zwischen der Mietervereinigung „Leben im Altbau“ und Mebes’ Winterfeldtstrasse 25 GmbH. Jeder Kompromissversuch der beteiligten Anwälte oder der lokalen Politiker versackt in einem Sumpf aus Beleidigungen, Hetzkampagnen und angeblichen Morddrohungen.

Keine Seite will nachgeben. Reto Mebes: „Man muss sich seinen Problemen stellen. Und wenn das ein Exbesetzerhaus ist, voller durchgeknallter Möchtegern-Richter und Möchtegern-Architekten, dann eben auch.“ Für Wolfgang von der Becke, in seinem blauen Hemd und der grauen Flanellhose nicht gerade der Prototyp eines durchgeknallten Exbesetzers, ist die Sache ebenso klar: „Ich halte diesen Mann für mittelschwer wahnsinnig“, sagt der Sprecher des Mietervereins. Resigniertes Fazit der Exbürgermeisterin von Schöneberg, Elisabeth Ziemer (Grüne): „Hier ist nichts mehr zu vermitteln.“ Bleibt nur, den Weg durch die Instanzen fortzusetzen, und das dauert bekanntlich Jahre.

Deshalb steht das Haus nun nicht mehr nur eingeklemmt, sondern auch verloren zwischen den klobigen roten Ziegelsteinfassaden des neuen und alten Fernmeldeamtes. Es verfällt. All die hübschen Stuckverzierungen an der Fassade, die großen Portale und lichten Innenhöfe können das nicht verbergen. Fast 30 von 51 geräumigen Altbauwohnungen stehen leer, unterm Dach und im Keller bröckelt der Putz, und graugrüne Pilzfäden zerfressen die Wände.

Saniert wird erst, wenn sich eine Seite durchsetzt. Mebes’ Handwerker können nicht ins Haus. Einstweilige Verfügungen der Mieter verbieten das bei Strafe. Im Gegenzug ließ Mebes die üppige Hofbepflanzung der Mieter abräumen, klotzte ein Eisengitter vor den Garten und installierte versteckte Kameras. Gerechtigkeit muss sein.

Da können die Anwälte, Richter und Politiker noch so lange streiten und rätseln: Welche kleine Bosheit brachte das Fass zum Überlaufen? Die vom Vermieter engagierte Kampfhundpatrouille? Oder doch die höhnischen Flugblätter der Mieter, die jeden potenziellen Käufer vergraulten? Den Streitenden ist das egal. Das alte Berlin prallt auf das neue, und vieles geht zu Bruch.

„Berlin wird wie New York“, rief ein begeisterter Reto Mebes im März 1999 seinen neu erwobenen Mietern entgegen. Die waren irritiert, fragten sich, ob er damit auch New Yorker Mieten meinte. Sie hätten das Haus gerne selbst gekauft. Doch Mebes war schneller. Den Tipp für seinen Nacht-und-Nebel-Deal im Februar 1999 hatte der Schweizer Jurist von einem Bekannten bekommen. 48 Stunden später kaufte er für 2,7 Millionen Mark die bankrotte Rasta Vermögensverwaltungs GmbH und damit das Haus in der Winterfeldtstraße. Einen Tag später wäre für die Rasta GmbH die Frist ausgelaufen, ihre Hypotheken abzubezahlen. Die Mietergemeinschaft, glaubt von der Becke heute, hätte dann wohl den Zuschlag für das Haus erhalten. Kein guter Start für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Aber harmlos im Vergleich zum Kleinkrieg, der daraus entstand.

Die Winterfeldtstrasse 25 GmbH, eine hundertprozentige Tochter der Immobilienfirma Dr. Mebes & Wullinger GmbH, bot den Mietern damals eine Prämie von 100 bis 200 Mark pro Quadratmeter – wenn sie ausziehen. Einige gingen, viele lehnten ab. Die meisten Mieter leben seit 20 oder gar 30 Jahren im Haus. Sie genießen jahrelangen Kündigungsschutz und günstige Mieten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nur das Notwendigste saniert. Jahrelang hielt die Post das Vorkaufsrecht und wollte das Haus abreißen. Der Eigentümer, die Grundag AG, spekulierte auf schnelle Gewinne und wartete ab. Die niedrigen Mieten blieben.

