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Estland steht ohne Regierung da

Nach Streit um Absetzung des Tallinner Bürgermeisters tritt Premier Laar zurück. Neuauflage der Koalition möglich

STOCKHOLM taz ■ Estlands Ministerpräsident Mart Laar erklärte gestern den Rücktritt seiner Regierung. Als Grund verwies er auf „mangelndes Vertrauen“ zwischen den Koalitionsparteien. Hintergrund war offensichtlich die Entscheidung der Reformpartei – neben Laars Pro-Patria-Partei und der konservativen „gemäßigten Partei“ bisheriger Regierungspartner der regierenden Mitte-Rechts-Koalition – im Stadtrat der Hauptstadt Tallinn zum Sturz des Bürgermeister Tonis Palts beigetragen zu haben. Palts, Parteifreund Laars, war am 13. Dezember abgesetzt worden, nachdem er das Budgetdefizit um über 1 Milliarde Kronen, rund 65 Millionen Euro, über die festgelegte Verschuldungsgrenze hinaus ausdehnen wollte. Die Haushaltspolitik Tallinns ist so zentral für das Staatsbudget, dass diese Strategie die Stabilität des gesamten Etats gefährdet hätte.

Bis zum 22. Januar muss Präsident Arnold Rüütel einen neuen Ministerpräsidentenkandidaten mit der Regierungsbildung beauftragen. Möglich ist eine Fortsetzung der bisherigen Koalition. Laar brachte schon den Chef der Reformpartei, Siim Kallas, als Kandidaten für das Amt des Regierungschefs ins Gespräch. Allerdings verfolgen Laar Korruptionsvorwürfe. Möglich scheint auch eine Übernahme des Hauptstadtkoalitionsmodells mit einem Austausch der Pro-Patria-Partei durch die sozialliberale Zentrumspartei des populären Edgar Savisaar.

Der Versuch der bisherigen Regierung, das Land mit einer strammen Haushaltspolitik auf EU-Kurs zu bringen, hat die sozialen Probleme verschärft. Die Arbeitslosenrate liegt bei 15 Prozent. Die wachsende Einkommenskluft hat dazu geführt, dass die EU-Stimmung die niedrigste in allen 13 Kandidatenländern ist. REINHARD WOLFF

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