Wahlkampf im Wartezimmer

Der Hartmannbund mischt sich in die Gesundheitspolitik ein. Die größte Vereinigung der niedergelassenen Ärzte fordert eine Aufteilung der Versorgung in Grund- und selbst bezahlte Leistungen. Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte: Heuchelei

von ULRIKE WINKELMANN

Die Ärzteorganisation Hartmannbund wird den Wahlkampf in die Praxen tragen. Gestern stellte die größte Standesvertretung der niedergelassenen Ärzte zusammen mit dem Freien Verband Deutscher Zahnärzte und dem Verband Physikalische Therapie ein Plakat vor, das in den Wartezimmern hängen soll und auf dem gegen die rot-grüne Gesundheitspolitik Front gemacht wird. „Die Würde von Patient und Arzt“ werde „angetastet“, so wandelt der Plakattext den Artikel 1 des Grundgesetzes ab.

Die zentrale Forderung des Hartmannbundes erscheint auf den Plakaten jedoch nicht: Die Aufteilung der medizinischen Versorgung in so genannte Grund- und Wahlleistungen. Ebenso wie die FDP und die Mehrheit der CDU will der Hartmannbund den Katalog aller ärztlichen Leistungen aufspalten: Die „Grundleistungen“ würden weiterhin über die Krankenversicherung solidarisch finanziert, die „Wahlleistungen“ dagegen durch Eigenzahlungen der Patienten getragen.

„Verstauchungen, Platzwunden, Prellungen“, zählte Hartmannbund-Chef Hans-Jürgen Thomas gestern zu den Wahlleistungen, erwähnte auch „eine leichte Bronchitis“ und ergänzte: „Eigentlich müsste man darüber nachdenken, alle Unfälle zu den Wahlleistungen zu nehmen.“ Chronische Krankheiten könnten in den Grundleistungskatalog kommen.

Die Forderung nach einer Aufteilung der medizinischen Leistungen wird voraussichtlich der Dreh- und Angelpunkt des Themas Gesundheit bis zur Bundestagswahl. Denn mit den zu Jahresbeginn gestiegenen Krankenversicherungsbeiträgen ist das Gesundheitssystem noch lange nicht gerettet. Mancher Krankenkassenchef hat bereits angekündigt, dass die Beiträge auch dieses Jahr noch steigen würden – die Zahl 15 Prozent wurde genannt. Der stetig wachsende Anteil alter Menschen einerseits und die wachsenden medizinischen Kosten andererseits sind zwei Faktoren, die auch im Hause der Gesundheisministerin Ulla Schmidt (SPD) zu Reformüberlegungen geführt haben. Schmidt hat sich jedoch bereits für den Erhalt des Solidarsystems ohne Aufteilung der ärztlichen Leistungen ausgesprochen.

„Das wird die Kampflinie“, sagt dazu der Vorsitzende des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte, Winfried Beck. Die Forderungen des Hartmannbundes nennt Beck „pure Heuchelei“: Mit Sicherheit würden dadurch alle, die nicht zuzahlen könnten, schlechter versorgt. „Es geht dem Hartmannbund bloß darum, das Einkommen der Ärzte abzusichern“, so Beck. Die Plakataktion nennt er „unärztlich“. Dadurch würden Patienten im Eigeninteresse der Ärzte manipuliert und „verängstigt“.

Die Verwendung des Begriffs Menschenwürde sei „inflationär“ und damit „stillos“, kommentiert die grüne Gesundheitsexpertin Monika Knoche. Wer für Grund- und Wahlleistungen eintrete, „führt dadurch die Zweiklassenmedizin ein“. Auch Knoche meint: „Wer so etwas fordert, hat nur das eigene Verdienstinteresse im Kopf.“