Als dann Ende der 70er-Jahre die Besetzerwelle über Berlin rollte, wurden auch in der Winterfeldtstraße 25 acht Wohnungen belegt. Reto Mebes spricht daher gerne von der ewig gestrigen Besetzerszene. Dumm nur, dass diese schnell legale Mietverträge bekam. Heute lebt nur noch einer aus der Gruppe im Haus. Die Menschen, die Reto Mebes „Sozialschmarotzer“ nennt und vor Gericht bekriegt, sind Zahnärzte, Richter, Softwarespezialisten.

Es ist Geschmackssache, ob man einem Geschäftsmann vorwirft, er interessiere sich mehr für den Profit als für die beteiligten Menschen. Akzeptieren muss man dann allerdings, dass die betroffenen Menschen ihre Belange selbst in die Hand nehmen. Prozesse sind die logische Folge. Eine Gerichtsodyssee wie die in der Winterfeldtstraße aber ist ungewöhnlich.

Was treibt einen Geschäftsmann dazu, Hunderttausende Mark Prozesskosten achselzuckend zu akzeptieren? „Die sind mir völlig wurscht“, sagt Mebes, „auch wenn ich das Haus in zehn Jahren nicht verkauft habe.“ Und warum führen gut verdienende Akademiker einen verbissenen Papierkrieg, anstatt einfach eine Ecke weiter zu ziehen? „Das ist jetzt eine persönliche Sache“, sagt von der Becke.

Es geht also ums Prinzip. Wohnen ist Leben, und wie das aussieht, will sich kaum einer vorschreiben lassen. Doch Reto Mebes pocht auf sein Recht als Eigentümer. Mit brachialen Methoden riskiert er seinen Ruf und – wie er sagt – auch sein Leben: „Ich besitze einen Hubschrauber, und die wissen das. Eines Tages bekam ich einen verkohlten Spielzeughubschrauber zugeschickt.“ Bekannte und Verwandte hätten anonyme Briefe erhalten. Mebes sagt gepresst: „Ich will die Leute kriegen. Koste es, was es wolle.“

Die Briefe, sagt von der Becke, habe er nur vor Gericht gesehen. Und Morddrohungen, das sei ja wohl lächerlich. Im Gegenteil. Mebes habe Mieter tätlich angegriffen. Nächtelang sei er im Auto vor dem Haus gesessen, später habe er Spitzel geschickt. Ein Mitglied des Mietervereins erhielt eine Kündigung wegen Rädelsführerschaft. Lächerlich, sagt von der Becke: „Als Mebes dann irgendwann wegen einer angeblichen T-Shirt-Kampagne zu mir gesagt hat: ‚Ich hau dir in die Fresse, wenn du das machst!‘, da wusste ich, wir gewinnen das Ding.“ Ein klassisches Patt. Mebes hat den finanziellen Rückhalt für weitere zwei Jahre Kleinkrieg vor Gericht, die Mieter sind rechtsschutzversichert.

Das Kriegsgebiet verlagerte sich außerdem ins Internet und damit in die Öffentlichkeit. Bisher hatten die Mieter mit ihrer gut gepflegten Homepage www.w25.de die Überhand. Eine Unterlassungsklage von Mebes & Wullinger verlief im Sande. Diese finden sich deshalb seit Anfang Dezember unter www.winterfeldtstrasse25.de im Netz. Eine PR-Agentur hat die Texte geschrieben. Wenn Reto Mebes aus dem weihnachtlichen Seychellenurlaub zurückkehrt, sollen sie online gehen. Die nächste Runde ist eingeläutet.

Ende des Jahres könnte es zu einer Vorentscheidung kommen. Dann läuft die Veränderungssperre aus, und Mebes dürfte das bisher ungenutzte Dachgeschoss ausbauen. Ab heute aber liegt der erste Entwurf für einen neuen Bebauungsplan im Bezirksamt Schöneberg aus. Wird am Ende festgeschrieben, dass ein Ausbau im fünften Geschoss nicht passt, dann – glaubt von der Becke – wird Mebes verkaufen. Was der nächste Eigentümer anders machen würde, weiß er nicht. Irgendwann muss saniert werden. Doch noch herrscht Krieg, und der muss gewonnen werden. Koste es, was es wolle.