: Kampf der Tonnen
Morgen erst wird offiziell bekannt gegeben, wer sich um die Fahrkarte zum Grand Prix Eurovision in Tallinn bewirbt. Einblicke in die Gerüchteküchen
von JAN FEDDERSEN
Welchen Sinn hat es, wenn Ralph Siegel und Naddel ihre Affäre öffentlich austragen, samt Aufrechnung der Balzgeschenke nach der Trennung? Worin liegt der Reiz für das Publikum, wenn die Bild-Zeitung sich seit Tagen des Schicksals einer Sängerin namens Katy Thomas annimmt, die zwar über eine Stimme verfügt, aber zugleich unter einer Leberzirrhose leidet, die sie daran hindert, an der deutschen Vorauswahl zum Grand Prix Eurovision am 22. Februar in Kiel teilzunehmen? Und wie ist zu erklären, dass nämlicher Ralph Siegel jene Frau Thomas unter seine Fittiche nimmt, auf dass sie 2003 eine Chance erhält – „wenn sie bis dahin überlebt“?
Es sind allesamt Vorboten einer Public-Relations-Rallye, die offiziell erst morgen eröffnet wird, dann nämlich, wenn der NDR in Hamburg das Teilnehmerfeld für die quotenmächtigste Show der ARD – die ja nur der Auftakt ist zum Eurovision Song Contest am 25. Mai im estnischen Tallinn. Sicher ist jedenfalls bislang nur, dass Corinna May, 1999 disqualifizierte und 2000 nur von Stefan Raab geschlagene Sängerin aus Bremen, es neuerlich probiert – mit einem Song von, richtig, Ralph Siegel. Gewiss ist auch die Teilnahme von Joy Fleming, die 27 Jahre nach ihrem bewunderungswürdigen Grand-Prix-Debakel in Stockholm („Ein Lied kann eine Brücke sein“) es dem Vernehmen nach mit einem Gospelsong probieren will.
Der Rest: nichts als Gerüchte. Bestätigt wird keines, weder von den Plattenfirmen noch vom NDR, der es besser wüsste, aber nichts mitteilen will. Warum auch? Die Mutmaßungen gelten als solide, und sie erklären, weshalb, einem weiteren Gerücht zufolge, Corinna May statt Nicole den Siegel’schen Diskoschlager singt: Die Bardin der Friedensbewgung findet die Konkurrenz so stark, dass sie nicht sicher sein könnte, wie 1982 zu gewinnen. So kam May zur dritten Chance – sie kennt das Gefühl der Niederlage schon gut. Und diese Rivalen sind: eine Sakropopgruppe aus dem Osten, Bernhard Brink & Ireen Sheer, eine Produktion aus dem Pelham-Stall (im Xavier-Naidoo-Stil), das Duo Mundstuhl (mit Ballermann-Appeal), Nino de Angelo – und schließlich die Kelly-Family, die seit neuestem bei der Polydor unter Vertrag ist und mit dem Grand Prix ihre Position als europäischer Top Act unterstreichen möchte, sowie – jawohl, sie trauen sich – die Weather Girls, wie die Fleming Frauen mit ausgesprochen tonnagehafter Aura, deren Song „It’s Raining Men“ seit dem 11. September in den USA nur von couragierten DJs gespielt wird und die in Deutschland eben dieses Schlagers wegen vor allem in der Homoszene geschätzt werden. Sicher scheint nur: Über Leberzirrhosen wird ab Dienstag nicht mehr geschrieben. Dafür über Magerkost?
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