village voiceDrei neue CDs compilieren Minimal-Techno: Ohren geradeaus
2002, und es geht weiter mit Minimal-Techno. In Deutschland zumindest, in Berlin zumindest. Zwar geistert durch unsere ehemals so aufregende Hauptstadt inzwischen die Kunde vom Clubsterben, und erste Stimmen werden laut, dass es selbst das als bester Club der Welt bekannte WMF nicht mehr richtig bringt, doch über die hiesige Labellandschaft braucht sich niemand zu beschweren. Gleich drei frische, junge und Ruhm einfordernde Labels mit Zuständigkeitsbereich Minimal-Techno haben jüngst mit ersten CDs nach Breitenwirksamkeit Ausschau gehalten.
Sender hat nach einem Dutzend DJ- Futter-Vinyls seine erste Labelcompilation rausgepfeffert, und jetzt sind Salo und Festplatten an der Reihe. Das Namedropping in geheimen Listen spezieller Dance-Gazetten scheint dem sonst so gerne mit gepflegter Zurückhaltung auftretende Minimaltechnowesen nicht mehr genug. Öffentlichkeit wird gesucht und durch das Medium CD noch am ehesten gefunden. Auf einem immer entgrenzteren Dance-Markt schafft die Labelcompilation Überblick, dient als Visitenkarte und vermittelt den kleinen Plattenfirmen punktgenau die nötigen Profile. Die Salo-Compilation ist nicht umsonst mit „electronic cosmetics“ betitelt. Jeder einzelne Track ist ein Griff in das Schminkköfferchen, damit am Ende das Gesicht des Labels hübsch anzusehen ist.
Techno-Labelcompilations sind Familienangelegenheiten. Sie benennen die Mitglieder des Clans und laden zur Festlichkeit auch entferntere Verwandte. Bei Salo sind unbekanntere Acts wie Ill Doggy, Drastic und SCSI-9 mit dabei, aber auch Sasche Funke und der Senderbetreiber Benno Blome. Bei Festplatten, dem Laden der Gebrüder Teichmann, die sich auch in die nicht so schlechte Rockband Beige GT mit einbringen, sie selbst, Benjamin Wild, Markus Güntner und andere, meist bereits gut eingeführte Acts. Der territoriale Faktor spielt bei derartigen Überblicken eine Rolle. Bei Salo konzentriert man sich auf Acts aus Berlin und erstaunlicherweise Russland, während Festplatten zwischen Erlangen, Hamburg und Berlin nach soundästhetischen Übereinstimmungen gefahndet hat. Das Dilemma des Minimal-Techno, das hier exemplarisch deutlich wird, ist seine gepflegte Begrenztheit, die andererseits das Genre ja gerade definiert. Denn seit sich Minimal-Techno in Deutschland als Status quo für den geschmackssicheren Club etabliert hat und als typisch deutsche Schule auch internationales Markenzeichen geworden ist, erweist sich die Limitierung der Mittel zunehmend als Dogma. Zwar kommt Benno Blome auf Salo ganz beatlos aus, und Markus Güntner versucht sich auf Festplatten mit seinem Track „Äpfel&Birnen“ an der Rezitation eines Dada-Textes, doch ansonsten kickt eben die gerade Bassdrum, funkt, klickt und zischelt es auf beiden Compilations perfekt, aber auf CD-Länge doch etwas eindimensional vor sich hin.
Nun ist es zwar recht schwierig, dem Minimal-Techno langsam das Innovationspotenzial absprechen zu wollen. Auch wegen dem furchtbaren Rockrevival, das sich ankündigt und den Stillstand der Popmusik zuzementieren droht. Man reiche Andrew W. K. erst mal ein Taschentuch.
Und was sich auf dem Technosektor sonst so tut, ist ja auch nicht gerade ermutigend. Gibt es denn keine Bauernhöfe auf dem Land mehr für Alt-DJs wie Sven Väth, damit er nicht zusammen mit der Neuberlinerin Miss Kittin „Je t’aime“ so furchtbar verhunzen muss? Allein schon gegen diese Tendenzen muss man den Minimal-Techno verteidigen. ANDREAS HARTMANN
2 Salo – Electronic Cosmetics (Salo/Kompakt); Festplatten – Unser: Eins (Festplatten/Kompakt)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen