: Die dunkle Seite der „Popwirtschaft“
Ist Arbeit überhaupt Arbeit, wenn sie Spaß macht und man damit kein Geld verdient? Neues von der New Economy
Was ist Arbeit? Eine Tätigkeit, der man nur mit großer Unlust nachgeht und bei der man Geld verdient? Wenn das stimmen würde, dann hätten viele Beschäftigte der Neuen Ökonomie gar nicht gearbeitet: Schließlich haben sie freiwillig oft bis zu 60 Wochenstunden in der Firma verbracht und erzählt, dass mache ihnen Spaß. Oftmals haben sie dabei gar keine Gewinne erzielt. War das also überhaupt Arbeit?
Die Neue Ökonomie hat so gesehen nicht zuletzt die Definition von Arbeit verändert. Das zumindest ist eine der Thesen in Alexander Meschnigs und Mathias Stuhrs Buch „www.revolution.de“, das sich mit den Folgen der Start-up-Kultur beschäftigt. Wie sich heute erweist, ist die messbare wirtschaftliche Bedeutung der Internetfirmen gering geblieben. Ihre Bedeutung jedoch, so die Autoren, bezog die Neue Ökonomie daraus, ein neues gesellschaftliches Leitbild zu schaffen: die „Popwirtschaft“, in der Arbeit und Hedonismus miteinander verschmelzen.
„Die Start-ups trieben die Ausdehnung der Arbeitszeit und das Gefühl, immer zu arbeiten beziehungsweise nie zu arbeiten, so ins Extreme, dass die Fragmentierung der Lebenswelt innerhalb einer ökonomischen Totalität aufgehoben zu sein schien“, schreiben Meschnig und Stuhr. Bewerber wurden danach ausgewählt, ob sie mit ihren „soziokulturellen Vorlieben und Konsumgewohnheiten“, mit ihrem „Lebensstil“ sowie in Alter und körperlicher Attraktivität zum jeweiligen Team passten.
Wenn dem so ist, dann war die Neue Ökonomie vor allem ein hoch ideologisches Konstrukt. Das würde auch erklären, warum Auf- und Abstieg der Internetwirtschaft so stark von der Berichterstattung der Medien abhängig waren. Für diese These spricht, dass heute, da die Aktienkurse gefallen sind und der Medien-Hype nachlässt, überall nur noch vom Abstieg der Neuen Ökonomie die Rede ist, obwohl unterm Strich nach wie vor neue Jobs in der IT-Branche entstehen.
Sollte Wirtschaft also zur Popkultur geworden ist, dann stellt sich die Frage, was denn nun bleibt von dieser Umdeutung. In einer pessimistischen Lesart könnte man sagen, die popkulturelle Umdeutung von Wirtschaft sei nur eine Art neuer Betrug gewesen, um Ausbeutung und Selbstausbeutung zu kaschieren. Es gibt aber auch noch eine optimistischere Lesart: Danach stehen Erwerbstätigen im Vergleich zu früher heute einfach mehr Deutungsformen zur Verfügung, um Arbeit zu interpretieren und zu bewerten. Wichtig dabei ist, dass all diese Deutungen als gesellschaftlich anerkannt gelten müssen.
Vor allem sollte es nach wie vor legitim sein, Arbeit als lästige Pflicht zu betrachten, als Mittel, um Geld zu verdienen, wobei man die Anstrengung möglichst gering hält und das Freizeitinteresse nicht verhehlen muss. Für die meisten Tätigkeiten, die mit Routine und Verschleiß verbunden sind, war diese Lesart ohnehin nie aufgehoben.
Daneben könnte man aus der Perspektive der Start-up-Kultur Arbeit als wichtigstes Medium der Selbstverwirklichung interpretieren, das Lebenssinn und sozialen Status beschert.
Und schließlich wäre jetzt, nach der Entzauberung der Neuen Ökonomie, noch eine weitere Lesart möglich, nämlich den hohen Status von Erwerbsarbeit generell infrage stellen zu dürfen. In einer alternden Gesellschaft werden künftig ohnehin immer mehr Menschen nicht mehr im vollen Berufsleben stehen, sondern ihre Befriedigung aus anderen Quellen ziehen müssen.
Mit einer solchen Vielfalt der Lesarten hätte die Neue Ökonomie am Ende dann doch für mehr innere Freiheit gesorgt. Die vielen Absteiger aus den Internetunternehmen müssen von dieser Freiheit schon jetzt Gebrauch machen – schließlich mussten sie sich schon in relativ jungen Jahren mit den Erfahrungen des Scheiterns auseinander setzen.
Meschnig und Stuhrs Buch bietet für derartige Erweiterungen des Arbeitsbegriffes einige grundlegende Überlegungen, die es jetzt fortzuschreiben gilt.
BARBARA DRIBBUSCH
Alexander Meschnig/Mathias Stuhr: „www.revolution.de. Die Kultur der New Economy“. Rotbuch Verlag, Hamburg 2001, 270 Seiten, 13,50 €
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