: Körting stoppt Brechmittel
SPD-Innensenator zieht Konsequenz aus Todesfall in Hamburg: Drogenfahnder dürfen vorerst kein Brechmittel mehr gewaltsam einsetzen. Nach Obduktionsergebnis wird endgültig entschieden
von SABINE AM ORDE
Berlins Drogenfahnder dürfen vorerst kein Brechmittel mehr gewaltsam einsetzen. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat die Polizei angewiesen, mutmaßlichen Dealern nicht mehr gegen ihren Willen Brechmittel zu verabreichen. Das bestätigte gestern die Sprecherin der Innenverwaltung, Svenja Schröder-Lomb. Körting reagierte damit auf den Tod eines mutmaßlichen Dealers in Hamburg. Der 19-Jährige war Mitte Dezember vergangenen Jahres gestorben, nachdem ihm das Medikament mit einer Nasensonde verabreicht worden war. Diese Methode wurde bislang auch in Berlin eingesetzt.
Die Innenverwaltung will nun das endgültige Obduktionsergebnis des Hamburger Opfers abwarten. „Dann werden wir entscheiden, ob die Verabreichungsmethode wieder eingesetzt wird“, so Schröder-Lomb. Bei der Anweisung Körtings handele sich um eine Vorsichtsmaßnahme, um jedes Risiko für die Betroffenen auszuschließen.
Der 19-jährige mutmaßliche Dealer Achidi J. war am 9. Dezember festgenommen worden. Als er die Drogenfahnder sah, verschluckte er nach Angaben der Polizei das Rauschgift, das er bei sich hatte. Wenig später wollte ihm ein Arzt im Gerichtsmedizinischen Institut in Hamburg das Brechmittel Ipecacuanha verabreichen. Weil Achidi J. die Einnahme verweigerte, wurde ihm das Mittel gegen seinen Willen mit einer Magensonde eingeflößt, die durch die Nase in die Speiseröhre eingeführt wird. J. wehrte sich und sackte dann plötzlich zusammen. Er hatte einen Herzstillstand erlitten und fiel ins Koma. Drei Tage später war er tot. In seinem Magen wurden 41 Kügelchen mit Crack und Kokain gefunden, vier weitere Kugeln tauchten bei der Obduktion im Darm auf.
Achidi J. wurde im Gerichtsmedizinischen Institut der Freien Universität Berlin obduziert. Nach ersten Erkenntnissen ist er durch einen Hirnschaden infolge von Sauerstoffmangel gestorben. Wie es dazu gekommen ist, wird noch untersucht. Mitte des Monats soll das endgültige Obduktionsergebnis vorliegen. Dann wird die Innenverwaltung entscheiden, ob sie in Sachen Brechmittel zu ihrer auch schon vor dem Todesfall in Hamburg sehr umstrittenen, alten Praxis zurückgekehrt.
In Berlin war das Medikament zunächst von 1994 bis 1996 verwendet worden. Aufgrund einer Verfassungsbeschwerde untersagte die damalige SPD-Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit dann den Einsatz des Medikaments. Das Bundesverfassungsgericht wies diese Beschwerde im September 1999 allerdings ab. Seit März 2000 darf die Berliner Polizei das Brechmittel wieder verwenden. Seitdem wurde das Präparat bis zum August vergangenen Jahres in 120 Fällen eingesetzt. In 17 Fällen, so die Sprecherin der Innenverwaltung, hätten die Festgenommen die Einnahme des Mittels verweigert. Ihnen wurde es mit einer Sonde eingeflößt.
Ohne Brechmittel müssen die Drogenfahnder warten, bis Festgenommene die verschluckten Drogen mit dem Stuhlgang ausscheiden. Wenn dies nicht innerhalb der für eine Festnahmen vorgeschriebenen Zeit geschieht, stehen die Polizisten ohne Beweismittel da.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen