: Der Markt ist tot, es lebe der Staat
Argentinien schwenkt mit seinem „neuen Wirtschaftsmodell“ vom Neoliberalismus zum staatlichen Dirigismus um. Ausländische Investoren protestieren, weil sie auf Grund der Pesoabwertung Verluste fürchten. G-7-Minister beraten
von INGO MALCHER und KATHARINA KOUFEN
Jetzt ist es amtlich: Der argentinische Peso ist abgewertet. Am Sonntagabend setzte Wirtschaftsminister Jorge Remes Lenicov den Wechselkurs zwischen Peso und Dollar von eins zu eins auf 1,40 Peso für einen Dollar fest. Erst am Mittwoch werden die Banken mit dem neuen Kurs arbeiten, da sie sich noch auf die neuen Maßnahmen vorbereiten müssen. Sie bleiben aber für wenige Transaktionen geöffnet.
Auf einer Pressekonferenz am Sonntag in Buenos Aires kündigte Lenicov an, die Regierung plane, ein „neues Wirtschaftsmodell“ zu schaffen. Priorität hätten darin die nationale Industrie. Die Regierung will wieder eine eigenständige Geldpolitik betreiben. Auch soll der Staat wieder stärker regulierend in die Wirtschaft eingreifen. So plant der neue Produktionsminister José de Mendiguren drastische Einfuhrbeschränkungen, um die heimische Industrie zu fördern. Infolge dieser Ankündigung kauften am Wochenende viele Argentinier schnell noch ausländische Waren. Händler nutzten die Torschlusspanik und erhöhten die Preise.
In zwei Wochen plant die Regierung einen ausgeglichenen Haushalt in Höhe von gut 38 Milliarden Dollar für 2002 vorzulegen. Der Haushalt wird weitere Kürzungen vorsehen müssen, denn allein im vergangenen Dezember sind die Steuereinnahmen um 30 Prozent gefallen.
Daher warnte Lenicov davor zu hoffen, dass die Reformen schnell greifen würden. „Ich kann heute keinen Wohlstand für morgen versprechen. Es ist nicht einfach, aus einem politischen Schema herauszukommen“, so Lenicov. Denn das Grundproblem bleibt bestehen: Die Kassen sind leer, das Land ist zahlungsunfähig.
Lenincov bestätigte, dass die Regierung von Seiten transnationaler Konzerne, Banken und privater Versorgungsfirmen wegen der Pesoabwertung stark unter Druck gesetzt würde. Er selbst habe in den vergangenen Tagen keinen Anruf von Konzernvertretern entgegengenommen.
Mitte der Neunzigerjahre hatte der damalige Präsident Carlos Menem eine Privatisierungswelle in Gang gesetzt. Ausländische Firmen, vor allem aus Spanien, kauften argentinische Staatsunternehmen. Wasser-, Gas- und Stromversorgung sowie die Telefonnetze gingen an ausländische Unternehmen, ebenso die Fluglinie Aerolineas Argentinas und zahlreiche Banken. Den Dienstleistern aus Europa sicherte die argentinische Regierung zu, ihre Rechnungen in Dollar stellen zu dürfen oder die Tarife an den Dollar anzubinden.
Diese Klausel hat Duhalde nun für nichtig erklärt. Für die ausländischen Unternehmen bedeutet das einen Verlust in Höhe der Abwertung, also von etwa 30 Prozent. Spanische Konzerne fürchten nach Einschätzungen der Zeitung Die Welt Einbußen bis zu 3,5 Milliarden Euro. Sie hatten in den letzten Jahren rund 40 Milliarden Dollar in Argentinien investiert.
Aus Deutschland flossen mit knapp 14 Milliarden Euro deutlich weniger Investitionen ins Land. Deutsche Investoren wie BASF, Degussa, Siemens, Bosch, Bayer oder Volkswagen hätten angesichts der Krise „bereits Ende der Neunzigerjahre in Argentinien kräftig abgespeckt“, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Außenhandelskammer in Buenos Aires, Reinhold Meyer.
Unterdessen hielten die Vizefinanzminister der sieben führenden Industrieländer (G 7) gestern eine Telefonkonferenz ab, in der sie über den argentinischen Wirtschaftsplan diskutierten. Einzelheiten wurden jedoch nicht bekannt.
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